Wirtschaft hacken. Uwe Lübbermann

Wirtschaft hacken - Uwe Lübbermann


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– seinem Wunsch entsprechend – namentlich aber nicht genannt wird.

      Ich komme aber nicht allein zu Wort. Meine Stimme wird durch die Stimmen von Kolleginnen und Geschäftspartnerinnen ergänzt, damit ein breiteres Bild entsteht. Außerdem äußern sich einige Wirtschaftswissenschaftlerinnen zu Wort, mit denen ich schon länger zusammenarbeite. Sie verknüpfen meine Arbeit mit verschiedenen Modellen aus der Ökonomie. Den Abschluss bildet eine Art nachgetragener Auto-Biographie, eine kurze Skizze der Wegmarken, die vielleicht erklären, wie ich wurde, was ich bin. Sie soll Mut machen, es mir nachzutun – das heißt: selbst etwas zu unternehmen, um unsere Wirtschaft ein bisschen sozialer und nachhaltiger zu machen. Wie das im Einzelnen gehen kann, erzählen die vorangehenden Kapitel anhand einzelner Fragen. Was ist ein Kollektiv? Was bedeutet es überhaupt, zusammenzuarbeiten? Wo hört das eigene Unternehmen auf und wo fängt das fremde an? Wie findet man gemeinsam die beste Lösung? Wie viel Führung brauchen kollektive Unternehmungen und welche Aufgaben hat sie? Wieso muss ich auf dem Fusion Festival weder den Eintritt noch mein Bier bezahlen? Und wie habe ich meine Hauptunternehmung, den Getränkeproduzenten Premium-Kollektiv, durch die Coronakrise geführt?

Logo des Twitter-Accounts von Uwe Lübbermann Neuigkeiten kommuniziere ich übrigens auf www.twitter.com/luebbermann unter #wirtschafthacken und freue mich auch, wenn man das aufgreift und selbst anfängt, zu hacken.

      Hamburg im April 2021

       Uwe Lübbermann

      Einleitung

      Auf den ersten Blick sieht das vielleicht seltsam aus. Warum sollte eine Firma für andere einstehen, wenn es im Kapitalismus doch darum geht, den eigenen Vorteil zu maximieren und wir alle Einzelkämpferinnen sind? Wir merken jedoch jeden Tag, dass das gut funktioniert und für alle Vorteile hat. Wenn ich mich anderen gegenüber fair verhalte und mich mit ihnen solidarisiere, verhalten sie sich mir gegenüber früher oder später genauso – meistens jedenfalls.

      Wir ziehen keine Grenze zwischen uns und denen, mit denen wir zusammenarbeiten, also unseren Zuliefererinnen, Spediteurinnen oder Kundinnen. Wer von uns betroffen ist, gehört dazu. Und wer dazugehört, darf mitreden. Das bedeutet: Man sitzt mit am Tisch, wenn darüber gesprochen wird, wer was wann macht und was man dafür bekommt. Das handeln wir alles aus, konsensdemokratisch. Denn keine ist wichtiger als die andere. Schließlich kann niemand von uns das Geschäft allein machen. Jemand muss den Sirup herstellen, die Cola mischen, die Etiketten und die Flaschen produzieren, befüllen, liefern, abrechnen und buchhalten. Jemand muss all diese Prozesse organisieren und schließlich muss jemand die Cola kaufen. Erst dann ist das Unternehmen komplett und es gibt keinen Grund anzunehmen, eine Beteiligte wäre wichtiger als die andere.

      Sicher, es gibt einen Markt für Flaschen, Etiketten, Sirup, Frachtkontingente und natürlich Arbeitskräfte und wir haben uns als Gesellschaft daran gewöhnt, Leistungen nach ihrem Marktpreis zu bezahlen, das heißt nach der Macht, die jemand gegenüber anderen hat. Im Premium-Kollektiv finden wir das jedoch nicht richtig. Niemand sollte diese Macht oder Überhand gegenüber anderen ausüben, denn wir glauben, dass alle Menschen gleichwürdig sind und mithin die gleichen Rechte und Freiheiten haben sollten und nicht eine Person mächtiger sein sollte als andere. Genau genommen ist sie das auch nicht, auch nicht in den traditionellen Unternehmen, in denen es eine Chefin oder Inhaberin gibt, die alles steuert und das meiste Geld kassiert. Denn was hilft es ihr, die Chefin zu sein, wenn sie nicht den Sirup anrühren, die Cola mischen und abfüllen und den Lkw fahren kann, der die Sachen zu Kundinnen bringt, wenn sie nicht die einzelnen Flaschen ausgeben und abrechnen kann. Das alles kann kein Mensch allein tun, sie braucht dafür viele andere und weil das so ist, sind alle gleich wichtig.

      Das Ungleichgewicht entsteht dadurch, dass es Menschen gibt, die etwas besitzen, und andere, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen und diese auf dem Markt zu jedem Preis verkaufen müssen, der ihnen geboten wird, wenn sie nicht im Elend leben möchten. Sie sind nicht frei, wie es die Ideologie des Marktes behauptet, sondern bestenfalls frei zu verhungern, und diese Ungleichheit erzeugt falsche Hierarchien. Wäre es nicht so, dass manche etwas besitzen und viele nichts, und müssten jene, die nichts besitzen, nicht für die Besitzenden um fast jeden Preis arbeiten (weil es beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe), so würde sich die Gleichheit im Geschäftsleben fast von allein herstellen. Die Ungleichheit ist kein Ausdruck unterschiedlicher Leistung, sondern das Resultat einer vorgängigen Ungleichheit, die der Markt perpetuiert.

      Da wir diese Ungleichheit aus Gründen der Gleichwürdigkeit aller Menschen ablehnen, verdienen bei uns alle denselben Stundenlohn, ich natürlich auch. Zulagen gibt es nur für besondere Bedürfnisse, zum Beispiel wenn jemand Kinder hat oder Angehörige pflegt, eine Behinderung hat, oder ein häusliches Arbeitszimmer braucht (wir hatten noch nie ein Büro). Denn all das macht das Leben besonders teuer und Kollektivistinnen, die damit zu tun haben, brauchen entsprechend mehr Geld, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen.

      Wie dieses egalitäre und partizipative Geschäftsmodell im Einzelnen funktioniert, welche Vorteile es bringt und welche Probleme es löst, aber auch welchen Herausforderungen es sich gegenübersieht, möchte ich im Folgenden beschreiben. Dabei kommen auch einige Kollektivistinnen und andere Betroffene zu Wort. Einige von ihnen stelle ich im nächsten Kapitel vor, um einen Einblick in unser Kollektiv zu geben und einige Grundannahmen unseres Arbeitens, die ich hier nur angerissen habe, genauer darzustellen.

      1Bei uns arbeiten etwa gleich viel Männer wie Frauen, im Kollektiv sind auch einige Diverse. Ich verwende das generische Femininum. Wenn ich Kollektivistinnen schreibe, sind Männer und Diverse darin eingeschlossen.

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