Tod oder Taufe - Die Kreuzfahrer am Rhein. Jakob Matthiessen
damaligen Bischof Rüdiger freundlich aufgenommen wurden«, wendete Chaim ein. »Und es ist noch keine sieben Jahre her, da hat Heinrich bestimmt, dass uns Juden Schutz zu gewähren sei. Zwölf Pfund Gold muss derjenige als Strafe bezahlen, der einen von uns zur Taufe zwingt. Und um ganz sicher zu sein, dass, was der Ewige verhindern möge, einer der Unseren aus freien Stücken ihren Glauben annehmen möchte, so hat der Kaiser bestimmt, dass erst nach drei Tagen die Taufe vollzogen werden darf.«
»Das ist schön und gut, aber lass uns dem Bischof unsere Dankbarkeit erweisen. Eine Spende wird er ganz sicher nicht verachten«, erwiderte Schmuel.
»Euer Mangel an Vertrauen zu Gott ist beschämend«, mischte sich Mosche in die Debatte ein. »Wir müssen uns Gottes Gunst würdig erweisen.«
»Und wie sollen wir das deiner Ansicht nach bewerkstelligen?«, entgegnete Schmuel.
»Wir müssen beten und fasten, die ganze Gemeinde. Bis die Ungläubigen an Mainz vorbeigezogen sind.«
Schmuel stöhnte vernehmlich und verdrehte die Augen.
»Es ist so, wie es immer war: fünf Juden, sechs Meinungen.« Ein resigniertes Lächeln zeigte sich auf Kalonymos’ Gesicht, während er sein mächtiges Haupt abwägend nach links und rechts drehte. Alle Blicke richteten sich auf den Parnas, der schließlich mit undeutbarer Miene verkündete: »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Wir beten und fasten, sammeln Geld für den Bischof und bereiten die Verteidigung vor.«
Schmuel und Mosche nickten.
»Salomo und Chaim, ist es das, was wir machen werden?«, fragte der Parnas.
Salomo überlegte kurz. »Ja.«
»Einverstanden«, sagte schließlich auch Chaim, fügte aber mit einem bitteren Lächeln hinzu: »Ich hoffe nur, dass unsere Männer dem Bischof trotz des Fastens ihre volle Kampfbereitschaft zur Verfügung stellen können.«
»Gott wird ihnen die nötige Kraft geben, das Gebet wird sie stark machen«, erwiderte Mosche im Brustton der Überzeugung.
Chaim unterdrückte ein Seufzen. Urplötzlich überkam ihn der Wunsch, sein Gesicht in Jehudiths Busen zu vergraben. Zwischen ihren zwei sanften Hügeln wollte er verweilen. Diese überschaubare beruhigende Landschaft sollte sein Versteck sein, bis seine Frau zu ihm sagen würde: Mein Schatz, du kannst wieder auftauchen. Der Spuk ist vorbei, die bösen Männer sind weg.
Unsanft riss ihn die Stimme des Parnas zurück in die Wirklichkeit. »Also gut, dann lasst uns eine Bekanntmachung für morgen vorbereiten. Wegen des Sabbats werden fast alle der Unseren in die Synagoge kommen.«
Kalonymos zog eine Wachstafel aus einer Schublade unter der Tischplatte hervor und fragte: »Was sollen wir morgen bekannt geben? Ich warte auf eure Vorschläge.«
Auf einem Acker nahe Gerstendorf
Von der schier endlosen Prozession am anderen Rheinufer waren nur noch ein paar Nachzügler zu sehen, vorwiegend Alte, einige auf Krücken. Sie schienen Essensreste und andere Dinge aufzusammeln, die liegen geblieben waren zwischen Pferdeäpfeln und Ochsenmist.
Die Furchen, die Peter und Lene gezogen hatten, waren so schief und krumm, dass Vater sicher schimpfen würde. Aber wie zum Teufel konnte er auf den blöden Acker achtgeben, wenn die Ritter des Kreuzes direkt vor seiner Nase vorbeizogen?
Nachdem auch die Allerletzten die Biegung des Rheins erreicht hatten, wurde es ein wenig ruhiger in Peters Brust. Er hielt den Pflug nun wieder fest in seinen Händen und blickte aufmerksam zu Boden, um den Steinen auszuweichen. So kamen sie gut voran, und wenn sie zu einer neuen Furche ansetzten, dann streichelte er über Lenes Hals, wie er es immer tat.
