Die Muse von Florenz. Manuela Terzi

Die Muse von Florenz - Manuela Terzi


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Assunita verärgert, aber ihre treue Begleiterin folgte Juliana, wie sie es immer tat.

      Das vom nächtlichen Regen dunkel gefärbte Mauerwerk der Casa Serrati wirkte bedrohlicher als die Strafpredigt, die Juliana erwartete, wenn ihr Vater von ihrem wahren Ziel erfahren würde. Verträumt stellte sie sich vor, mit Dario am Arno entlang zu streifen, bis die Abendglocken mahnten, die Porta al Prato zu passieren, bevor das Tor über Nacht geschlossen wurde. Allein die Vorstellung trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, dabei regierte kühlender Schatten zwischen den Zinnen der Geschlechtertürme. Bald schon würde die Hitze ihr blondes Haar kräuseln. Unwillig schüttelte sie den Kopf, weil Assunita erneut ihr Tempo verlangsamte und vor dem sechseckigen Turm der Badia stehen blieb.

      »Ich kann nicht so schnell, Juliana«, jammerte sie.

      »Komm weiter!« Die Erwartung spornte Juliana an. So sehr, dass sie kaum dazu kam, sich um die Freundin zu sorgen, die neuerdings öfter seltsam bleich im Gesicht und rasch außer Atem war.

      »Man hat ihn wieder aus der Sitzung geworfen!«, rief Assunita wohl in der Hoffnung auf eine kurze Pause bei einem Brunnen.

      »Brunelleschi?« Juliana vergaß, dass sie ihre Freundin antreiben wollte, worauf Assunita schmollte und weiterging.

      »Die Kuppel. Immer nur diese Kuppel. Kaum erwähne ich sie oder den capomaestro, ist mir deine Aufmerksamkeit sicher. Hast du nicht von der neuen Fehde gehört?«

      Just in diesem Moment passierten die beiden Mädchen den Bargello. Hier fanden die Sitzungen der Priori delle Arti statt, eines Teils der Signoria. In den tiefer gelegenen Kellerverliesen darbten die Gefangenen, die von goldglänzenden Gulden, Licht und Sonne nur träumen konnten. Juliana schluckte. Wenn der capomaestro seinen Zorn nicht mäßigte, landete er im Gefängnis, und was passierte dann mit dem Bau der Kuppel? Und Vater? Auch ihn warnten seine Freunde, dass sein Jähzorn ein böses Ende finden könnte.

      Nein, heute wollte sie nichts von Fehden hören oder gar Trübsal blasen, wo ihr Bernardo am Morgen nach dem Frühstück von einer neuen Lieferung Marmor berichtet hatte. Erst gestern waren schwere Karren durch die Gassen gepoltert. Schwer beladen mit frisch gebrannten Ziegeln, Tausende und Abertausende, die Woche für Woche hergebracht wurden. Einen Teil davon brannten die Arbeiter in der Via Ghibellina. Sie kamen mit dem kleinen Brennofen kaum hinterher, die Backsteine waren schneller verputzt als geliefert. Sie dachte an den, der in der Truhe in ihrer Kammer lag und sie stetig an den Mann erinnerte, der ihr dieses ungewöhnliche Geschenk gemacht hatte. Ihr Herz schlug schneller.

      »Kaum endet eine Fehde, beginnt eine neue«, meinte Juliana daher geistesabwesend und überging die Frage ihrer Freundin. Die Streitigkeiten der großen Familienclans, der Lippi und Baretti, Catalani und Medici, interessierten sie nur, wenn sie mit der Arbeit ihres Vaters zu tun hatten. Gelegentlich bedurften solche Lappalien und größere Zwiste eines notario. Viel spannender war für Juliana, was auf den Baustellen zwischen der Via dell’Oriuolo und der Via dei Servi vor sich ging. »Hörst du, Assunita? Sie arbeiten wieder.« Sie genoss den Klang des gleichmäßigen Aufeinandertreffens von Äxten und Holz.

      Kaum eine Straße konnten sie nahe der Piazza del Duomo durchqueren, ohne auf Arbeiter oder unvollendete Baustellen zu treffen. Brunelleschis Absicht forderte wohl auch den Ehrgeiz anderer heraus. An den Hauswänden, mehrere Braccia hoch gestapelt, ließen Bretter und Backsteine die Gassen so beengt werden, dass die Fuhrwerke kaum hindurchpassten. An der Zahl der Wagen und Händler, die bereits die Stadttore passiert hatten und zum mercato fuhren, ahnte Juliana, dass sie viel Zeit vergeudet hatten. Warum musste Assunita über die Via del Colomero laufen, wo andere Abzweigungen viel leichter zu passieren wären?

      »Schneller!«, rief sie Assunita ungeduldig zu.

      »Nicht mal Brunelleschi treibt seine Ochsen so an! Du bist ihm nicht unähnlich. Verbohrt.«

      »Ochsen? Die ließe man nicht in die Kirche.« Juliana lachte, verlangsamte ihre Schritte aber kaum.

