Die Muse von Florenz. Manuela Terzi

Die Muse von Florenz - Manuela Terzi


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über seine Worte nachzudenken. Nicht jeder konnte Vaters Freund oder Fürsprecher sein. Ferdinando Serrati suchte keine Freunde, sondern Bewunderer, die ihm Beifall klatschten und sein Urteil niemals infrage zu stellen wagten. Sie wusste, ihr Vater war in seinen Entscheidungen hart, beinahe grausam. Schließlich vertrat er die Rechte jener, die ihn berufen hatten und darauf beharrten, dass sich der notario nicht vom Glanz Hunderter Gulden blenden ließ. Immerhin verhalf er auch dem einfachen Künstler zu seinem gerechten Lohn, falls ihm dieser von einem launischen Patrizier vorenthalten wurde. Manchmal wurde die Wache gerufen, um ihren Vater zu beschützen. Dennoch schaffte der notario vieles zum Wohle der Stadt, auch wenn das mancher Florentiner anders empfand.

      Juliana liefen Tränen über die Wangen. Umringt von Dutzenden Menschen fühlte sie sich allein. Verstohlen wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht und straffte den Rücken. Was immer geschah, sie würde heute das Modell sehen! Assunita würde gewiss vor Neid platzen, wenn Juliana ihr später jedes Detail genau schildern konnte. Meistens erzählte die Freundin, was sie brühwarm in der Bäckerei ihrer Eltern von Gerüchten und Ereignissen in der Stadt erfuhr. Heute war es Juliana, die etwas zu berichten hatte. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln wandte sie sich ihrem Vater zu, dessen Aufmerksamkeit sich auf ein neues Ärgernis richtete.

      »Gott steh uns bei!«

      Hatte nicht ihr Vater, der notario, den Kuppelbau zu beaufsichtigen und hatte er nicht in den Sitzungen des Rats immer wieder das Wort für den capomaestro ergriffen und ihn verteidigt? Woher kam Vaters plötzliche Sorge um das Scheitern des Baumeisters?

      »Brunelleschi suhlt sich in Gottes Gnade und wird einem Engel gleich triumphieren«, wiederholte sie jene Worte, die er ihr bis vor Kurzem Abend für Abend gepredigt hatte. Was immer ihren Vater zweifeln ließ, es war zu spät. Die Fortschritte an der cupola ließen sich nicht leugnen, glaubte man den Aussagen von Brunelleschis treuen Gefolgsleuten. Vaters seltsames Verhalten lastete Juliana der schwülen Hitze an. Er verhielt sich jedoch seit Wochen sonderbar, lange bevor es so heiß geworden war, überlegte sie.

      »Du hast recht, Liebes. Heute ist nicht der Tag für die Hirngespinste eines alten Mannes. Lass uns endlich sehen, was dir den Schlaf raubt, meine schöne Tochter.« Die dicken Sorgenfalten schienen verschwunden. Er beugte sich über sie und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Es wird nicht lange dauern, bis alles einstürzt und du begreifst, dass du närrisch und blind warst«, fügte er hinzu.

      Juliana seufzte, endlich stand die lang ersehnte Betrachtung des Modells unmittelbar bevor. Aufgeregt wandte sie sich dem Treiben rund um die Basilika zu. Vergessen war die Beklommenheit, die Vaters Worte in ihr ausgelöst hatten. Sie folgte ihm und zwang sich, kleinere Schritte zu gehen. Ihre Ungeduld kannte keine Grenzen mehr. Die unbändige Freude der Menschen, der Stolz, mit dem sie sich brüsteten, ein solches Bauwerk in ihrer Stadt zu haben, erfasste sie ebenso. Oft hatte sie versucht, sich die vollendete Kuppel vorzustellen, und war am bloßen Gedanken daran gescheitert.

      Sie glaubte, dass nur ein Mann ein genaues Bild der cupola im Kopf hatte: Filippo Brunelleschi. Der energische Bauherr war voller Ideen, wenn auch mit einem gewissen Maß an Eigensinn, und er schien allen Widrigkeiten zu trotzen. Er plane die Wölbung aus Mauerwerk und Holz, hatte Juliana von Bernardo erfahren, einem Diener in der Casa Serrati. Der junge Mann mit dem bleichen Gesicht ließ sich von ihrem Lächeln stets zu leicht betören und hatte keine Widerrede gewagt, wenn sie ihn weiter ausgefragt hatte. Zudem hatte sie ihn einmal dabei ertappt, wie er sich in der Küche an den Knöpfen einer Magd zu schaffen gemacht hatte. Bernardos Angst, in Ungnade zu fallen und seine Arbeit zu verlieren, überstieg seine Sorge, ihr Vater könnte von ihren zweifelhaften Tauschgeschäften erfahren. Bernardo war mit einigen der Handwerker befreundet und hörte so manches, was er Juliana über ihre Kinderfrau Maria ausrichten ließ.

