Wirtschaft hacken. Uwe Lübbermann

Wirtschaft hacken - Uwe Lübbermann


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gut Brot oder Schuhe oder Seife vertreiben, und seit Corona planen wir tatsächlich, auch andere Produkte in unser Portfolio aufzunehmen, um von der Gastronomie unabhängiger zu werden. Solange die Produkte bestimmten moralischen Standards entsprechen und nachhaltig sind, sind wir flexibel. Es geht um die Reichweite und Veränderung. Hier sind die Veranstaltungen und Workshops an Universitäten, in Behörden und Firmen, bei denen wir über unsere Erfahrungen sprechen und dafür werben, es uns nachzutun, sehr effizient, weil wir damit immer wieder viele Menschen erreichen. Ich bezeichne sie als den dritten Ring meiner Zwiebel. Auch dieses Buch gehört dazu: Wirtschaft hacken. Ich glaube, unser Wirken lässt sich durchaus in Analogie zum Hacken von Computern verstehen. Wir übernehmen einen kleinen Teil des Systems und breiten uns dann immer weiter aus – wie ein Virus in der Software.

      Damit uns das gelingt, ist jedoch absolute Offenheit und Transparenz nötig. Im Kollektiv und in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen. Wir haben deshalb nicht nur einen Einheitslohn, sondern legen auch unsere Kalkulationen offen. Unsere Preise sind transparent und die jeweiligen Anteile werden konsensdemokratisch beschlossen. Eine Flasche Cola kostet in der Gastronomie zwischen 78 Cent und 3,30 Euro. Je nachdem, ob sie in einem Non-Profit-Café in Magdeburg oder in einer Bar im Frankfurter Bankenviertel verkauft wird. Zu welchem Preis die Wirtin die Cola verkauft, ist erst einmal ihre Sache. Wir sind uns aber alle einig darüber, dass sie den größten Anteil pro Flasche haben muss, weil sie die anteilsmäßig größten Kosten und den größten Aufwand pro Flasche hat. Immerhin muss sie nicht nur die Flasche bezahlen, sondern auch die Lokalmiete, das Personal, die Lüftung, Heizung, den Strom, die GEMA, Umsatzsteuer und noch vieles mehr, damit eine Kundin die Cola bei ihr kaufen und trinken kann. Ihr Aufwand für den Verkauf einer Flasche ist damit viel höher als zum Beispiel jener der Getränkehändlerin, die ihr die Cola kistenweise liefert. In der Zeit, in der die Wirtin eine Flasche über den Tresen reicht, stellt ihr die Händlerin vier Kisten ins Lager. Deshalb bezahlt die Wirtin ihr nur 65 Cent netto pro Flasche. Die Getränkehändlerin kauft die Cola von einer Großhändlerin palettenweise für 54 Cent und diese nimmt uns die Cola in Lkw-Ladungen für 40 Cent die Flasche ab. Von diesen 40 Cent die Flasche bestreiten wir unsere Produktionsund Logistikkosten und behalten einen Anteil übrig. Der beträgt 18,5 Cent pro Flasche. Damit bezahlen wir – wie alle anderen auch – Mitarbeitende, Lager, CO2-Ausgleich, Musterflaschen, Etiketten, Grundkosten des Unternehmens wie Server, Domains, Steuerberatung und Steuern natürlich auch. Wir haben übrigens 2013 eine Steuerprüfung gehabt und diese ohne eine einzige Beanstandung überstanden. Es gibt außerdem einen Cent pro Flasche für Investitionen und Krisenrücklagen, aber es gibt keinen Gewinnanteil, den Inhabende für sich entnehmen dürften. Gewinn ist daher kein Ziel des Unternehmens. Ab und zu kommen Gastronominnen und fordern einen günstigeren Einkaufspreis, oder Händlerinnen oder Zulieferer wollen einfach so mehr Geld. Wir legen ihnen dann immer unsere Kalkulation vor und fragen, wem das Geld, das sie mehr bekommen wollen, denn weggenommen werden soll? Damit haben sich die entsprechenden Diskussionen meist erledigt.

      —URBAN WINKLER, Bierbrauer.

      »Ich bin Brauer. Mein Sohn führt jetzt das Unternehmen in der siebten Generation, ich arbeite noch mit. Wir arbeiten mit dem Premium-Kollektiv schon seit über fünfzehn Jahren zusammen und brauen das Bier für sie. Das Open-Source-Betriebssystem des Kollektivs hat uns überzeugt, mitzumachen. Leider lässt es sich meiner Erfahrung nach nur sehr begrenzt auf meine Branche übertragen. Wenn ich mit einem Händler, der unser Bier einkauft, so umgehen würde, wie Uwe es vormacht, und zum Beispiel meine Kalkulation offenlegen würde, erginge es mir schlecht. Das Wohlwollen, mir auch nur einen kleinen Gewinn zu lassen, wäre in den meisten Fällen nicht da. Könnten sie sehen, was wie viel kostet, würden die meisten Einkäufer versuchen, mich auf den Deckungsbeitrag zu drücken, mir also nicht mehr für mein Bier bezahlen, als die Produktion gekostet hat, wenn überhaupt so viel. Manche würden auch noch versuchen, das zu drücken. »Was? Du willst etwas verdienen? Sei froh, dass du dein Zeug überhaupt losschlägst.« Wo das Wohlwollen mir gegenüber fehlt, fehlt mir auch das Vertrauen zum anderen. Also ist eine gleichwürdige Zusammenarbeit wie mit dem Premium-Kollektiv eher die Ausnahme. Es gibt einen gastronomischen Betrieb in Nürnberg, mit dem wir zusammenarbeiten, der das Premium-Betriebssystem übernommen hat. Mit dem geht das natürlich. Und bei manchen Händlern, die aus der Region kommen und die ich schon lange kenne, geht das auch. Da gibt es ein über Generationen gewachsenes Wohlwollen und Vertrauen. Die Regel ist das aber nicht, und wenn sich in den bekannten Firmen die Führung ändert, weht da auch gleich ein ganz anderer Wind. Wertfreie Gewinnmaximierung.

