Heldenstoff. Axel Rabenstein

Heldenstoff - Axel Rabenstein


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von Bedeutung sein: dass Anton Krupicka den Drang nach Bewegung in sich hatte; und dass er umso mehr Lebensenergie aus seinen Läufen zu gewinnen scheint, je mehr Energie er in seine Läufe investiert.

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      Als Kind waren ein paar Tage in einer Stadt wie ein Trip in eine andere Welt für mich.

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      Ein sportlicher Weggefährte von Tony Krupicka ist der Spanier Kilian Jornet Burgada, der von vielen Experten als bester Ausdauerathlet der Welt bezeichnet wird. Dreimal gewann er den Ultra-Trail du Mont Blanc über 168 Kilometer und 9.000 Höhenmeter, er ist siebenfacher Gesamtsieger des Skyrunning Weltcups, dreifacher Gesamtsieger des Ultrarunning- Weltcups sowie siebenfacher Weltmeister im Skibergsteigen.

      Er hält zahlreiche Rekorde bei Speedbegehungen, niemand stieg schneller auf Matterhorn, Montblanc, Aconcagua und Denali (früher Mount McKinley). Im Jahr 2017 bestieg er in Rekordzeit den Mount Everest, vom Basislager auf 5.100 Meter Höhe bis zum Gipfel in 8.848 Meter Höhe benötigte er 26 Stunden; alleine und in einem Zug, ohne Fixseile und künstlichen Sauerstoff.

      Natürlich ist Kilian Jornet Profi und als solcher beruflich unterwegs. Extreme Begehungen und erfolgreiche Wettkämpfe sind sein Job. Er tut es, weil seine Sponsoren ihn für den erbrachten Imagegewinn bezahlen. Er tut es aber auch, weil er es gerne tut. Weil es ihn glücklich macht, weil es ihn erfüllt. Wer Kilian getroffen hat, wird spüren, dass ihm Zufriedenheit und Ausgeglichenheit innewohnen, und das nicht nur, weil sein Ruhepuls bei 34 Schlägen in der Minute liegt.

      „Ich genieße das Gefühl sportlicher Anstrengung sehr. Es tut gut, seine eigene Leistungsfähigkeit zu spüren. Außerdem weiß ich, dass ich meine Ziele ohne Anstrengung nicht erreichen werde. Wer sich dauerhaft in der Komfortzone aufhält, wird nichts Neues entdecken. Das Verausgaben macht mich besser. Es verschafft mir neue Möglichkeiten, zeigt mir Wege und bringt mich an Orte, die vorher nicht erreichbar für mich waren. Orte, an denen ich etwas erlebe, was ich bis dahin nicht kannte, nicht gespürt oder nicht gesehen habe.“

      Wie Tony Krupicka konnte sich Kilians Liebe zur Aktivität früh entfalten, während seiner Kindheit, die er in den katalanischen Pyrenäen verbrachte, wo sein Vater eine Berghütte bewirtschaftete. „Ich bewegte mich jeden Tag dort draußen in der Natur. Im Schnee zu spielen oder durch die Wälder zu streunen, war für mich so normal wie zu essen und zu schlafen. Als Kind waren ein paar Tage in einer Stadt wie ein Trip in eine andere Welt für mich.“

      Die Frage ist nun: Konnte sich bei Kilian ein besonderer Bewegungsdrang entwickeln, weil er dort draußen in den Bergen aufwuchs?

      Oder hat eine Kindheit ohne TV und Computerspiele dazu beigetragen, dass sein natürlicher Bewegungsdrang in erster Linie nicht verkümmerte?

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      Viele Menschen sind gelangweilt, weil sie immer das Gleiche tun.

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      Nicht jeder Mensch ist von Geburt an in gleicher Weise sportlich. Nicht jeder hat die körperlichen Voraussetzungen, um später einmal auf einen Achttausender zu rennen. Aber jedes Kind verfügt über eine ureigene Neugier; es will spielen, lernen, entdecken.

      „Als Kind suchen wir das Abenteuer. Dann werden wir erwachsen, wir gehen zur Arbeit, haben viel zu tun, wir sind gestresst, und irgendwann hören wir auf, das Neue zu suchen.“

      Das sagte mir Rebecca Rusch, eine US-amerikanische Mountainbikerin, die ich am Rande des Leadville-100-Rennens in Colorado traf, das sie viermal in Serie gewann, zuletzt im Alter von 44 Jahren, was in der Szene für Aufsehen sorgte. Ich erinnere mich daran, dass Rebecca eine unaufdringliche, aber trotzdem zu jeder Zeit spürbare, ansteckende Lebensfreude ausstrahlte, dem sich ihr Umfeld kaum entziehen konnte.

