Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
Und erstaunten.
Auf der Treppe tobte ihr Vater. »Soll Antonio fortbleiben, wenn es ihm beliebt. Undankbar wie sein Vater. Warum habe ich mich auf den unsinnigen Vorschlag eingelassen, den vorlauten Bengel unter meine Fittiche zu nehmen?«
Dina versuchte, ihren Mann zu beruhigen. »Antonio lebt nur aus einem Grund hier, das weißt du genau, mein Lieber. Julianas wegen. Hast du gemeint, du könntest mich täuschen? Er tut den ganzen Tag so, als verstünde er nicht, was du ihm erklärst, und verstummt, sobald er unsere schöne Tochter sieht. Glaubst du wahrhaftig, ich wüsste nicht, weshalb du Antonio nach Florenz geholt hast? Es war nicht wegen der vielen Verträge für die Künstler, deren Werdegang du mit genügend Gulden aus deinem eigenen Tresor so liebend gern unterstützt.«
»Du redest wirr«, sagte Ferdinando aufbrausend. »Ich gebe mein Kind doch nicht diesem einfältigen Jungen! Morgen soll er gehen.«
Julianas Lächeln erstarb. Warum war sie so blind gewesen, Vaters Absichten nicht zu durchschauen? Antonio als ihr Ehemann? Niemals! Sie wollte sich nichts und niemandem unterwerfen. Besonders nicht einem Genuesen, der nichts von ihr wusste, außer dass sie einen vermögenden Vater hatte. Sicherlich war Antonio mehr an Vaters florierenden Geschäften interessiert als an ihr.
»Ferdinando, nimm Vernunft an. Was willst du seinem Vater denn sagen, wenn du Antonio plötzlich heimschickst? Dass er dir nicht nach dem Mund reden wollte?«
Meist gelang es Mutter, ihren aufbrausenden Mann zu umgarnen, doch nicht heute. Allen guten Worten abgeneigt, polterte ihr Vater die Treppe hinauf.
Betroffen von dem, was sie gehört hatte, wich Juliana von der Tür zurück. Vaters grimmiges Gesicht warnte sie deutlich, nicht hier, an diesem verbotenen Ort, von ihm entdeckt zu werden. Hastig suchte sie nach einem Fluchtweg und schlüpfte in letzter Sekunde in den Schrank. Unbequem und stickig war ihre Zuflucht. Etwas Hartes drückte gegen ihren Rücken, mit Vaters Zorn verglichen schien es jedoch das kleinere Übel. Kaum hatte sie die Schranktür zugezogen, fiel die Tür hinter dem Paar ins Schloss. Juliana blinzelte atemlos durch einen kleinen Spalt.
Dina verharrte mit Tränen in den Augen vor ihrem Mann.
»Was ist mit dir, Liebster?«
Vaters Blick ging ins Leere. »Hast du nicht gehört, wie sie mich verspotten?«
»Niemand tut das, Ferdinando. Vielleicht solltest du ein wenig ausruhen und …«
Mit einer unwirschen Handbewegung unterbrach er sie. »Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, Florenz zu verlassen.«
*
Der Tag, auf den Juliana sehnsüchtig gewartet hatte, war endlich da. Wie lang war ihr diese Woche erschienen, in der sie auf Vaters Einlösung des Versprechens gewartet hatte. Es war alles anders gekommen. Seit Vaters Disput mit Baldachi und seinen Freunden verlangten immer mehr Ratsmitglieder und Patrizier Einlass zum notario Serrati. Seit Tagen wurden die Forderungen lauter. Fürchteten die Männer um den Fortbestand ihrer Verträge, weil sie entgegen Vaters Überzeugung an Brunelleschi glaubten? Die Rufe jener, die Vaters Äußerungen missbilligten, waren in den letzten Stunden durch das geschlossene Tor und an Julianas Ohr gedrungen. Doch ihr stand nach erfreulicheren Dingen der Sinn. Am späten Nachmittag brach sie mit ihrem Vater zur Piazza del Duomo auf. Das Kirchenschiff spendete nur kurz erholsamen Schatten, denn sie mussten sich weit hinten ans Ende der langen Schlange reihen, die sich bereits vor der Basilika gebildet hatte. Vermutlich war das der einzige Ort, an dem niemand den notario vermutete. Juliana war verwirrt und enttäuscht. Verdankte sie die Erfüllung seines Versprechens der Beharrlichkeit ihrer Mutter oder dem Umstand, dass ihr Vater dem unerwünschten Besucherstrom in der Casa Serrati entfliehen wollte? Lange hielt ihre Unsicherheit jedoch nicht an. Schließlich stand sie auf der Piazza del Duomo und beobachtete überglücklich die vielen Menschen, wie sie es sich seit Tagen wünschte.
Überwältigt blickte sie zu der mächtigen Kathedrale Santa Maria del Fiore im Herzen der Stadt und hörte kaum das Lachen und Jubeln der Menschen um sie herum. Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete sie den mannesbreiten Tambour, einen Ring aus Stein, die Basis für das Unvorstellbare, das Unglaubliche. Er allein sollte den Cupolone tragen, die große Kuppel, ohne ein schützendes Gerüst darunter. Die Gewissheit, in wenigen Momenten einen Blick auf das Modell aus Holz und Stein von capomaestro Filippo Brunelleschi zu erhaschen, den Vater einen Träumer schimpfte, ließ Julianas Knie zittern.