      Brunelleschis Entwurf, nicht frei von Zweifel und Gefahr, hatte sich in der letzten Zusammenkunft der Signoria, dem Rat der Obersten der Stadt, durchgesetzt. Gegen Vaters Willen, der in dem Gremium als notario für Recht und Ordnung zu sorgen hatte, was beschwerlich und manchmal schwierig war. Der capomaestro verstand jegliche Widerworte gegen sein Meisterstück als Kritik an seiner Person. Das führte zu kleineren oder größeren Auseinandersetzungen zwischen den Anwesenden. Manchmal verlor Brunelleschi derart die Beherrschung, dass man ihn aus Sitzungen im Palazzo della Signoria tragen musste, weil er sich weigerte, den Saal zu verlassen. Ein prachtvoller Saal mit riesigen Gemälden in goldenen Rahmen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Sie seufzte leise. Am Kuppelbau spalteten sich wahrhaftig die Gemüter der Florentiner.

      Je näher Juliana und ihr Vater der Basilika kamen, desto schlimmer wurde das unsanfte Gedränge. Dicht an dicht standen die Menschen inzwischen vor dem Eingang. Sie reckten ihre Hälse und sahen jenen nach, die mit verklärtem Blick aus dem Portal traten. Das Modell in der Kühle des Domes diente nicht nur dazu, die Neugier vieler zu stillen. Es sollte selbst den ungläubigsten Zweiflern zeigen, warum Brunelleschi den ausgeschriebenen Wettbewerb zu Recht für sich entschieden hatte. Zu hartnäckig waren seine Bemühungen, zu ausgeklügelt seine Pläne, zu stark seine Überzeugung gewesen, den richtigen Weg gefunden zu haben, als dass er hätte abgewiesen werden können.

      »Sei nicht enttäuscht, wenn du das Modell heute nicht siehst«, murmelte ihr Vater beschwichtigend. Er fasste sie bei den Schultern und schob sie als schützendes Schild vor sich her durch die Menschenmassen. »Es wäre besser gewesen, dich in der Obhut deiner Kinderfrau zu belassen. Warum nur habe ich zugestimmt?«

      Viele hatten den einflussreichen notario inzwischen erkannt. Sie wichen zurück, sodass eine schmale Gasse entstand, die vor dem Seitenportal der Basilika endete. So erreichten sie den Eingang unverhofft rasch. Juliana missfiel die ungewollte Aufmerksamkeit, doch so kurz vor dem Ziel umkehren zu müssen, wäre schrecklicher, als die seltsamen Blicke der Menschen zu ertragen. An der Seite ihres Vaters stehend, focht sie innerlich einen Kampf mit sich aus. Lieber wollte sie der Menge entfliehen und unbeobachtet von Vaters Argusaugen das Modell betrachten. Nicht jeder schien ihnen freundlich gesinnt, doch es gab kein Zurück mehr. Allein, um dieser schweren Arbeit Anerkennung und dem capomaestro den verdienten Respekt zu zollen, konnte sie nicht anders. Sie musste heute in das Innere der Basilika. Der Tag, an dem sie das unbeobachtet würde tun können, lag in weiter Ferne, falls er überhaupt jemals kommen sollte.

      Unter lautem Jubel wurden Weinbeutel herumgereicht. Vom einfachen Handwerker bis zum Patrizier wanderten sie, bis die Beutel ihren Vater erreichten, just bevor sie die Basilika betreten wollten.

      »Trinkt, Serrati! Es ist auch Euer Verdienst, dass wir heute hier stehen und feiern!«, rief einer der Handwerker, von oben bis unten mit Schmutz und Mörtel überzogen. Die anderen Männer verloren ihre Scheu. Sie scharten sich sofort um Juliana und ihren Vater und johlten begeistert. Für einen Tag vergaßen sie, dass dieser Mann nicht ihresgleichen war, sondern aus der Zunft der Arte dei Guidici e Notari stammte. Ungeduldig warteten sie, dass er einen Schluck nahm und ihnen Lob aussprach. Einen kräftigen Zuspruch an die vielen geschundenen Hände ausrief, die unermüdlich Steine schleppten und sie kunstvoll auf dem Tambour versetzten, der bald die höchsten Geschlechtertürme der Stadt überragen würde.

      »Trinkt lieber mit ihnen, Vater«, flüsterte Juliana lächelnd. Dass es diesem beredten und wortgewandten Mann die Sprache verschlug, musste sie beim Abendbrot unbedingt ihrer Mutter erzählen. Ihr Vater nickte zustimmend und führte den Weinbeutel unter dem Jubel der Arbeiter an seinen Mund. Juliana nutzte die Gelegenheit und floh durch die Porta della Mandorla ins kühle Innere der Basilika, getrieben von Ungeduld und Neugier.

      Kapitel 2

      Dunkelheit empfing Juliana im Inneren der prachtvollen Basilika, in deren Bauch sie sich unendlich klein fühlte. Hinter ihr drängten die Menschen ungestüm nach, so schritt sie blindlings weiter. Es dauerte einige Zeit, bis sich ihre Augen an die Düsternis im Gotteshaus gewöhnt hatten und sie das Modell im sanften Lichtschein erkannte, der durch die große Öffnung in der Decke fiel. »Der Cupolone!« Sie bekreuzigte sich ehrfürchtig und starrte durch das klaffende Loch über ihr, das in ferner Zukunft die vollendete cupola verschließen sollte. Der glänzende Marmorboden klebte vor Schmutz und Staub, doch das hielt Juliana nicht davon ab, weiter auf das Modell zuzugehen und überwältigt auf die Knie zu sinken.

      Ein paar


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