Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland

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paar Schritte bis zur Fensterfront. Er blickte hinaus in Richtung Atlantik. Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Schließlich fuhr "El Columbiano" in gedämpftem Tonfall fort: "Ich hatte immer gehofft, dass Dolores auf den rechten Weg zurückfindet. Schon um ihrer Mutter willen..."

      "Mit Ihrer Frau hätten wir auch gerne gesprochen", sagte ich.

      "Das dürfte kaum möglich sein."

      "Warum?"

      "Meine Frau ist seit längerem psychisch krank. Sie befindet sich im Sanatorium von Ebenezar, Rhode Island. Falls Sie versuchen sollten, Kontakt mit ihr aufzunehmen, werde ich alles tun, um das zu verhindern."

      "Soll das seine Drohung sein?"

      "Fassen Sie es auf, wie Sie wollen, Mister Trevellian. Wenn meine Frau von Dolores' Tod erfährt, könnte das ihren Zustand sehr verschlimmern. Und nun betrachte ich dieses Gespräch als beendet." Montalban wandte sich an die Bodyguards, die die ganze Zeit über gewartet hatten. "Bringt sie raus!"

      "Moment!", rief ich.

      "Ihre Zeit ist um, G-man. Ich gehe nicht davon aus, dass sie ernsthaft daran interessiert sind, den Mord an meiner Tochter aufzuklären. Ich wüsste also nicht, worüber wir weiter zu reden hätten!"

      "Wir können das Gespräch gerne im Bundesgebäude an der Federal Plaza fortsetzen!", erwiderte ich. "Aber vielleicht sind Sie ja vernünftig und geben uns doch noch ein paar Auskünfte."

      Rick Montalban lag eine Erwiderung auf der Zunge. José legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter. El Columbiano beruhigte sich daraufhin wieder etwas und schwieg. José sagte ein paar Sätze auf Spanisch.

      Anschließend wandte sich der Kronprinz des Kolumbianers an uns. "Mein Vater ist sehr mitgenommen von der Nachricht, die Sie ihm überbringen mussten. Ich glaube, es wäre das Beste, wir setzen das Gespräch ein anderes Mal fort. Ich werde in der Zwischenzeit mit meinem Vater reden..."

      Ich hatte eigentlich keine Lust, diesen Gangsterboss so einfach davonkommen zu lassen. Rick Montalban spielte mit falschen Karten. Er verschwieg uns etwas.

      Aber Milo nickte mir leicht zu. "Geht schon in Ordnung!"

      Milo hatte Recht.

      Dieser Mann mochte ein übler Krimineller sein. Aber in diesem Moment war er in erster Linie ein Vater, der seine Tochter verloren hatte. Dafür hatte er Mitgefühl verdient, was auch immer er auf dem Kerbholz haben mochte.

      José wechselte ein paar Sätze Spanisch mit den Bodyguards und begleitete uns anschließend anstelle dieser kampflustigen Gorilla-Meute zum Wagen.

      "Ich sehe ein, dass Sie unsere Hilfe brauchen", erklärte er, als wir allein waren. "Im Grunde haben wir dasselbe Interesse: Der Mord an meiner Schwester muss aufgeklärt werden."

      "Ihr Vater scheint das etwas anders zu sehen", erwiderte ich.

      "Mein Vater gehört einer anderen Generation an. Er kam als Einwanderer und musste sich nach oben kämpfen. Die Polizei war dabei nicht immer ein Freund und Helfer für einen jungen Latino, der es zu etwas bringen wollte. Ich hingegen bin hier geboren."

      Mir kommen die Tränen, dachte ich. Jetzt versuchte José seinen Vater als armes Opfer von polizeilicher Diskriminierung darzustellen. Ehe ich etwas erwidern konnte, reichte José Montalban mir eine Visitenkarte.

      "Besuchen Sie mich in meinem Firmenbüro in der Seventh Avenue. Da können wir uns vielleicht ungestört unterhalten, Agent Trevellian."

      "Darauf werde ich bestimmt zurückkommen", antwortete ich.

      6

      "Was hältst du von dem Kerl?", fragte Milo, nachdem wir das abgezäunte Gelände rund um das Montalban-Anwesen verlassen hatten.

      "Von wem sprichst du? Dem Vater oder dem Sohn?"

      "Ich meine José."