Die engen Gassen spuckten unaufhörlich Schaulustige auf die überfüllte Piazza. Würde sie heute nur verschwitzte Häupter sehen? Längst glich die Piazza einer riesigen Baustelle, nicht dem Vorplatz eines heiligen Ortes. Um mehr Platz zu schaffen, waren sogar Bäume umgesägt worden. Den Arbeitern blieben nur wenige Orte, an denen sie ihre spärlichen Arbeitspausen im wohltuenden Schatten verbringen konnten. An besonders heißen Tagen glühte der Boden unter ihren Füßen. Sie hasteten so schnell sie konnten barfuß darüber. An den Längsseiten der Häuser, die die Piazza säumten, reihten sich Stapel langer Holzbretter und roter Backsteinziegel, so weit das Auge reichte. Abenteuerlich anmutende hölzerne Konstruktionen entstanden nach Brunelleschis Bauplänen. Damit würde die schwere Last in die Höhe gehievt, ohne dass die Arbeiter unter der Bürde zusammenbrachen, erklärte ihr Vater mit einem Kopfschütteln. Juliana lauschte verblüfft dem Knirschen der Zahnräder und Seile, die große Steinblöcke und Körbe mit Ziegeln in die Lüfte hoben. Bisher hätten die Männer schwer beladen schmale, gewundene Stufen bezwingen müssen, die hinauf zum Tambour führten, erklärte ihr Vater weiter.
»Hätte ich dich bloß nicht mitgenommen«, murmelte Ferdinando Serrati. Ungeduldig drängte er sie weiterzugehen, doch Juliana blieb versteinert stehen.
Irgendwo fiel der Name des Baumeisters. Filippo Brunelleschi. Ein Arbeiter hatte nach dem capomaestro gerufen. Allein die Erwähnung seines Namens ließ die umstehenden Menschen verstummen. Über die Mauern der Stadt hinaus kannte man den eigenbrötlerischen capomaestro und lobte seine Bauwerke. Nur in Florenz, wo er Tag für Tag eine Armee von Arbeitern befehligte, wusste man auch weniger Gutes über ihn zu berichten. Von übermäßigem Ehrgeiz war die Rede, dabei fand Filippo zahlreiche Befürworter. Besonders laut waren deren Stimmen geworden, nachdem er den Wettbewerb der Dombauhütte für sich entschieden hatte, die für den Bau der gigantischen Kuppel verantwortlich zeichnete. Juliana wusste nicht viel darüber, doch die Aufregung, die seit Anbeginn der Arbeiten auf der Piazza herrschte, war ihr nicht verborgen geblieben. Viele Steinmetze, Maurer und Hilfskräfte hatten sich in die Arbeitsregister eingetragen und wurden aus den unzähligen Bewerbern ausgewählt. Ihrem Vater oblag es, die Verträge mit den Dutzenden Handwerkern abzuschließen und dafür zu sorgen, dass alle Vereinbarungen mit der Dombauhütte, der Opera del Duomo, eingehalten wurden.
»Es ist unglaublich. Sie lassen den aufgeblasenen Träumer hochleben.« Ihr Vater beschirmte seine Augen mit einer Hand und wies gen Norden. Hinter den mächtigen Stadtmauern warteten Schlangen von Menschen bis über die Hügel nach Prato oder Fiesole. Alle wollten einen Blick auf die Bauarbeiten werfen, von denen man sich überall erzählte. Ein Bauwerk, das alles übertreffen und Florenz zur Königin der Künste machen sollte. »Das nennen sie arbeiten? Faules Pack, das sich dieser Verrückte angelobt hat.«
Juliana folgte dem Blick ihres Vaters und lächelte milde. Es war unerträglich heiß. Sie sehnte sich danach, ihr Tuch abzunehmen und die sanfte Brise auf ihrem Kopf, auf ihrem Gesicht zu spüren, doch das schickte sich nicht. Viele der Arbeiter waren erschöpft in den spärlichen Schatten geflüchtet. Hastig tranken sie kühles Wasser, um sich die Hitze erträglicher zu machen. Sie bissen in frisches Brot und aßen köstlich duftenden Schinken. »Nicht jeder kann sich in die Kühle seines Palazzo zurückziehen und ein Loblied auf den Tag singen«, antwortete Juliana und beobachtete die erschöpften Männer. Unmittelbar neben ihr trat ein breitschultriger Mann aus einem Bretterverschlag hervor. Sein schmutziges Hemd triefte vor Schweiß und roch übel. Verunsichert trat sie einige Schritte zurück.
»Nicht jeder ist so mutig, dem notario zu widersprechen«, flüsterte der Arbeiter mit einem spöttischen Lächeln und deutete eine Verbeugung an. »Schade, dass nicht Ihr an seiner Stelle seid und der Signoria die Augen öffnet, bevor der notario alle ins Verderben stürzt.«
Bevor Juliana etwas sagen konnte,