      Allerdings liegt das nicht nur an den Händlern, sondern auch an den Kunden. Der Getränkehandel ist ein Kundenmarkt, es gibt viel mehr Angebot als Nachfrage. Wenn mit dem Bier keine besondere Leidenschaft verbunden ist, wie in der Craft-Beer-Szene, ist es vielen Kunden egal, ob sie einen roten oder grünen Kasten mit nach Hause nehmen. Hauptsache der Preis stimmt. In diesem Konkurrenzkampf werden viele Produzenten und Händler verschlissen.

      Ich würde mir wünschen, die Transparenz der Preise überall zu haben, nicht nur im Premium-Kollektiv, sondern auch dort, wo ich nur Konsument bin, denn ich glaube, dass sich unsere Wirtschaft damit insgesamt verändern würde. Ich könnte dann nicht nur besser abschätzen, ob ich die Preise angemessen finde oder nicht, sondern auch, wie Kosten und Lasten zwischen den Beteiligten verteilt sind. Das ist wichtig, wenn ethische Kriterien in meine Kaufentscheidung mit einfließen sollen, und das ist nicht nur ein Ziel im Premium-Kollektiv, sondern eine Voraussetzung von nachhaltigem Konsum überhaupt.

      Natürlich ist diese Transparenz nicht immer konfliktfrei, auch dann nicht, wenn sie hergestellt ist, wie beispielsweise in den Abrechnungen unserer Steuerberaterin. Sie berechnet uns ein Mehrfaches unseres Einheitslohnes. Das habe ich wiederholt zum Anlass genommen, um mit ihr über ihre Honorare zu sprechen, allerdings ohne Erfolg. Im Gegenteil. In der für sie ohnehin schon sehr anstrengenden Corona-Zeit war sie die wiederkehrenden Diskussionen mit mir über die Gleichwürdigkeit der Menschen, das gleiche Recht einer jeden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und die damit verbundene Gleichheit der Bezahlung so leid, dass sie uns kündigte. Sie fühlte sich im Vergleich mit anderen Steuerberatungen ungerecht behandelt, denn sie liefert sehr gute Arbeit und weiß das auch. Ihr Stundensatz entspricht dem Marktpreis und sie sieht nicht ein, sich dafür verteidigen zu müssen, dass sie diesen ansetzt. Andere Steuerberaterinnen verlangten genauso viel, wir würden eine vergleichbar gute Arbeit also nirgendwo günstiger bekommen (von den Transferkosten und dem Stress, inmitten der Coronapandemie einen Wechsel der Beratung herbeizuführen, einmal ganz zu schweigen) und es gäbe genug Kundinnen, die zahlten, was sie verlange.

      Um sie nicht zu verlieren, schlug ich ihr vor, nie wieder über ihre Honorare zu sprechen. Besser, wir behalten sie als Beraterin und zahlen, was sie verlangt, als dass wir zu einer anderen Steuerberaterin wechseln müssen, die vermutlich auch nicht für unseren Einheitslohn arbeiten wird, vor allem dann nicht, wenn sie, wie unsere, sehr gut ist.

      Die Kalkulationen transparent zu machen, erleichtert die Verhandlungen also nicht immer. Es legt auch eine ganze Reihe von Differenzen offen, an denen sich Konflikte entzünden können, zum Beispiel dort, wo Menschen ihre Position im Vergleich mit anderen bewerten, um mehr für sich herauszuholen. Dabei ändert der Vergleich mit anderen faktisch nichts an der eigenen Situation; entscheidend ist für mich doch nur, ob ich ausreichend habe – unabhängig davon, ob meine linke Nachbarin mehr oder mein rechter Nachbar weniger hat als ich. Der Vergleich mag in der Logik des Marktes normal sein, wie unsere Steuerberaterin vorführt, widerspricht aber unserer Grundannahme der Gleichwürdigkeit aller Beteiligten: Alle Menschen sollten für sich ausreichend bekommen und haben. Gerade deshalb ist diese Transparenz so wichtig. Denn nur dann, wenn klar ist, wer wie viel für was bekommt, können wir darüber sprechen, ob das in Ordnung ist – oder nicht. Hier ein faires Verhältnis zu schaffen, darauf zielen wir im Premium-Kollektiv ab. Die Forderung nach einer Transparenz der Kalkulationen funktioniert dabei wie ein Trojaner in der Software. Wir schleusen ihn ins System ein und versuchen es, so von innen heraus zu verändern. Ich weiß, dass wir die Logik des Marktes nicht einfach umstürzen können, aber eine sukzessive Veränderung lässt sich bei der einen oder anderen vielleicht doch erreichen. Und irgendwann überzeuge ich auch noch unsere Steuerberaterin.

       KATJA KOCK, Buchhalterin.

      Ich bin jetzt seit


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