      "Ein aalglatter Typ. Ehrlich gesagt, kann ich mir noch keinen Reim darauf machen, was für ein Spiel er spielt."

      "Ich habe das Gefühl, dass es gewisse Gegensätze zwischen Vater und Sohn gibt, Jesse."

      "Ja, das glaube ich auch."

      "Vielleicht kommt ja wirklich etwas dabei heraus, wenn wir uns mit ihm allein unterhalten. Und gleichgültig, womit Dirty Rick uns auch drohen mag – vielleicht werden wir uns doch noch mit Mrs. Montalban reden müssen!"

      "Mal abwarten."

      Ich schaltete einen Gang höher und beschleunigte den Sportwagen etwas.

      "Dirty Rick hat uns nach Strich und Faden belogen", sagte Milo. "Ich wette, es gab eine Entführung. Und ich wette auch, dass der große Boss ganz genau weiß, wer dahinterstecken könnte. Aber davon sagt er uns keinen Ton, weil er selbst mit den Schuldigen abrechnen will!"

      "Falls das stimmt, haben die Betreffenden keine besonders große Lebenserwartung mehr."

      "Du sagst es."

      "Über eins komme ich allerdings bei Montalban nicht hinweg, Milo!"

      "Worüber sprichst du?"

      "Ich nehme Dirty Rick ab, dass er als tiefgläubiger Katholik über das Satanszeichen auf dem Rücken seiner Tochter entsetzt war..."

      "Mal ehrlich: Man muss doch kein Katholik sein, um davon nicht begeistert zu sein, Jesse?"

      "...aber dieser Kerl findet nichts dabei, mit dem Finger zu schnipsen und eine Armee von Killern von der Kette zu lassen, wenn ihm irgendein Gesicht nicht passt. Mal davon abgesehen, dass seinetwegen Tausende Crack-Süchtige wie lebende Zombies durch die Gegend gehen, bevor sie schließlich jämmerlich krepieren."

      "Sei fair, Jesse: Die Justiz konnte ihm nie etwas nachweisen!"

      "Dass du in diesem Zusammenhang von Fairness sprichst, Milo, wundert mich! Wenn du mich fragst, ist nicht fair, dass dieser Verbrecher seinen Kopf bislang immer aus der Schlinge ziehen konnte!"

      Milo zuckte die Achseln. "Schätze, den Teil über Nächstenliebe hat El Columbiano in der Bibel rasch überschlagen..."

      7

      Von der Müllkippe an der Cannary Lane aus machten sich Clive Caravaggio und unser indianischer Kollege Orry Medina auf den Weg zu Dolores Montalbans New Yorker Wohnung.

      Sie lag in Greenwich Village in einem Gebäude, das im Stil der sogenannten Cast Iron-Architektur errichtet worden war, die von großen, zusammengeschweißten Metallplatten gekennzeichnet wurde. Man imitierte damit den Stil von Fabrik- und Lagerhallen, die diesen Stadtteil ursprünglich geprägt hatten. In den sechziger und siebziger Jahren hatten sich viele Künstler hier niedergelassen, die in den Achtzigern von den Yuppies verdrängt worden waren. Aber in Häusern zu wohnen, die wie Industriebauten aussahen, war immer noch hip.

      Dolores Montalbans Wohnung lag im vierten Stock.

      Clive und Orry ließen sich mit dem Aufzug hinauffahren.

      Ein Team der Scientific Research Division war verständigt worden und auf dem Weg hier her. Es würde dafür sorgen, dass Dolores' Zimmer erkennungsdienstlich genauestens unter die Lupe genommen wurde.

      Unsere Kollegen erreichten die massive Stahltür.

      Sie stand einen Spalt offen. Am Zustand des Schlosses war zu sehen, dass sie gewaltsam geöffnet worden war.

      Clive und Orry wechselten einen kurzen Blick. Beide griffen zu den Dienstpistolen vom Typ SIG Sauer P226 und postierten sich rechts und links der Tür.

      Offenbar gab es noch jemanden, der sich für die Wohnung von Dolores Montalban interessierte.

      Orry öffnete mit einem Tritt die Tür. Sie flog zur Seite.

      Clive stürzte mit der SIG im Anschlag in den Raum. "FBI! Hände hoch!", rief er. Orry sicherte ihn von hinten.


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