Tränen einer Braut: 3 Romane. G. S. Friebel
es Ärger macht, werfe ich es hinaus. Ich habe dir immer gesagt, dass ich es nicht haben will. Hast du mich verstanden?«
Sie erwiderte nichts.
»Du brauchst nicht mehr in der Küche zu arbeiten. Ich musste es dem verdammten Chinesen versprechen, sonst wäre er nicht mit in die Nachtbar gekommen.«
»Er hat es mir gesagt.«
Er schaute sie höhnisch an.
»Und du glaubst, du könntest jetzt wie eine Made im Speck hier leben? Irrtum! Ich habe dir gesagt, du wirst mir alles zurückzahlen. Alles, hast du kapiert! Ich habe Nachsicht mit dir gehabt. Aber in drei Wochen ist es vorbei, dann wirst du nachts für mich auf den Strich gehen. Im Hafenviertel. Kapiert? Du wirst so alle Gelder wieder reinbringen. Am Tage kannst du dich um das Balg kümmern, aber nachts wirst du für mich auf Anschaffe gehen.«
Sie starrte ihn so entgeistert an, dass er gemein auflachte. »Ich habe dich ja gut eingelernt. Du bist jetzt mit allen Taktiken vertraut. Und solltest du etwas noch nicht wissen, da sind ja Lola und Anke. Von ihnen kannst du noch viel lernen. Und sie werden dir auch sagen, was mit dir geschieht, wenn du nicht dein Soll erfüllst.«
Fassungslos ließ sie sich auf das Bett fallen. Sie würgte und würgte.
»Ich bin deine Frau«, brachte sie mühsam hervor. »Das kannst du doch nicht wirklich wollen! Was werden sie sagen?«
»Wer weiß das denn schon?«, höhnte er.
»Ich werde es sagen«, stammelte sie.
»Man wird dich für eine Spinnerin halten«, gab er brutal zurück.
Sie legte ihre kalten Hände an die pochenden Schläfen.
»Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mann seine Alte auf den Strich schickt«, lachte er. »Das ist denen hier nicht neu. Und sie kennen mich alle. Und weißt du auch, wie mein Spitzname lautet?«
»Nein!«
»Albert, der über Leichen geht!«
Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken. Und in dieser Sekunde wusste sie, dass alles so werden würde, wie er gesagt hatte.
Bewusstlos brach sie zusammen.
16
Patrick war fünf Wochen alt, als eines Abends Albert wieder bei ihr auftauchte. Das Kind schlief friedlich.
»So, die Zeit der Schonung ist jetzt um. Du wirst noch heute für mich auf den Strich gehen. Und da du noch ziemlich mickerig aussiehst, will ich das Soll nicht zu hochschrauben. Du wirst mir die erste Zeit dreihundert bringen oder ich prügele dich wund.«
Elvira hatte längst gemerkt, dass Aufmucken sich überhaupt nicht lohnte. Einen Augenblick lang hatte sie daran gedacht, zu Lie-San zu laufen. Aber er würde ihr auch nicht helfen können.
So stand sie mitten im Zimmer und blickte ihn starr an.
»Eines Tages wirst du dafür bezahlen müssen«, sagte sie kalt. »Eines Tages wirst du dich an mich erinnern und dich selbst verfluchen.«
»Hau endlich ab! Sonst nehmen sie dir die fetten Fische weg, und du hast dann das Nachsehen.«
Als sie auf der Straße stand, sah sie Lola und Anke unter der Laterne stehen. Langsam kamen sie näher geschaukelt. »Albert hat mit uns gesprochen. Ich kann dir sagen: Es ist ein Mist. Jetzt auch noch du! Je mehr stehen, umso schrecklicher ist das. Ich meine das Soll. Der Hafen wimmelt nur so von Huren. Und wie die Kerle mal sind, die suchen sich ihr Mädchen aus. Ich kann dir sagen: Wenn du ein paar Matrosen erwischst, musst du auch mal mit Prügeln rechnen. Die sind wirklich gemein. Komm jetzt mit, sonst bilden sich die anderen ein, wir kämen heute nicht.«
Sie sahen noch verkommener und älter aus als damals, als sie die beiden in der Küche kennengelernt hatte. Und Elvira wusste, wenn sie dieses Leben mitmachte, dann würde sie bald genauso aussehen wie die beiden.
Ihr Magen drehte sich, und als sie dann unten an den Docks stand und sah, wie sich die Dirnen um die Kunden rissen, sich beinahe gegenseitig die Schädel einschlugen, da ekelte sie das so an, dass sie um die Ecke gehen musste und sich erbrach. Ihre Beine zitterten, sodass sie sich eine ganze Weile an den Schuppen lehnen musste.
