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draußen vor sich ging. Sie hatte die Hand schon auf dem Riegel, da hielt Federico sie im letzten Moment zurück.
»Was wollen diese Menschen?«
»Sie verlangen, Euren Vater zu sprechen«, erklärte er widerstrebend.
»Erbost sind sie, meint Ihr nicht? Warum lässt man sie dann nicht ein?«
Hinter dem Tor erhob sich ein Chor zorniger Stimmen.
»Serrati, lasst uns ein! Viva Firenze!«
Warum war Federico so nervös? Hilflos umklammerte er die Lanze und tauschte fragende Blicke mit Bernardo.
»Die Weigerung Eures Vaters, sie zu empfangen, ist der Grund für ihre Wut«, erklärte Bernardo an Federicos Stelle. Die Augen des jungen Dieners blieben an Julianas schmalen Fesseln hängen, die das zu kurze Kleid, das sie sich rasch übergezogen hatte, kaum verhüllte. Marias Räuspern brachte ihn zur Besinnung. Mit glühenden Wangen wandte Bernardo seinen Blick ab.
»Setzt den Herrn in Kenntnis, dass es an der Zeit ist«, wies Federico Maria an.
»Zeit wofür?« Julianas Blick glitt zur Luke. Bernardo durchschaute wohl ihre Absicht und senkte seine Lanze. Dicht vor ihm blieb sie stehen. »Ich bin ebenso Eure Herrin.«
»Antonio hat mich gewarnt vor Eurem Starrsinn«, murmelte der Diener, aber in seinem Gesicht zeigte sich diese Entschlossenheit nicht. Verunsichert schaute er zu Federico und zuckte ratlos mit den Schultern.
Maria seufzte tief und zog an der Hand ihres neugierigen Schützlings. »Genug jetzt, Juliana. Zieh dich an, bevor dich dein Vater so sieht.«
Juliana lächelte. Sie folgte Marias Bitte gern, denn Federico war ihr zugetan. Ihn konnte sie ausfragen, später.
Kaum kehrte sie den beiden Dienern den Rücken, hörte sie Bernardo leise fluchen. »Das kommt davon, wenn man Unrecht zu Recht erklärt.«
»Sei still«, wies Federico den jüngeren Diener barsch zurecht. »Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu richten, was unser Herr tut oder nicht.«
»Blind geworden bist du und taub. Genau wie die anderen, doch Brunelleschi …«
»Genug oder ich öffne das Tor! Dann werden sie über dich herfallen, glaub mir!«
Juliana hielt inne und ging nachdenklich in ihre Kammer zurück. Was war so schlimm, dass Vater den Menschen den Einlass verwehrte? So grauenvoll, dass er sogar eine geschwätzige Kinderfrau zum Schweigen verdammte. Maria behielt nie länger als ein paar Stunden etwas für sich. So wusste Juliana zum Beispiel auch von der geschwätzigen Kinderfrau, dass Bernardo um Angelina warb, einer Magd aus dem Haus gegenüber. Und hatte nicht auch Maria Vaters Befehl umgangen, indem sie an der Luke gestanden und hinausgesehen hatte? Warum sollte sie es ihr nicht gleichtun? Nur einen einzigen Blick hinaus wollte sie wagen.
Einem Donnerwetter gleich durchdrang in diesem Augenblick ein lautes Grollen das Haus. Die hohen Querbalken mit den spitzen Enden, die über der Eingangshalle schwebten, einst zum Trocknen der Tuche genutzt, wurden hinabgelassen, sodass die Casa Serrati im Nu einem Bollwerk glich. Niemand fand nun mehr Einlass. Einmal war das geschehen, erinnerte sich Juliana bestürzt und sah auf die Balken, die ihr den sehnlichen Ausgang versperrten. Es war damals um eine Frau aus Pisa gegangen, die ein anderer so begehrte, dass er ihrem Vater den Tod wünschte. Warum, wusste Juliana nicht. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass Vater jemals einer anderen Frau seine Liebe erklärt hätte als Dina. Beinahe wäre es dem Angreifer gelungen, ihren Vater zu töten. In letzter Sekunde hatte sich Federico vor seinen Herrn geworfen und ihm damit das Leben gerettet. Darum genoss Federico manches Privileg, dennoch blieb er ein Diener, dessen Ehre keine Vernachlässigung der Arbeit duldete.
Ein Schauer glitt über Julianas Rücken. Sie dachte an die Ereignisse zurück. Ein Toter war offenbar dennoch zu beklagen gewesen in jener Nacht, über die Maria trotz Julianas neugierigen Fragen bis heute eisern schwieg. Ein einziges Mal nur hatte Juliana es gewagt, ihre Mutter zu fragen, worauf diese in Tränen ausgebrochen war und von einem schrecklichen Ende gesprochen hatte. Niemand sprach seitdem darüber.
