Heldenstoff. Axel Rabenstein
der Natur finde er die Ruhe und die Zeit zum Nachdenken. „Hier werden mir viele Dinge erst wirklich bewusst. Weil ich alleine für mich sein kann.“
Michi Weiss war U23-Europameister im Mountainbiken und nahm an den Olympischen Spielen in Athen 2004 teil, ehe er zum Triathlon wechselte. 2011 wurde er Weltmeister im Cross-Triathlon, inzwischen zählt er zur Weltelite auf der Langdistanz, hat bis heute acht Ironman®-Rennen gewonnen. Ob er sich dabei in den USA oder Argentinien, in Mexiko oder Österreich aufhielt – es war immer sein spezielles Verhältnis zur Natur, aus dem Michi die Energie für seine stundenlangen Trainingseinheiten und seine beinharten Wettkämpfe gewann.
Im Jahr 2009 zog er nach Colorado Springs, wo er bis 2018 lebte. „Drüben in Colorado war ich viel beim Freeriden. So ein weites Land, kaum Zivilisation, das ist Natur pur. Es kann vorkommen, dass du einen Berglöwen siehst und ein bisschen fester in die Pedale trittst. Aber auch an anderen Orten hat mich die Natur immer wieder in ihren Bann gezogen. Bei der Xterra-WM auf Maui fährst du im Nationalpark am Fuße eines Vulkans. Ein Teil der Laufstrecke führt über einen Sandstrand. Das ist anstrengend, aber du spürst die Natur mit jedem Schritt. Und als ich zum ersten Mal die Ironman®-Strecke vor Big Island abgeschwommen bin, war das Meer so klar, dass ich unter mir die Schildkröten habe tauchen sehen.“
Dabei müsse man gar nicht bis Hawaii fliegen, um die Wunderwelt der Natur zu erleben: „Beim Xterra in Kärnten schwimmst du durch den Klopeiner See, der hat Trinkwasserqualität, das gibt es nicht mehr oft auf dieser Welt. Wer möchte, kann seinen Flüssigkeitsverlust gleich im See wieder ausgleichen. Die Radstrecke ist traumhaft, später läufst du über weichen Waldboden und bemooste Wurzeln, es ist wie in einem Märchenwald.“
Als ich Michi Weiss im Jahr 2018 für ein weiteres Interview kontaktierte, hielt er sich anlässlich der Ironman®-70.3-WM im südafrikanischen Port Elizabeth auf, den Blick bereits auf den Ironman® Hawaii gerichtet, der einen Monat später stattfinden sollte.
„Die Magie dieses legendären Wettkampfs liegt in der Energie der Insel. Ich kenne keinen extremeren Triathlon. Das Schwimmen im Meer mit seinen Strömungen und Wellen, das Radfahren auf einer windigen Strecke, der Lauf über Lavafelder: Du spürst die Elemente hautnah. Sie lassen dich mit Demut ins Rennen gehen. Sie kosten dich extrem viel Kraft, schenken dir aber gleichzeitig eine ganz besondere Stärke.“
Bei seiner achten Teilnahme auf Big Island landete Michi Weiss erstmals in den Top Ten, legte dabei mit 4:11:28 Stunden die zweitschnellste jemals in Hawaii gefahrene Radzeit auf den Asphalt.
Einmal mehr war er an seine Grenzen gegangen. Dennoch gab es keinen Grund, zu pausieren. Im November siegte er beim Ironman® Mexiko, im Dezember gewann er mit dem Ironman® Argentinien in Mar de Plata die Südamerikameisterschaft.
Seit mehr als 15 Jahren auf Achse. Und kein bisschen müde. Vielmehr scheint es, als würden sein Körper, sein Geist und seine Ausdauer gerade erst zu voller Blüte finden.
Es ist die Natur, die ihn antreibt, ihm die Energie schenkt, sich immer und immer wieder zu verausgaben; die Wärme der Sonne, der rastlose Wind, ein tropischer Regenschauer. Am liebsten spürt Michi aber den natürlichen Boden unter seinen Füßen.
Warum das so ist? – „Weil es mich erdet.“
Ich denke, dass alles auf irgendeine Weise miteinander verbunden ist. In den Bergen lässt sich das besonders gut beobachten.
