Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager

Schöner sterben in Wien - Dagmar Hager


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lediglich die noch leere Gedenkstätte verschönern zu wollen. Mit den Blumen. Den Sträuchern. Und dem Stein.

      Als es mir etwas besser ging, hatte ich eine Trauerfeier im intimsten Kreis abgehalten und geflüstert: »So, mein Geliebter, fast zwei Jahre lang musstest du in meiner Gefriertruhe im Keller ausharren, jetzt bist du angekommen! Ruhe sanft!«

      Das Grab war also schon besetzt. Mein verstorbener Mann hatte darin seine voraussichtlich letzte Ruhestätte gefunden. Es sei denn, man würde noch vor meiner eigenen Beerdigung herausfinden, was ich getan hatte.

      Ich war alles andere als ein netter Mensch.

      Hatte getötet.

      Eine Verkettung unglücklicher Umstände und ein Unfall hatten dazu geführt. An den irreversiblen Tatsachen änderte es nichts.

      Ich hatte mich in einen Mann verliebt, den alle wollten, und das Pech gehabt, ihn auch zu bekommen. Ihn, den aufstrebenden Schauspieler voller Ehrgeiz und dunkler Geheimnisse, den Ex-Callboy mit kaputter Seele. Von Anfang an belog und betrog er mich, war verschlossen, verletzend, zerstörend.

      Was mich nicht daran hinderte, ihn zu heiraten.

      Danach wurde es noch schlimmer. Nach nicht einmal zwei Jahren hatte ich jegliches Vertrauen verloren. Unsere Beziehung war eine nach außen perfekte Hülle, doch die seltsamen Ereignisse häuften sich und ich begann mich vor Georg zu fürchten. Ich sah mich in meiner Angst bestätigt, als mich direkt vor meinem Haus ein Auto niederstieß und einfach weiterfuhr. Der Fahrer – ich erkannte es genau: Georg!

      Was hätte ich tun sollen, als er mich um eine finale Aussprache in meiner Wohnung bat und mit einer Waffe kam? Mich angriff? Der Elektroschocker war in diesem Augenblick die logische Wahl gewesen. Ich wollte ihn keine Sekunde lang töten, nur überleben! Doch er war einfach nicht mehr aufgestanden, hatte zusammengesunken auf meinen Eichendielen gelegen – mit verwunderten, starren Augen und einem Brief in der Hand – der »Waffe«. Seiner Entschuldigung, seinem klaren Bekenntnis für eine gemeinsame Zukunft ohne Lügen.

      Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Ich schreckte hoch und sah mich um. Auch das passierte mir immer wieder. Dieser Sog aus Schuld und Hoffnungslosigkeit zerrte so sehr an mir, dass ich darüber meine Umgebung vergaß.

      Nach wie vor befand ich mich allein in dieser entlegenen Ecke ohne Schatten. Stöhnend massierte ich meine verkrampften Beine. Hinter der Mauer lachten Kinder. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und stopfte meine langen dunklen Haare unter den riesigen Strohhut. Einen Moment ließ ich mich von den umherschwirrenden Bienen ablenken, dann übermannten mich wieder die düsteren Bilder.

      »Ich war so dumm, Georg«, flüsterte ich, »und das musstest du mit deinem Leben bezahlen. Wenn ich deine wahren Absichten gekannt hätte, hättest du nicht sterben müssen. So aber dachte ich, du seist mein Ende.«

      Ich war barfuß, ertrug keine Schuhe in dieser brütenden Hitze. Die leichten Sandalen standen fein säuberlich neben einer der hässlichen Thujen. Wie oft ich schon hier gesessen hatte, mit Gedanken, die wie Torpedos durch meinen Kopf schossen! Was hätte ich anders machen sollen? Was wäre gewesen, wenn? Und was hatte Georg wirklich umgebracht? Es gab verschiedene Möglichkeiten, jede denkbar, keine bestätigt. Fragen konnte ich ja schlecht. Also reimte ich mir zusammen, dass er wohl so etwas wie eine unentdeckte Herzschwäche gehabt haben musste. In der Regel starb niemand an einem billigen Elektroschocker aus dem Internet.

      Doch das, was mich seither verfolgte und an mir klebte wie Leim, waren die Momente danach, diese Augenblicke bar jeglicher Vernunft. Das, was in mir zerbrochen war und mich zu einer Handlung getrieben hatte, die mir aus heutiger Sicht vollkommen unerklärlich erschien.

      Anstatt die Polizei zu rufen und alles einzugestehen, den Ermittlungen ihren Lauf zu lassen, herauszufinden, was Georg tatsächlich das Leben gekostet hatte, ihn zu beerdigen und danach mit den Folgen umzugehen, traf ich eine völlig irrationale Entscheidung und versteckte seine Leiche in meiner Kühltruhe. Das Nachdenken kam erst, als es schon längst zu spät war. Jetzt musste ich mit den Konsequenzen der Vertuschung leben, einem Riesenhaufen stinkender Altlasten.