Was aber war heute geschehen, dass sich ihr geliebtes Heim binnen weniger Stunden in eine Festung verwandelt hatte? Die Beklommenheit, die so jäh über ihr bislang beschauliches Heim gezogen war, zwang sie, sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Juliana war die Geheimnisse und Verbote leid. Flugs hastete sie in ihre Kammer und blickte aus dem Fenster. Einem Ameisenhaufen ähnelte die aufgewühlte Menge, die sich mittlerweile vor dem Haus versammelt hatte. Es waren nicht ein paar Menschen, die Vater zu sprechen verlangten – nein, es waren Dutzende. Die auf unbestimmte Zeit vertrösteten Männer waren aufgebracht und versuchten, gewaltsam einzudringen. So uneins sie in den Sitzungen der Signoria waren, an diesem Morgen verfolgten sie ein gemeinsames Ziel. Mit einem dicken Holzpfeiler rammten sie das Tor, über dem das Wappen der Familie Serrati hing. Immer wieder bündelten die Männer die Kräfte für einen neuen Angriff, bis das Portal an einigen Stellen zu bersten drohte. Die Erschütterungen verspürte Juliana bis in den dritten Stock hinauf.
»Antonio! Wo zum Teufel steckt er?« Die Stimme ihres Vaters überschlug sich vor Zorn und Ungeduld.
»Kommt heraus, Serrati, damit Ihr mit eigenen Augen seht, was Ihr mit Euren Verleumdungen anrichtet!«, rief einer der Männer, kaum dass Juliana einen Blick auf die Straße gewagt hatte.
»Da ist jemand!« Einer der Männer in einem roten Umhang mit goldglänzendem Wappen zeigte auf Juliana. »Macht auf! Wir wollen mit Eurem Herrn reden.«
Der Mann hielt sie offenbar für eine Magd! Empört wich Juliana zurück.
»Geh vom Fenster weg, sofort!« Maria stand keuchend neben ihr. Hilflos schwangen ihre Fäuste in der Luft umher.
»Was wollen sie von Vater? Hat es etwas mit diesem Mazaretto zu tun, diesem ungehobelten Mann vor der Basilika?« Was immer Vater mit diesem Mann zu schaffen hatte, es musste etwas Frevelhaftes sein, dass er ihn verfluchte und die Angelegenheit für solchen Aufruhr sorgte. Erneut erbebte das Haus unter den heftigen Stößen der Eindringlinge.
Maria erbleichte. »Was weißt du darüber?« Die alte Kinderfrau schien alles um sich herum vergessen zu haben. Sie umklammerte Julianas Hand und schnaufte vor Aufregung. »Es musste so kommen. Ich habe immer gesagt, dass dieser Frevel uns eines Tages einholt. Heilige Jungfrau, vergib mir.«
»Juliana, geht weg vom Fenster!« Antonio betrat ihre Kammer. Ohne um Einlass gebeten zu haben, stürzte er zum Fenster und schloss die Läden, sodass auch die kostbaren Wandmalereien mit ihrer Farbpracht dieser unerträglichen Dunkelheit zum Opfer fielen. »Ich bin es leid, Euch nachzulaufen!« Der junge Mann wirkte aufgelöst und war außer Atem.
»Vater verlangt nach Euch. Habt Ihr ihn nicht rufen gehört?«
»Antonio, warum war das Fenster offen?« Ihr Vater stand mit Zornesfalten über der Stirn im Türrahmen und fixierte seinen Gehilfen aufgebracht.
»Vater, was ist …«, begann Juliana zu fragen, doch Antonio fiel ihr ins Wort.
»Ich musste den Geheimgang nehmen, notario, sonst wäre ich eher hier gewesen. Juliana half mir, die Fenster in den oberen Etagen zu schließen.« Er warf ihr einen warnenden Blick zu, sofern sie ihn in der ungewohnten Düsternis richtig zu deuten verstand.
Die beiden Männer wollten allein sein. Rasch zogen sie sich in das Arbeitszimmer des notario zurück.
»Seid unbesorgt. Ich habe alles zu Eurer Zufriedenheit erledigt«, hörte sie noch, bevor Maria die Tür von Julianas Kammer schloss.
Antonio war erst jetzt gekommen. Das hatte Vater sicherlich gewusst. Nachdenklich blieb sie vor der Tür stehen und lauschte. Wovon sprachen sie? Sie sah Maria erwartungsvoll an, doch diese blieb unschlüssig vor der Tür stehen.
»Ihr könnt nicht alle so tun, als gäbe es diese Menschen da draußen nicht. So sprich endlich, oder soll ich Vater sagen, dass auch du durch die Luke gespäht hast?«
»Sei still. Tu einmal, was man dir sagt, ungezogenes Ding.« Mit diesen ungewohnt heftigen Worten verließ Maria die Kammer ihres Zöglings und