Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
Bestände der Korrespondenz vernichtet, als die Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume durchsuchte, na klar, der Kerl hatte einen Tipp bekommen oder geahnt, dass mehrere enttäuschte Kunden ihn angezeigt hatten. Gesamtschaden um die 18,6 Millionen, der Betrug sprang einem förmlich entgegen, aber es fehlten die Beweise, die schriftlichen Unterlagen. Und Tepper hatte gestrampelt wie der Frosch, der in den Milchkrug gefallen war. Einer der leider nicht seltenen Fälle, in denen man alles wusste und kaum etwas beweisen konnte. Darüber hatte Driesch sich aufgeregt, das tat er auch heute noch, sieben Jahre klüger und zynischer, aber dass ihm dieser Fall im Gedächtnis ... Da steckte das Blatt. Die Anweisung des leitenden Oberstaatsanwaltes, das Ermittlungsverfahren einzustellen. Er hatte remonstriert, Donnerwetter, damals pflegte er noch einen saugroben Ton, der aber auch nichts genutzt hatte, zweite Anweisung und der beiläufige Hinweis auf eine mögliche Änderung der Geschäftsverteilung. Driesch grunzte. Der Leitende gehörte zur Gattung der arroganten Besserwisser und hatte von oben herab genäselt: »Den kriegen Sie ja doch nicht, verschwenden Sie nicht wertvolle Zeit an eine aussichtslose Sache.« Was sachlich vielleicht nicht einmal falsch war, aber der Ton bestimmte nun mal die Musik und der hässliche Gedanke, dieser Tepper habe irgendwo einen Gönner, der eine schützende Hand über ihn hielt, hatte ihn noch viele Wochen gequält, nachdem er der Anweisung gefolgt war. Tepper, Karin - nein, von ihrer Unschuld hatte er sich selbst überzeugt.
Am nächsten Tag nieselte es, das Zimmerchen war kühl und Karin hauchte auf ihre kalten Finger.
»Das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mann ist eingestellt worden«, erklärte Driesch nüchtern und beobachtete die Frau scharf. Die Auskunft schien sie zu erstaunen, aber vielleicht schauspielerte sie auch nur überzeugend.
»Das ist ja - dann wissen Sie also nicht, wo Wolfgang - mein Mann - jetzt steckt?«
»Nein, Frau Tepper, die Justiz hat kein Interesse mehr an Ihrem Mann.«
»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte sie hilflos und Driesch zuckte die Achseln: »Haben Sie einmal an einen Privatdetektiv gedacht?«
»Da war ich schon, bei Altmann & Müller, aber die haben abgewinkt. Keine Chance, meinen sie.«
»Das spricht für ihre Seriosität«, versetzte er burschikos. »Tja, das wär's dann wohl, Frau Tepper.«
Für Feiern hatte Norbert Driesch nicht viel übrig, erst recht nicht, wenn sie in der deprimierend hässlichen Kantine der Staatsanwaltschaft stattfanden. Aber vor der Verabschiedung seines Kollegen Samtleben konnte er sich nicht drücken und deshalb handelte er mit sich selbst einen Kompromiss aus: Er würde sich erst nach den feierlichen Reden dort blicken lassen; dann war zwar das kalte Buffet bis auf klägliche Reste geplündert, aber darauf verzichtete er ohnehin gern. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, ein paar private Sätze mit Samtleben zu wechseln, den er wegen seiner ruhigen, bedächtigen Art mehr als die meisten anderen Kollegen schätzte. Bei ganz viel Glück traf er auch die Neue ... Er klemmte die Mundwinkel ein.
Die Reihen hatten sich tatsächlich schon gelichtet, aus Erfahrung erkannte Driesch, dass sich bereits die harten Kerne bildeten, die bis kurz vor Mitternacht durchhalten würden, entweder hier oder in einer Kneipe neben dem Landgericht. Es roch durchdringend nach Wein und Bier, unter der Decke schwebte der blaue Baldachin aus Zigaretten- und Pfeifenrauch und aus einer Gruppe erscholl ein Lachen, wie es nur deftige Männerwitze auslösten. In der entferntesten Ecke hielt der leitende Oberstaatsanwalt Hof und Driesch schnitt eine Grimasse. Der Leitende hieß Hommel, der Spitzname Hammel ergab sich also unvermeidlich und wie ein Leithammel benahm er sich gelegentlich auch. Zu Beginn seiner Laufbahn war Hommel schnell befördert worden, alle prophezeiten ihm eine blendende Karriere, aber aus unerfindlichen oder gut geheim gehaltenen Gründen erlitt sie einen Knick. Seitdem kompensierte Hommel seine Frustrationen durch peinliche Anbiederung oder ebenso unverständliche Feindseligkeit. Driesch ging ihm aus dem Weg, zwischen ihnen herrschte eine Art brüchiger Waffenstillstand, den keiner von ihnen testen oder durch mehr als unvermeidliche Kontakte belasten wollte.
