Fokus SEIDENPLANTAGE. Paul Fenzl

Fokus SEIDENPLANTAGE - Paul Fenzl


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Wegen der vorbildlichen Absperrung stand nur eine einzige zivile Person in der Nähe. Und da neben dieser Person ein Hund Platz genommen hatte, konnte es sich nur um Herrn Müller handeln.

      »Herr Müller? Köstlbacher. Kripo Regensburg. Sie haben die Tote gefunden?« Auf formelle Begrüßungsworte verzichtete der Kommissar. Nicht weil er bewusst unfreundlich sein wollte. Aber wer den Köstlbacher kennt, der weiß, dass überschwängliche Freundlichkeit nicht zu seinen Markenzeichen gehört, auch wenn keine bewusst negative Absicht dahintersteht.

      Herr Müller nickte. »Genau genommen hat Gino sie gefunden. Er ist schon 14 Jahre alt und fast blind, aber auf seine Nase kann er sich noch vollends verlassen. Ein typischer ›Nova Scotia Duck Tolling Retriever‹ eben!« Stolz leuchteten bei diesen Worten Herrn Müllers Augen, während seine Hand den Kopf des Hundes tätschelte.

      »Das wird im Protokoll vermerkt. Aber reden werde ich trotzdem mit Ihnen müssen. Einen Hund kann ich schlecht befragen«, scherzte der Köstlbacher. Ein seltenes Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Wegen der Maske aber nicht sichtbar. »Haben Sie, bevor Ihr Hund auf die Tote aufmerksam geworden ist, irgendwelche Beobachtungen gemacht? Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      »Nicht, dass ich wüsste. Hier oben ist überwiegend nur Anliegerverkehr. Nicht so, wie weiter unten, wo viele aus Lappersdorf durchfahren. Heute habe ich kein einziges Auto gesehen. Und zu Fuß war auch niemand unterwegs. Außer der Toten. Die kam hier regelmäßig vorbei. Wäre ich nur etwas früher dran gewesen. Vielleicht würde sie dann noch leben.«

      »Sie kennen die Tote?«, fragte der Köstlbacher erstaunt und sah sich zum ersten Mal den Herrn Müller genauer an. Großgewachsen, schlank, sportlich, die langen, gewellten, graumelierten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, Vollbart. Eine im Alltag kaum zu übersehende Erscheinung.

      Ein verschmitztes Lächeln umspielte Herrn Müllers Lippen. Da er keine Maske trug, entging es dem Köstlbacher nicht.

      »Nicht jede hübsche Blondine, die hier vorbeiläuft, kenne ich. Aber wenn Sie unter ›kennen‹ verstehen, dass ich sie schon öfter gesehen habe, dann ja. Wie gesagt, sie kommt, besser gesagt kam hier regelmäßig vorbei. Mehr oder minder täglich. Da hin und wieder meine Frau mit Gino Gassi geht, sehe ich sie nicht jeden Tag. Gesprochen habe ich allerdings noch nie mit ihr, wenn man von einem beiläufigen ›Hallo!‹ einmal absieht.«

      »Hat vielleicht Ihre Frau …?«, fragte der Köstlbacher.

      »Ob sie schon mit ihr geredet hat? Nicht dass ich wüsste. Falls doch, dann haben wir jedenfalls nie miteinander darüber gesprochen.«

      »Und Sie und Ihre Frau wohnen …?«, fragte der Köstlbacher.

      »Dort im Nebenhaus der SEIDENPLANTAGE. Aber das hatte ich Ihrem Kollegen bereits gesagt.«

      Der Köstlbacher äußerte sich dazu nicht. Die Personalien aufzunehmen geschieht natürlich immer bei der allerersten Kontaktaufnahme. Aber das entsprechende Protokoll würde ihm erst zurück in seinem Büro vorliegen. Herr Müller schien sich so etwas schon gedacht zu haben, denn er holte nun doch von sich aus etwas weiter aus:

      »Meine Frau heißt Petra Herrmann. Sie betreibt gemeinsam mit unserer Tochter Stephanie das ›Dayspa‹ im Haupthaus der SEIDENPLANTAGE. Ich betone bewusst den Familiennamen Herrmann meiner Frau und meiner Tochter, da ich, wie Sie ja wissen, Müller heiße.«

      Der Köstlbacher tat, als ob er diesen Hinweis überhört hätte. Dabei war ihm durchaus klar, wie sehr unterschiedliche Familiennamen in der Vergangenheit schon die Ermittlungsarbeit erschwert hatten. Mit dem Begriff ›Dayspa‹ konnte er nichts anfangen. Aber das musste er diesem Müller schließlich nicht gleich auf die Nase binden.

      »Kann ich mit Ihrer Frau sprechen?«, fragte er.

