Ermordet zwischen Sylt und Ostfriesland: 6 Küstenkrimis. Alfred Bekker

Ermordet zwischen Sylt und Ostfriesland: 6 Küstenkrimis - Alfred Bekker


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wäre dann Herr Doktor Carsten Haferkamp“, führte sie gerade aus. „Leider steht er im Moment nicht zur Verfügung. Er hat einen auswärtigen Termin mit einem Mandanten.“

      Sie warf einen Blick auf die Wanduhr, ein offensichtlich antikes Stück in einem Messinggehäuse. „Er müsste jede Minute zurück sein. In der Zwischenzeit können Sie mir erzählen, worum es geht.“

      „Das würde ich lieber mit dem Herrn Notar direkt besprechen“, kam Winkels´ spitze Antwort.

      „Dann nehmen Sie bitte so lange Platz.“

      Ehe er sich auf einem der Ledersessel niederlassen konnte, öffnete sich die Tür, und ein gut aussehender Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren betrat den Raum. Dreiteiliger Anzug mit Spitzentüchlein in der Brusttasche, auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe, akkurat gescheiteltes Haar, leicht ergraut, rosige Gesichtsfarbe.

      „Da bin ich wieder“, sagte er zu der Dame gewandt.

      Dann fiel sein Blick auf Winkels. Er starrte ihn sekundenlang an. Dann zog ein Lächeln über sein Gesicht.

      „Ich kenne Sie!“

      Er schnippte mit den Fingern. „Ich hab´s gleich. Warten Sie! Ja, Sie sind Kommissar Winkels. Erinnern Sie sich?“

      Winkels konnte sich nicht erinnern.

      „Das ist lange her, fünfzehn oder zwanzig Jahre. Ich war ein ganz junger Anwalt und habe einen nichtsnutzigen Dieb vor Gericht verteidigt. Sie waren der Kommissar, der ihn verhaftet hat, und ich konnte Sie im Kreuzverhör nicht von Ihrer Meinung abbringen. Es war mein erster Fall vor Gericht, und ich habe ihn verloren. Daraufhin habe ich beschlossen, die Karriere als Strafverteidiger an den Nagel zu hängen.“

      Er machte eine kreisende Handbewegung. „Das war eine gute Entscheidung, wie Sie hier sehen.“

      Der ehemalige Hauptkommissar konnte sich beim besten Willen nicht an das Gerichtsverfahren erinnern. Er hatte zu oft als Zeuge vor Gericht gestanden, um jeden einzelnen Fall im Gedächtnis zu behalten.

      Der Notar ging auf eine holzgetäfelte Tür im Hintergrund zu. „Kommen Sie! Gehen wir in mein Büro. Ich habe eine halbe Stunde Zeit.“

      Tjade Winkels folgte ihm in ein großes Büro, das neben dem englischen Schreibtisch mit einem rechteckigen Konferenztisch für mindestens acht Personen ausgestattet war.

      Haferkamp nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

      „Nun, was kann ich für Sie tun?“

      „Wir sind im Zusammenhang mit mehreren Todesfällen auf eine merkwürdige Tatsache, eine Gemeinsamkeit, gestoßen. Die Toten wurden ermordet, zwei davon mit Gewissheit, beim dritten steht das Ergebnis der Autopsie noch aus.“

      „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es einige vermutliche Morde in unserer Stadt gab. Bei dem Bericht über eine Erna B. in der Seniorenresidenz Waldfrieden wusste ich sofort, dass es sich nur um meine Mandantin handeln konnte. Ich kannte sie persönlich. Eine nette und hilfsbereite Frau. Wer tut so etwas?“

      „Da komme ich gleich zum Punkt. Die Genannte war tatsächlich Erna Bräker, die regelmäßig von einem Konto Ihrer Kanzlei Geldbeträge erhielt. Erhebliche Beträge.“

      Er spürte, wie sich der Notar versteifte.

      „Die beiden anderen Todesfälle“, fuhr er ungerührt fort, „betrafen Personen, die ebenfalls Geld von Ihnen erhielten. Die gleiche Summe zum gleichen Zeitpunkt. Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Treuhandkonto handelt, das von Ihrer Kanzlei verwaltet wird.“

      Es dauerte fast eine Minute, ehe sich Haferkamp zu einer Antwort entschloss.