»Ich habe Sie schon vermisst«, tadelte Samtleben neben ihm vergnügt und Driesch lachte ihm zu: »Sie kennen doch meine klaustrophobischen Anwandlungen.«
»Es war wirklich unerträglich eng.«
»Wie alles in diesem Hause.«
Den Doppelsinn hatte Samtleben natürlich verstanden und deshalb gestand er verschwörerisch: »Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit ...«
»Ah ja?«
»Doch, doch. Einerseits leugne ich nicht, dass ich den Betrieb vermissen werde, aber auf der anderen Seite übt der Gedanke, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben, einen gewaltigen Reiz aus.«
»Sie waren klug genug, sich rechtzeitig ein Hobby zuzulegen.«
Vor drei Jahren hatte Samtleben seinen ersten Aufsatz über die Entwicklung der niederen Gerichtsbarkeit im Erzbistum Trier veröffentlicht, der von der historischen wie der juristischen Zunft sehr wohlwollend aufgenommen worden war, und Driesch wusste, dass der Kollege jetzt jede freie Stunde in Archiven und Bibliotheken verbrachte.
»Ach, Hobby, Herr Driesch. Das alte Geschäft auf der Basis der Freiwilligkeit.«
»Aber immerhin ohne einen Leithammel im Nacken.«
»Dafür allerdings danke ich aus ganzem Herzen.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, viel Zeit und viel Gesundheit. Dass ich Sie nicht gern davonziehen sehe, wissen Sie ja.«
Samtleben kniff ihm ein Auge zu; sie gaben sich nicht die Hand, dazu verstanden sie sich zu gut. Außerdem war beiden klar, dass Samtleben noch mehr als einmal hier zu Besuch erscheinen würde, er zählte zu den glücklichen Menschen, die ohne Groll und Kränkung aus ihrem Beruf schieden.
Eine Viertelstunde schlich Driesch durch den Saal, redete ein paar Sätze mit einigen Kolleginnen und Kollegen, hielt sich aber bei keiner Gruppe länger auf, weil er in einer Ecke die neue Kollegin Brigitte Damerow entdeckt hatte. In großen Kurven pirschte er sich an sie heran und zweimal begegneten sich zufällig, aber viel versprechend ihre Blicke.
»Sieh da, Herr Kollege Driesch.«
Als die joviale Stimme hinter ihm ertönte, verfluchte Driesch seine Unaufmerksamkeit. Auch der Leithammel hatte sich in Bewegung gesetzt und kreuzte nun seinen Weg. Nach einem Blick in das leicht gerötete Gesicht stand fest, dass Hommel die Phase der Leutseligkeit erreicht hatte.
»Wir haben Sie schon vermisst.«
Du verdammter Lügner, dachte Driesch erbost. Laut erklärte er möglichst ausdruckslos: »Ich wurde von einer Frau aufgehalten.«
»Das ist doch eine angenehme Belästigung.«
»Nicht unbedingt, Herr Hommel. Eine Frau Tepper, Karin Tepper.«
»Sagt mir nichts, der Name.«
»Vor sieben Jahren habe ich gegen ihren Ehemann Wolfgang ermittelt. Betrügerischer Konkurs, Betrug, Urkundenfälschung.«
Hommel runzelte die Stirn, auch bei ihm schien ein Glöckchen anzuschlagen.
»Der Kerl, der rechtzeitig alle Unterlagen beseitigt hatte.«
Jetzt zog Hommel die Augenbrauen zusammen, aber Driesch strahlte in schönster Harmlosigkeit: »Sie haben mich damals angewiesen, die Ermittlungen einzustellen.«
»Hab ich das?«
Darauf nickte Driesch nur, gespannt, wie sich Hommel aus der Affäre ziehen würde, doch der Leitende verschwendete keinen Gedanken daran, dass ein Untergebener ihm wegen einer Entscheidung grollen könnte, sondern erkundigte sich neugierig: »Und was wollte seine Frau - wie hieß sie noch?«
»Tepper, Karin Tepper.«
»Ah ja! Und was wollte sie von Ihnen?«
»Sie war nach Amerika entschwunden, noch bevor das Verfahren eingestellt wurde. Nun hat sie’s wieder in die Heimat verschlagen und ich soll ihr helfen, den Ehemann zu finden.«
»Nach