Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager

Schöner sterben in Wien - Dagmar Hager


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war das Kalkül aufgegangen und der Gala jede Menge Aufmerksamkeit gewiss, weit über unsere kleinen österreichischen Grenzen hinaus. Die deutschen Kollegen hatten das Material bereits angefragt.

      Das Mädel setzte einen ihrer zwei möglichen Gesichtsausdrücke auf: den gelangweilten. Ich war selbst eine attraktive Frau, vielleicht deshalb. Neben mir drängte sich der etwas abgehalfterte Kollege eines Konkurrenzsenders ins Bild und ich wurde Zeugin, wie Gesichtsausdruck Nummer zwei zum Zug kam: mäßiges Interesse. Ich hatte sie noch nie lächeln sehen, schob es aber, bei ihrem Nettoverdienst, nicht unbedingt auf schlechte Zähne.

      Mein Lieblingskameramann Ferdl deutete auf einen anderen Interviewgast. Schließlich standen genug herum und ich würde ohnehin nur die Nahaufnahme der Supermodel-Brustwarzen in den Beitrag schneiden, garniert mit den weltbewegenden Worten: »Oh yes, I like Vienna very much. Please take care of our climate!«

      Nachdem ich auch noch den wie stets sehr adretten Bundeskanzler und einen erfolgreichen Skirennläufer in der Sommerpause vors Mikro gezerrt hatte, schickte ich Ferdl allein los, um Schnittbilder zu drehen, und suchte mir eine Bar.

      Der Gin Tonic war hervorragend, so wie die Band, die es schaffte, in der richtigen Lautstärke zu spielen, damit die Gäste sich nicht anbrüllen mussten. Man hatte die bunt angestrahlte Glastheke in einer Ecke des großen Festsaals aufgebaut. Ich lehnte daran, nippte an meinem Drink und genoss den schönsten Moment des Abends: Job erledigt, Zeit für die Meute.

      Wie immer in diesem beeindruckenden Gebäude ließ ich mich von der großartigen Architektur verzaubern. Der Bürgermeister höchstpersönlich hatte einmal für mich den Fremdenführer gespielt und mir das Haus gezeigt. Seither wusste ich, dass 71 Meter zwischen den beiden Orchesternischen an den Stirnseiten lagen. Und dass die in den Boden eingelassenen Schmiedeeisengitter früher als Heizung gedient hatten. »Darunter hat man Kohlefeuer erhitzt, damit die warme Luft aufsteigen konnte!« Rauchgasvergiftung inklusive? Ich hatte nicht gefragt.

      Mein Gin Tonic war fast leer. Mir reichte es, deshalb hielt ich Ausschau nach Ferdl. Kein leichtes Unterfangen in dem Gewühl. Leider fiel er nicht so auf wie das grüne Plüschmaskottchen, das fröhlich herumhüpfte und den Daumen nach oben reckte. Mir tat der, wie ich annahm, Student darunter leid. Es war mit Sicherheit höllisch, den ganzen Abend verpackt in jede Menge Plastik zu verbringen. Mein Blick fiel auf den Stargast. Ob sie sich nach all den OPs auch so fühlte? Nur der Plüsch fehlte.

      Eine Smoking-Kehrseite nahm mir die Aussicht. Ein Mann war eben von einem der aufwendig dekorierten Tische aufgestanden und drängte sich an mir vorbei. Weil ich große grauhaarige Männer mochte, betrachtete ich ihn genauer. Er bestellte ebenfalls GT, wobei ein Hauch von Akzent mitschwang. Definitiv kein Wiener, vermutlich der Grund, weshalb ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Nach Jahren in meinem Job liefen mir auch in unserer Großstadt immer wieder dieselben Leute über den Weg.

      In diesem Augenblick tauchte Ferdl auf und mahnte zum Aufbruch: »Hab alles. War keine Hetz heut’. Sammas?«

      Das Material würde auf jeden Fall ausreichen. Schneiden und ausstrahlen würden wir die ganze Pracht dann in der extralangen Samstagssendung, unserem Quotenbringer. Wir klapperten die ganze Woche über möglichst viele Events ab, oft gebucht, weil jeder sich selbst gerne im Fernsehen sah oder wissen wollte, wer da gewesen war. Simples Konzept. Sichere Einnahmen. Daran konnten auch die Sozialen Medien und YouTube nicht knabbern.

      Wir sagten also »Pfiat Gott« und waren weg.

      Müde, aber völlig überdreht kam ich zu Hause an. Es war nach 23 Uhr an diesem lauen Abend, der sich über die Stadt gelegt hatte. Glücklicherweise war es nicht mehr ganz so heiß wie in den letzten Tagen, als wir unter der schon zweiten Hitzewelle dieses Sommers gestöhnt hatten, während die staubige, flirrende Luft alles verklebte und es sich kaum atmen ließ.

      Ich öffnete meine große Terrassenschiebetür und zog mein verschwitztes Kleid aus. Danach ging ich unter die Dusche und ließ das kühle Wasser eine gefühlte Ewigkeit auf mich herabprasseln.