Emelie Forsberg trägt gerne ein Symbol in den Haaren, eine einfache Blume. „Manchmal ist es eine echte, dann wieder eine, die ich mir aus Stoffresten bastle“, erzählte mir die Schwedin, die zu den erfolgreichsten Trailläuferinnen der Welt zählt: „Ich bin sieben Jahre Stunde um Stunde durch die Berge gelaufen, ehe ich an meinem ersten Wettkampf teilnahm. Ich war immer dort draußen, weil ich es wollte. Die Blume erinnert mich daran, warum ich es tue: weil es meine Leidenschaft, weil es mein Leben ist.“
Mit Anfang 20 lief Emelie an einem freien Tag über 50 Kilometer, stundenlang auf und ab, entlang einer Bergkette, bewältigte dabei rund 4.000 Höhenmeter. „Die Strecke war wundervoll, ich konnte und wollte einfach nicht aufhören.“ Auf dem Nachhauseweg traf sie Freunde, die auf dem Weg zu einem Bergrennen waren. Emelie hatte noch Lust zu laufen, sie nahm spontan am Rennen teil und gewann.
Diese erstaunliche Begebenheit war der Start in eine Karriere als professionelle Trailläuferin. Zwar war Emelie immer noch dort draußen, weil sie es liebte, aber der erste Schritt in Richtung Wettkampf war getan, es folgten weitere Rennen und große Erfolge, von 2012 bis 2015 holte sie viermal Gold in der Skyrunner World Series, 2014 gewann sie mit einem Sieg über 80 Kilometer am Mont Blanc den WM-Titel im Ultra SkyMarathon; sie triumphierte beim Ultra Race of Champions (UROC) über 100 Kilometer und beim Transvulcania auf La Palma über 80 Kilometer, zudem holte sie bis heute sechs WM-Medaillen im Skibergsteigen.
Als ich im Januar 2015 ein telefonisches Interview mit Emelie führen sollte, hielt ich mich in Kenia auf, wo ich einen Freund besuchte. Vor dem verabredeten Termin hatte ich eine Kitestunde, die länger dauerte, als geplant. Weil ich mich noch dazu in der Zeitzone vertan hatte, war ich spät dran, und so rannte ich eine gute halbe Stunde in für mich hohem Tempo am Strand von Diani Beach entlang; dank Ebbe und weit zurückgezogenem Meer eine malerische Laufstrecke zwischen Palmen und türkisblau leuchtendem Wasser, aber – ich war im Stress.
Emelie Forsberg war damals schon mit Kilian Jornet liiert, den ich eigentlich als Interviewpartner angefragt hatte. Weil der zu dieser Zeit kein Interesse an einem Interview verspürte, vermittelte mir sein Sponsor den Termin mit Emelie. Nun hatte ich reichlich afrikanische Sonne abbekommen, erreichte das Haus meines Freundes wenige Minuten vor dem verabredeten Gesprächstermin, war erschlagen von der Hitze, müde von der Surfstunde, außer Puste vom Strandlauf und noch dazu nicht unbedingt gut vorbereitet.
Ich rief Emelie über eine wacklige Internetverbindung per Skype® an. Die Umstände für ein Interview mit einer unbekannten Person waren nicht optimal. Ich hatte keinen Bock. Ich hatte Sand in den Shorts. Ich war unentspannt und hatte Bedenken, meine Unruhe könnte sich auf das Interview übertragen, sodass es ein Gespräch würde, das auch Emelie keinen Spaß machte.
Es wählte durch. Plötzlich hatte ich eine so nette, so frische, so lebensfrohe und vergnügte Stimme im Ohr, dass sich meine Verfassung in einem einzigen Augenblick ins Gegenteil verkehrte. Es war ein wunderbares Telefonat. Locker, positiv und inspirierend; vom Äquator ins norwegische Tromsø, inmitten des Polarkreises.
Während über mir hörbar die Affen auf dem Dach herumkletterten, erzählte mir Emelie von der Insel Lyngen, wo sie vorübergehend mit Kilian Jornet gelebt hat, ein Ort, den sie wegen seiner „unglaublich puren, wirklichen Umgebung mit zerklüfteten, arktischen Bergen“ liebte.
Die Kälte schien mir in diesem Augenblick unglaublich weit entfernt. Warum sie nicht lieber am Strand abhänge, ihr Leben stattdessen in den Bergen, in unwirtlichen Regionen verbringe, fragte ich sie. „Ich denke, dass alles auf irgendeine Weise miteinander verbunden ist und zusammengehört“, sagte Emelie: „In den Bergen lässt sich das besonders gut beobachten. Am besten, man verbringt seinen Tag mit einer Kombination aus Laufen und Klettern. Ich bewege mich gerne mit Händen und Füßen gleichzeitig, dabei bin ich extrem fokussiert auf die Umgebung, die sich direkt vor mir befindet. Daraus entstehen besonders echte Momente.“
Es gibt nur die Wolken oder den blauen Himmel, und die riesigen Sechstausender liegen irgendwo dort unten.
Berge sind von Natur aus eine geeignete Kulisse für große Herausforderungen und starke Emotionen. Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen professionellen Kletterern und Bergsteigern gesprochen, dabei traf ich ausnahmslos auf Interviewpartner, die viel erlebt,