      „Ja, das ist richtig.“

      Winkels beugte sich vor. „Wir sind uns einigermaßen sicher, dass diese Überweisungen uns zum Motiv für die Morde führen.“

      „Sie sprachen von zwei weiteren Fällen. Bisher war mir nur klar, dass Frau Bräker gemeint war.“

      „Die beiden anderen Toten sind Wilhelm Papendieck, der von der Leiter gestoßen wurde, und Walter Köhler, der im Krankenhaus ermordet wurde. Der Täter versuchte, die Morde wie einen Unfall oder einen natürlichen Tod aussehen zu lassen, doch das ist bei den heutigen Untersuchungsmethoden ziemlich schwierig zu bewerkstelligen.“

      Haferkamp lehnte sich zurück. Seinem Gesicht war die Erschütterung über diese Information anzusehen. „Das ist ja furchtbar.“

      „Wir würden nun gerne wissen, welche Bewandtnis es mit diesen Überweisungen auf sich hat.“

      Haferkamp nahm einen Füller in die Hand und spielte gedankenverloren damit herum.

      „Das ist eine schwierige Situation für mich“, sagte er schließlich. „Durch das Anwaltsgeheimnis sind mir die Hände gebunden.“

      „Auch nach dem Tod?“

      „Es gäbe eine Möglichkeit…“

      „Woran denken Sie?“

      Haferkamp legte den Stift wieder in die Federschale. „Alle Betroffenen haben bei mir ihre Testamente hinterlegt, und es gibt jeweils eine offizielle Testamentseröffnung. Bei dieser Gelegenheit könnten Sie ebenfalls erfahren, was der Verstorbene festgelegt hat. Ich könnte dafür sorgen, dass diese Eröffnungen sehr zeitnah erfolgen.“

      Winkels nickte. „Wir haben allerdings noch ein viel gravierenderes Problem. Ich habe nämlich gehört, dass neben den drei Verstorbenen noch weitere Personen zu dieser Gruppe gehören sollen, die vermutlich ihre Testamente ebenfalls bei Ihnen hinterlegt haben.“

      Er zog einen Zettel aus der Tasche. „Ich habe mir die Namen aufgeschrieben. Heinz Bartels, Karl Ahlsen und Martha Weber. Die beiden Herren wohnen ebenfalls in der Seniorenresidenz Waldfrieden. Gibt es für sie ein ähnliches Arrangement?“

      Der Notar nickte zögerlich.

      „Dann sind diese drei Genannten vermutlich in Lebensgefahr“, stellte Winkels mit ruhiger Stimme fest.

      Haferkamp wurde blass um die Nase.

      „Wieso?“ krächzte er.

      „Ich denke, dass jemand hinter dem Geld her ist, das Sie diesen Leuten monatlich auszahlen, und wir müssen wissen, welche Regelung dahinter steckt. Wir müssen weitere Morde unbedingt verhindern, das verstehen Sie doch.“

      Haferkamp druckste etwas herum.

      „Ich kann Ihnen so viel sagen, dass es sich insgesamt um die genannten sechs Personen handelt, die durch diese Zahlungen miteinander verbunden sind.“

      „Woher stammt das Geld?“

      „Die sechs haben eine Tippgemeinschaft gebildet, und sie haben gewonnen.“

      „Viel?“

      Haferkamp nickte. „Sehr viel. Es war der Hauptgewinn. Sie haben vereinbart, dass jeder einen monatlichen Betrag von einem Treuhandkonto erhält, das wir eingerichtet haben.“

      Winkels war einen Moment sprachlos.

      „Gut. Das erklärt die regelmäßigen Zahlungen. Ich verstehe jedoch nicht, weshalb das ein Grund für die Morde sein könnte. Wenn ein Erbe an die Gewinnsumme herankommen will, ist doch nur ein Mord nötig, oder liege ich mit meinen Annahmen völlig falsch?“

      Es fiel dem Notar sichtlich schwer, mit den Fakten herauszurücken.

      „Ja und nein. Die sechs haben einen Pakt geschlossen. Die Einzelheiten habe ich jetzt nicht im Kopf, und ich dürfte sie Ihnen auch noch nicht verraten. Ich werde versuchen, die erste Testamentseröffnung in zwei Tagen abzuhalten. Dort können Sie erfahren, was dieser Pakt genau bedeutet. Für erste nur so viel: die Partner der Tipp-Gemeinschaft haben sich gegenseitig zum Erben eingesetzt. Wenn also einer von ihnen stirbt, geht das Geld an die übrigen Teilnehmer. Die normalen Erben sollen von diesem Gewinn nur ihren gesetzlichen Pflichtanteil erhalten, sonst nichts.“


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