      Mein Kühlschrank beherbergte einen herrlich kühlen Pinot Grigio. Normalerweise hätte ich jetzt bei meiner besten Freundin und Nachbarin Regina geklopft, um ein Glas mit ihr zu trinken und noch ein wenig zu plaudern. Doch mittlerweile hatten die Sommerferien begonnen. Sie war mit ihren beiden zehnjährigen Jungs nach Kärnten auf Urlaub gefahren. Warum bloß hatte ich es abgelehnt mitzukommen? Wem schadeten schon ein paar Tage Spaß am Wörthersee? Spontan beschloss ich, mir freizunehmen und sie zu besuchen.

      Nach einem weiteren Schluck des leckeren Weins schnappte ich mir mein iPad und checkte kurz Facebook und Instagram, verlor allerdings bald das Interesse. Auch meine Lieblingswebsites konnten mich nicht reizen. Schließlich landete ich auf Netflix und stolperte über eine Folge von »Aufräumen mit Marie Kondo«. Ich blieb dran, sah mir eine zweite an und nahm es als Zeichen.

      Meine Wohnung lag ebenerdig, war klein und spärlich möbliert. Ich mochte es hell – und leer. Neben dem offenen Hauptraum gab es noch ein großes Schlafzimmer mit einem kuscheligen Boxspringbett sowie ein Bad mit Wanne. Meine Kleidung befand sich hinter einer nachträglich errichteten Trennwand im Schlafzimmer, die an das mexikanische Betthaupt anschloss und beidseitig begehbar war.

      Ebendort stand ich nun in Shorts und T-Shirt, rieb mir die Hände und legte los. Mitternacht. Eine bescheuerte Zeit für Vollchaos. Jeder andere hätte sich einen Schlechtwettertag und eine andere Uhrzeit ausgesucht. Egal, ich war niemandem Rechenschaft schuldig.

      Eine Stunde später betrachtete ich fix und fertig das Ergebnis. Ausmisten war anstrengend, auch wenn ich gut wegwerfen konnte und definitiv nicht zu denen gehörte, die alles horteten. Der Caritas-Laden »Carla« würde sich bald über tonnenweise Zuwachs freuen.

      Die Flasche war mittlerweile beinahe leer und mir schwummrig. Intelligent geht anders, Speltz, schimpfte ich mit mir, in ein paar Stunden musst du fit sein, der Tag wird endlos werden. Auf dem Programm stand diesmal der gefühlt hundertste Geburtstag eines Stadtbaumeisters, der beim Reden immer spuckte wie ein Kamel, besonders wenn er angesäuselt war. Nichts, worüber ich im Augenblick auch nur ansatzweise nachdenken wollte.

      Stattdessen nippte ich an meinem Glas, verwundert über die Zufriedenheit, die ich verspürte. Es tat wirklich gut, sich von altem Plunder zu trennen, auch wenn mir der Schweiß in Strömen herunterlief und ich dringend noch einmal duschen musste.

      Verwaschen drangen die Geräusche der Stadt herein und vermischten sich mit der Klaviersonate auf meinem Smartspeaker. Leise summte ich ein paar Takte mit. Autsch! Mein schwer beleidigter Rücken protestierte! Ächzend drückte ich ihn durch.

      Da piepste mein Telefon. Es steckte noch in meiner riesigen schwarzen Arbeitshandtasche im Flur. Steif stakste ich hin, kramte ein wenig herum, bis ich es fand, und musterte das Display. Ein Kollege des Öffentlich-Rechtlichen hatte getwittert. Ich mochte seine Kommentare zwar, aber jetzt war keine Zeit dafür. Damit es in meinem Tohuwabohu nicht verloren ging, legte ich das Handy auf mein Vorzimmertischchen und beschloss, beim Ausmisten gleich hier weiterzumachen.

      Nach meinem Notizheft, dem Kosmetiktäschchen und einer Bürste fischte ich auch noch meinen BH heraus, den ich vorhin auf der Toilette im Rathaus ausgezogen hatte, weil er gescheuert hatte. Dann war die Tasche leer. Sie war innen aus Stoff und besaß ein kleines nie benutztes Seitenfach ohne Reißverschluss. Dennoch schien etwas darin zu stecken, was sich durchdrückte. Seltsam! Oder irrte ich mich? Sicherheitshalber schaute ich nach. Das Teil war hart und vollkommen verkeilt. Ich zerrte daran, bis ich es endlich mit zwei Fingern fest genug packen und herausziehen konnte.

      Neugierig untersuchte ich meinen Fund. Es war eine Plastikkarte mit einem Muster in Rosa und Blau. »Ridičsky prúkaz«, stand da in Großbuchstaben, neben einer blauen EU-Flagge samt Sternen und den Buchstaben CZ in der Mitte. Ich verstand kein Wort, dennoch wusste ich natürlich genau, was ich da in Händen hielt.

      Einen Führerschein.

      Aus Tschechien.

      Wo der bloß herkam?

      Er schien echt zu sein. Die Schrift war winzig und für mich ohne Brille nur schwer zu entziffern, also musterte ich neugierig das Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigte eine Blondine, die sogar auf ihrem


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