      »Der capomaestro hat Maschinen erfunden, an denen Ochsen stundenlang im Kreis laufen. Da staunst du, was?«, erklärte Assunita erhobenen Hauptes. Sie genoss es, Julianas Neugier geweckt zu haben. »Der Mann sitzt ganze Nächte über Plänen und baut Maschinen, die niemand zuvor gekannt hat.«

      Juliana hatte davon bislang nur gehört, denn bei ihrem kurzen Ausflug mit Vater war ihr dieser Anblick verborgen geblieben. »Da siehst du es wieder, Assunita! Ochsen! Es kommen so viele Gelehrte in unsere Stadt, die sehen wollen, was Brunelleschi erschaffen will. Überall wird gebaut. Gelehrt. Und du sagst das, als wären solche Apparate das Gewöhnlichste auf der Welt.« Sie dachte an das Modell, das sie gesehen hatte. »Brunelleschi wird zeigen, dass seine Kuppel kein Hirngespinst ist.«

      »Siehst du, verbohrt!« Assunita schnaufte heftig, denn Julianas Schritte wurden größer und gewannen an Tempo, je näher sie der Piazza del Duomo kamen. Vor einem kleinen Brunnen blieb Assunita erschöpft stehen. »Genug! Ich will nicht länger in der Hitze herumlaufen.«

      Juliana blinzelte. Nicht mehr lange, dann waren sie endlich am Ziel. Assunita durfte ihre Pläne nicht zunichtemachen. Juliana konnte ihre Ungeduld kaum noch zügeln. »Wir könnten uns später Abkühlung gönnen«, sagte sie flehend.

      »An unserem Platz hinter der letzten Brücke? Oder unter der Ponte Vecchio?« Assunita lächelte. »Zwischen den Abfällen?«

      »Ein Stück weiter oben, wenn du die Stelle nicht wieder verrätst.«

      »Was passiert, wenn uns jemand dabei ertappt?«

      »Was passiert, wenn du so fett wie unsere Köchin wirst? Bei Gott.«

      Assunitas Lächeln schwand. Erst als Juliana ihre Freundin mit kühlem Brunnenwasser bespritzte, ließ sie das Grübeln sein.

      »Wir gehen später zum Fluss, wirklich.« Juliana lächelte. »Bitte, Assunita!«

      Mit einem lauten Seufzer erhob sich die Freundin und folgte ihr ergeben. Kurze Zeit später kicherten die beiden Mädchen und liefen eingehakt weiter. Assunita berichtete ihr vom neuesten Tratsch und Klatsch aus der elterlichen Bäckerstube. Das Lachen ihrer vertrauten Freundin bekümmerte Juliana. Assunita mochte ein schweres Los ertragen, dafür konnte sie unbedarft aus dem Haus gehen beim Brotaustragen. Wenn Assunita die Stadt verließ, war sie allein. Mit ihren Ängsten, ihren Träumen. Juliana schauderte plötzlich trotz der heißen Sonnenstrahlen, die auf ihre weiße Haut brannten.

      *

      »Wie kann er es wagen, mich derart zu hintergehen? Giovanni wird sich dafür erklären müssen. Antonio, setz sofort einen Brief auf.«

      Der scharfe Ton in der Stimme ihres Vaters weckte Juliana am nächsten Morgen. Hastig warf sie sich ein Kleid über und schlich barfuß aus ihrer Kammer. Auf der Galerie blieb sie erstarrt stehen. Der Innenhof wirkte abweisend und bedrohlich. Wo sonst Sonnenstrahlen fächerartig den Boden in Streifen teilten, spürte sie nur eine ungewohnte Kälte. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann verstand sie. Die Fenster waren mit breiten Balken verriegelt. Der Morgensonne gelang es nicht, durchzubrechen. Die Diener wandelten mit flackernden Talglichtern umher und flüsterten, was Julianas Beklommenheit verstärkte. »Vater?«

      »Lasst mich, Federico«, hörte sie die furchtsame Stimme ihrer Kinderfrau. »Großer Gott, wenn das nur gut ausgeht!«, stieß Maria entsetzt aus.

      Im Zwielicht setzte Juliana vorsichtig einen Fuß vor den anderen auf der Treppe, bis sie den Innenhof erreicht hatte. »Was ist hier los? Aua!« Etwas Scharfes, Spitzes hatte sie am Handrücken getroffen.

      »Juliana!« Maria schlug die Luke zum Portikus zu und versperrte Juliana mit ihrem massigen Körper den Weg.

      »Federico, du alter Narr! Was hältst du auch diese vermaledeite Lanze in der Hand!«

      Unmittelbar neben Juliana wurde ein Licht herangetragen. Einer Fratze gleich wirkte das Gesicht des älteren Dieners in dem unruhigen Flackern. Er beugte sich vor und besah bestürzt, was er angerichtet hatte. Julianas Haut war aufgeschürft. »Vergebt mir, Juliana.«

      Mit einem dumpfen Knall prallte etwas gegen das Tor, sodass Federico und Bernardo,


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