      Jeder Blick in den Spiegel zeigte mir den abscheulichen Menschen, der ich war, jeder Tag verhöhnte mich mit schlaflosen Nächten, Albträumen, schlechtem Gewissen und bohrender Sehnsucht. Auch die Einsamkeit war treu. Seit Georgs Tod hatte ich nur eine einzige kurze Affäre gehabt. Es gab nicht viele Menschen, die ich ertrug. Wie denn auch, wo ich mich doch selbst kaum aushielt!

      Wie an den anderen Tagen war ich an diesem Tag, dem letzten, bevor sich alles ändern sollte, hierhergekommen, führte meine nun schon gewohnten Selbstgespräche, haderte.

      Noch einmal legte ich wehmütig lächelnd die flache Hand auf die Erde. Dann wandte ich mich ab, um mich dem zu stellen, was mein Dasein jetzt bestimmte.

      Eine Stunde später war ich wieder zu Hause in meiner kleinen Wohnung direkt gegenüber dem Haus des Meeres im 6. Bezirk.

      Ich sah aus dem Fenster. Die Menschenschlange am Einlass des Zoos, der in einem alten Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg untergebracht war, reichte wieder einmal bis auf den Vorplatz. Ein wenig neidisch beobachtete ich die vielen fröhlichen Menschen, die sich auf Haie, Schlangen und die traumhafte Aussicht von ganz oben freuten.

      Seufzend holte ich mir ein Glas Wasser aus meiner modernen Designerküche und suchte mein iPad. Es war ungewöhnlich für einen Mittwoch, aber in der Tat wollte heute niemand ins Fernsehen. Morgen stand allerdings eine Spendengala im Rathaus an. Als Chefreporterin für Society-Themen eines nationalen privaten TV-Senders würde ich hingehen. Es handelte sich um eine der etwa 800 Veranstaltungen jährlich im Amtssitz des Wiener Bürgermeisters, und gefühlt war ich, wie auch er, bei mindestens der Hälfte dabei.

      Seit Georgs Tod hatte ich mich – wenig verwunderlich – noch mehr in die Arbeit gestürzt. Sie war so schön hohl und damit die perfekte Ablenkung. Unser Team war klein, ich konnte mich also austoben, hätte jeden Tag zweimal auf Dreh fahren können. Mein Chef liebte mich für so viel Einsatzbereitschaft.

      Die innere Unruhe fraß mich auf. Heute war Georg präsenter denn je und schlich sich in jeden meiner Gedanken. Ich brauchte Aufmunterung. Was immer half: eine Runde Laufen. Also holte ich mein Auto aus der Tiefgarage und fuhr in den Park des Schlosses Schönbrunn. Auch hier traf ich auf jede Menge sorglose Familien, viele mit Kindern, die zielstrebig auf den Zoo zuströmten und damit auf die Tierbabys, die er um diese Jahreszeit beherbergte.

      Eine Stunde später war ich ausgepowert, aber immer noch zappelig. Mittlerweile war es später Nachmittag. Ich hatte keine Lust auf meine kleine Wohnung, deshalb setzte ich mich, verschwitzt, wie ich war, in einen Gastgarten und bestellte ein Bier. Lautes Lachen umgab mich. Ich war umringt von ausgelassenen Menschen, die ihren Feierabend und ihre Gesellschaft genossen, und fühlte mich wie ein Alien.

      Irgendetwas musste passieren. So konnte ich nicht weitermachen. Dieser Klotz, der sich Herz nannte, schrie nach Leben, Freude, Spaß, Erleichterung. Doch die Kralle, die ihn seit Georgs Tod umklammert hielt, ließ es nicht zu. Ich steckte fest in einer Senkgrube aus Erinnerungen.

      Die Frau war nackt.

      Es war ihr Job, aber wie viele der Anwesenden empfand ich es trotzdem als unpassend, befanden wir uns doch im Wiener Rathaus, einem altehrwürdigen Ringstraßenbau. In dem hatte zwar auch Europas freizügigste Aids-Gala, der Life Ball, stattgefunden, aber der Event heute war eine andere Liga.

      Benefiz. High Class. Teuer. Gut betuchte Gäste. Aufwendigste Deko.

      Auch wenn die Frau für den Klimaschutz kämpfte, hätte ihr etwas mehr Kleid gutgetan. Es ließ kaum Interpretationsspielraum. Gut gemachte Brüste trafen ungebremst auf frische Luft, 400 Milliliter pro Implantat, grob geschätzt. Dennoch war es für das Weltklima wohl hilfreicher, an Kohlendioxidemissionen zu sparen als an Stoff.

      Soeben hatte ich also ein waschechtes amerikanisches Supermodel vor der Kamera. Blutjung, mit dezent aufgespritzten Lippen und 50 Kilo Lebendgewicht, verteilt auf einen Meter 80. Die Veranstalter hatten sie wegen der weltweiten PR extra aus Los Angeles eingeflogen. Im Privatjet übrigens, was ich in meinem Beitrag sicherlich erwähnen würde. Als trüge der Stargast einer Demonstration


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