      »Sie dürfte inzwischen schon drüben im ›Dayspa‹ sein. Aber das wäre wohl kaum ein Problem.«

      In dem Moment winkte dem Köstlbacher der Kommissar Jung zu. Das konnte nur eines bedeuten: Er war jetzt soweit. Zeit für eine erste Einschätzung aufgrund der gesichteten Faktenlage.

      »Ich melde mich später!«, beendete der Köstlbacher abrupt sein Gespräch mit Herrn Müller und ging zum Leichenfundort hinüber. Auf seinen fragenden Blick hin meinte der Jung:

      »Bei der Toten handelt es sich um eine junge Frau. Joggerin. Vermutlich um die 25 Jahre alt. Gestorben ist sie an einer Stichwunde. Ich würde sagen, direkt ins Herz. Aber das muss die Gerichtsmedizin erst bestätigen. Todeszeitpunkt 6:30 Uhr heute Morgen plus/minus 30 Minuten. Eine Tatwaffe haben wir nicht gefunden.«

      »Irgendwelche Spuren vom Täter? Gab es einen Kampf?«

      »Letztendlich kann auch das erst in der Gerichtsmedizin abgeklärt werden. Meine Einschätzung ist negativ. Kein Kampf! Was Täterspuren betrifft, ebenso negativ. Es sieht zwar danach aus, als ob er hier hinter diesem Baum dem Opfer aufgelauert hat. Das herbstlich welke Gras ist auf kleinem Raum niedergetreten. Aber das kann auch ein Hase gewesen sein, der es sich gemütlich gemacht hatte. Sichere Hinweise auf die Anwesenheit eines Menschen fanden wir jedenfalls keine. Auch keine verwertbaren Abdrücke von Schuhsohlen. Aber vielleicht würde die Hündin der Kollegin Koch etwas entdecken, was uns entgangen ist.«

      »Du meinst die Mina?« Der Kollege Jung nickte, worauf der Köstlbacher sofort die Zentrale anfunkte und die Kommissarin Koch mit Hündin Mina herbeorderte.

      »Wer macht sowas?«, fragte der Jung und unterstrich seine Frage mit einer hilflosen Geste.

      »Wer bringt eine junge Frau um, die sich offensichtlich nichtsahnend zum Joggen aufmacht? Ein Irrer? Ein Eifersüchtiger? Ein … Keine Ahnung! Wird nicht einfach werden, das herauszufinden.«

      »Übrigens« setzte der Jung noch hinzu, »Papiere hatte sie keine bei sich. Hätte mich auch gewundert. Nur einen Autoschlüssel. Scheint zu einem Mini zu gehören.«

      »Was darauf schließen lässt, dass sie nicht von zu Hause aus losgelaufen ist«, folgerte der Köstlbacher.

      »Ich vermute sogar, dass ihr Wagen ganz in der Nähe stehen müsste. Ihre Wäsche weist noch keinerlei Schweißflecken auf. Weit gelaufen kann sie noch nicht sein, bevor sie ermordet worden ist«, fügte der Jung hinzu.

      »Gib mir den Autoschlüssel! Ich schicke eine Streife auf die Suche nach dem Wagen.«

      »Und die Leiche? Erlangen? Wie immer?«, fragte der Kommissar Jung.

      »Ja, leite das in die Wege! Ich muss mit diesem Müller noch ein Wörtchen reden«, antwortete der Köstlbacher.

      Kapitel 4

      Während der Jung den Abtransport der Leiche in die Gerichtsmedizin nach Erlangen veranlasste, die nach wie vor für Regensburg zuständig ist, und während sich eine Streife auf die Suche nach dem Auto der Ermordeten machte, wandte sich der Köstlbacher erneut dem geduldig in Sichtweite wartenden Herrn Müller zu.

      »Sie stehen ja immer noch da! Passt mir wunderbar, weil ich noch ein paar Fragen an Sie hätte«, sagte der Köstlbacher.

      »Das habe ich mir schon gedacht, Herr Kommissar. Mir ist da noch etwas eingefallen.«

      Köstlbachers fragender Blick ließ den Herrn Müller weiterreden, ohne ihn mit einer Antwort zu unterbrechen.

      »Gestern hat meine Frau Gino rausgelassen, weil ich schon sehr früh zur Arbeit musste.«

      »Sie arbeiten nicht in dieser ›Dayspa‹?«, fragt der Köstlbacher.

      »Aber nein! Mein Arbeitsplatz ist in Rosenhof in der ›Fattoria La Vialla‹. Biodynamische Feinkost aus der Toskana! Wir beliefern unter anderem auch die ›Dayspa‹. Aber ansonsten ist sie das Reich meiner Frau und unserer Tochter. Wie gesagt, gestern musste ich schon vor der üblichen Zeit zur Arbeit, weil wir eine LKW-Ladung aus Italien erwarteten, und mein Typ als Chef im Zusammenhang damit gefragt war.«

      »Ist Ihrer Frau etwas aufgefallen?«, wollte der Köstlbacher wissen,


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