      „Viele Menschen sind gelangweilt, weil sie immer das Gleiche tun. Als Kind geht man mit dem Rad auf Entdeckungstour durch die Nachbarschaft, nur zwei Straßen weiter erscheint einem die Umgebung wie eine andere Welt. Wenn man sich diese Abenteuerlust erhält, dann bleibt auch die Lebensfreude. Ich denke, dass man diese Energie von Natur aus hat. Man darf sie nur nicht verlieren.“

      Als Kind verlassen wir fortlaufend die Komfortzone, brechen voller Neugier auf in eine neue Welt, holen uns dabei die Kraft, die Entschlossenheit, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen für unsere nächsten Abenteuer und Entdeckungen.

      Und dann? Entdecken wir den Konsum, den Status, den Komfort. Nun tauschen wir unsere natürliche Abenteuerlust gegen einen soliden Arbeitsplatz, richten uns in der Geborgenheit des eigenen Wohnzimmers ein, um im Fernsehen davon zu erfahren, was es dort draußen alles zu erleben gäbe. Dabei verlieren wir immer weiter an Selbstsicherheit. Weil wir es schon bald nicht mehr gewohnt sind, uns in ungewohnten Situationen zu befinden.

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      Die Komfortzone ist bequem, hat aber wenig Erlebnischarakter.

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      Der kanadische Biker Matt Hunter scheint seinen Entdeckergeist nicht verloren zu haben. Vielmehr hat er das Entdecken zu seinem Beruf gemacht. Sein ganzes Leben lang folgt er bereits konsequent den Spuren, die aus der Komfortzone führen. Matt wurde dafür bekannt, dass er keine Lust aufbringen wollte, an Wettkämpfen teilzunehmen. Statt auf Contests konzentrierte sich der Kanadier lieber auf seine eigenen Strecken, anfangs zu Hause in British Columbia und später in der ganzen Welt, und wurde so zum Vorbild für viele Biker, die sich ihren Lebensunterhalt durch die Produktion von Fotos und Filmen sichern möchten.

      „Die Komfortzone ist bequem, hat aber wenig Erlebnischarakter“, sagt Matt: „Also gehen wir auf Entdeckungstour, gehen dabei auch mal ein Risiko ein, erhalten dafür als Belohnung das einmalige Gefühl eines guten Rides.“

      Auf die Frage nach dem schönsten Ride seines Lebens hat mir Matt diesen Tag beschrieben: „Vor einigen Jahren war ich mit drei meiner besten Freunde in Peru, an einem Ort namens Puerto de Inca. Vom Meer aus sind wir hoch in die Berge, auf einen stundenlangen Aufstieg folgte eine unglaubliche Abfahrt. Der Trail stammte von Schafherden, deshalb war er relativ breit, sodass sich jeder seine eigene Spur suchen konnte. Es gab viele natürliche Sprünge, der Boden war weich und gut zu driften. Unten haben wir eine wüstenähnliche Landschaft erreicht und sind in den Pazifik gesprungen. Ein wirklich kompletter Tag. Sich seinen eigenen Weg durch die unberührte Natur zu suchen und sich auf diese Weise mit ihr zu verbinden, das ist das pure Leben. Es ist die Nähe zur Natur, die dich erfüllt und glücklich macht.“

      Was Matt hier anspricht, ist ein wesentlicher Punkt: Es geht nicht nur darum, die Komfortzone zu verlassen und dabei immer wieder neue Wege zu entdecken. Es geht auch darum, wohin uns diese Wege führen. Und die Natur scheint dabei eine gute Wahl zu sein, wie wir im nächsten Kapitel erfahren werden.

       1.2 MAGIE DER NATUR

       Mit Michael Weiss, Emelie Forsberg, Gerlinde Kaltenbrunner, Thomas Huber, Bode Miller, Christian Hoffmann, Rebecca Rusch, Garrett McNamara, Bjørn Dunkerbeck

      „Die Hälfte der Menschen bekommt doch mittlerweile ihre E-Mails aufs Handy.“ – Das sagte mir der österreichische Triathlet Michi Weiss im Jahr 2009. Ein Satz, der zehn Jahre später bereits erstaunlich antiquiert klingt. Schon damals fühlte sich Michi von der ständigen Erreichbarkeit gestört und versuchte, dieser zu entfliehen.

      „Mich beschäftigt die Schnelllebigkeit. Ich bin einer von denen, die sich gerne ablenken lassen. Von technischen Geräten, von all diesen neuen Medien. Dazu kommt das ständige Herumfliegen, einchecken und wieder auschecken. Ich bin so viel unterwegs und lasse mich


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