Nein, das würde sie niemals können! So nahm sie in der ersten Nacht keinen Pfennig ein. Lola und Anke hatten ihr Soll mühsam erfüllt und schleppten sich gegen Morgen mehr tot als lebendig zur Kneipe zurück. Und Elvira dachte: Jetzt müssen sie das so schrecklich verdiente Geld Albert abliefern. Sie behalten nicht einmal einen Pfennig für sich. Ich verstehe die Mädchen nicht. Warum tun sie das nur? Wenn sie das Geld behalten und selbst Essen und Unterkunft bezahlen würden, dann bliebe noch was übrig, auch so etwas wie ein Selbstgefühl. Dann verstehe ich noch, wenn sie sich so anstrengen. Aber dies hier ist gemein und entwürdigend.
Als Elvira Albert sagte, sie hätte nichts verdient, denn sie wäre gar nicht dazu gekommen, sah er sie kalt an und sagte nur: »Wenn du morgen dein Soll nicht erfüllst, dann lernst du mich erst mal richtig kennen.«
Sie konnte es doch nicht! Gequält schlich sie sich nach oben und stand lange am Bettchen ihres Kindes. Sie wollte ja schuften, alles tun was er von ihr verlangte, aber nicht auf den Strich gehen. Das konnte er nicht verlangen.
Aber Albert ließ nicht mit sich reden. Er jagte sie auch am nächsten Abend hinaus.
Elvira wurde fast verrückt vor Angst und Ekel. Und dann dachte sie an den kleinen Knaben der jetzt allein in der Kammer schlief, und wenn er jetzt wach wurde und weinte und ein Fläschchen brauchte, wenn er spuckte. Bei einem so kleinen Kind musste man doch immer sofort zum Bettchen laufen, wenn es sich regte.
Sie stand an der Schuppenwand gelehnt, sah wieder dieses grässliche Schauspiel der sich schlagenden, beißenden Nutten, sah die Matrosen wie sie sich lustig über die Dirnen machten, sah auch, wie die Dirnen von den Matrosen betrogen wurden. Erst versprachen sie ihnen das Blaue vom Himmel, nahmen sie mit auf ihre Pötte, und nachdem die ganze Mannschaft über sie hergefallen waren, wurden sie mit Prügel fortgejagt. Heulend und fluchend versuchten sie nun die Zeit, die sie damit vergeudet hatten, wieder einzuholen. Aber je heller es wurde, umso weniger Kunden tauchten noch auf. Und wer in dieses Viertel kam, der wollte höchstens für fünf und zehn Mark eine Nummer schieben. Waren doch auch immer ziemlich abgebrannte Heinis.
Elvira hatte wieder nichts eingenommen. Und Albert nahm sie und prügelte sie windelweich. Den ganzen Tag wusste sie nicht, wie sie sich hinsetzen sollte. Wenn sie das Kind im Arm hielt um ihm die Flasche zu geben, dann hätte sie vor Schmerzen aufschreien mögen.
Instinktiv wusste sie, dass sie dieses Leben nicht lange ertragen konnte. Sie war ja jetzt schon am Zerbrechen. Albert kannte keine Gnade, und sie würde das verlangte niemals tun können.
Albert hasste sie und wollte sie bewusst vernichten. Sie dachte an das Kind. Aber sie konnte so wenig für Patrick tun! Vielleicht, so sagte sie sich, wird er für ihn sorgen, wenn ich nicht mehr da bin. Er muss es ja, denn er ist der Vater. Er kann ihn nicht abschieben wie mich. Das werden die Behörden schon nicht zulassen.
Ich bin für Patrick das Unglück, ich selbst. Nur wenn ich nicht mehr da bin, wenn er größer geworden ist und erfährt, was sie hatte tun müssen; wie grausam der eigene Vater zur Mutter war. Nein, er würde es gewiss nicht ertragen.
Elvira hatte einen Entschluss gefasst. Das Herz wollte ihr dabei zerbrechen. Aber sie wusste jetzt, dass sie alles bezahlen musste. Alles! Nichts war ihr geschenkt worden.
Als sie an diesem Abend von Albert auf die Straße geschoben wurde, hatte sie kurz vorher für immer von Patrick Abschied genommen. Sie wusste, sie würde ihr Kind nie mehr wiedersehen.
Mit den beiden Hafendirnen Lola und Anke ging sie hinunter zur Unterelbe. Die Kähne lagen am Kai. Leise schaukelten sie hin und her und rieben ihre großen Leiber an der Steinmauer. Elvira sah hinauf zum Himmel. Kein Stern war zu sehen.
»Lieber Gott, verzeih mir«, flüsterte sie leise.
»Haste