Doch der äußere Schein trog. Zwar war das Heer der Pilger nun in Richtung Mainz hinfortgezogen, aber Peters Gedanken verweilten bei dem Heer Gottes. Was diese beneidenswerten Menschen wohl alles erleben würden? Er dagegen musste noch mindestens zwei Tage diesen steinharten Acker pflügen. Während er sich abschuftete, konnten die Pilger die weite Welt sehen und Heldentaten vollbringen. Und sobald er mit diesem Acker fertig war, würde er Unkraut aus dem Flachsfeld rupfen müssen. Ihm tat der Rücken weh, allein wenn er an das dauernde Bücken dachte und die sengende Sonne im Nacken. Ein Buckeln ohne Ende, das war sein Leben.
Lene zog geduldig Furche um Furche. Was unterscheidet mich von diesem Gaul, haderte Peter. Verbissen arbeitete er weiter, bis die Sonne nur noch vier Handbreit über dem Horizont stand. Peter war erschöpft, und Lenes Schnauben zeigte ihm, dass auch sie am Ende ihrer Kräfte war.
»Genug für heute«, bestimmte Peter, und Lene nickte dankbar mit ihrem großen Kopf.
Beim Gang durch die Äcker zu seinem Heim kreisten seine Gedanken weiterhin um all das Wunderliche, was sich an diesem Nachmittag vor seinen Augen abgespielt hatte.
Mainz – in der Langen Gasse
Nachdenklich schritt Chaim durch die Lange Gasse in Richtung des Marktplatzes. Stundenlang hatten sie gestritten, abgewogen und verworfen. Um jedes Wort für die morgige Ankündigung in der Synagoge war es ein entnervendes Ringen gewesen. In seiner Empörung hatte Mosche Ausdrücke von sich gegeben, die schwerwiegende Konflikte hätten heraufbeschwören können: Sohn der Abgesonderten und gehängter Bastard hatte er den Heiland der Christen genannt. In seiner Erregung über den Tod ihrer Glaubensgenossen hatte er ihre Taufe als Beschmutzung mit übel riechendem Wasser und ihre Kirchen als Haus der Unreinheit bezeichnet. Immer wieder musste Chaim auf Mäßigung dringen. Ganz besonders jetzt waren sie doch auf die Hilfe ihrer christlichen Mitbürger aus Mainz angewiesen.
Und Kalonymos wollte alle kampffähigen Männer bewaffnen. Dazu sah auch Chaim die Notwendigkeit, die Nachrichten aus Speyer waren zweifelsohne besorgniserregend. Und noch schlimmer war, dass ein Heer der Unbeschnittenen vor Worms zu stehen schien. Aber bestand nicht die Gefahr, die Christen in Mainz durch waffentragende Juden zu provozieren?
Immerhin war es Chaim gelungen durchzusetzen, dass die Bewaffnung heimlich vonstattenginge.
Erschöpft erreichte er sein Haus am Marktplatz gegenüber dem großen Dom. Er betrat den Laden mit Glaswaren, den sie erst letztes Jahr eröffnet hatten. Einige der reicheren Bürger der Stadt konnten sich die durchsichtigen Becher und Karaffen leisten, und Schmuck mit dem geheimnisvoll funkelnden, farbenreichen Material war ein begehrtes Geschenk für eine Angebetete. So war es Jehudiths Idee gewesen, die Glasprodukte, die in Chaims Werkstatt im hinteren Teil des Hauses hergestellt wurden, den Mainzern in einem Laden vorzuführen.
Die linke Seite stand deshalb unter dem Regiment seiner Frau: Hinter einem Tresen waren bunte Gläser, Pokale und Schalen, Ringe, Broschen und Ohrgehänge in allen Farben in einem großen Wandregal adrett positioniert. Und sogar glasbesetzte Diademe gab es dort. Chaims Bereich war auf der rechten Seite zu finden. Dort waren Fenster aus Glas ausgestellt, die in Mainz bisher nur in seiner Werkstatt hergestellt werden konnten. Schmuel versorgte ihn mit farblosen Glasbarren aus dem Orient, die er in seiner Werkstatt weiterverarbeitete. Nun konnte er endlich kleine durchsichtige Schiebefenster herstellen, die die Kälte weitaus besser abwehrten als die dünnen Pergamente, die man bisher in die Fensterrahmen spannte. Und man war sogar in der Lage, die Konturen der Häuser und Menschen durch das Glas zu sehen. Der Rohstoff war sündhaft teuer, aber für die Wohlhabenden waren seine neuen Fenster nicht unerschwinglich.
Beim Eintritt in den Laden nickte er Jehudith kurz zu, die mit einem Kunden beschäftigt war. Sie blickte fragend zu ihrem Mann hinüber. Chaim wies mit dem Finger auf die Treppe hinauf zu ihrer Wohnung und formte mit dem Mund ein lautloses »Später«. Er setzte sich an den großen Küchentisch und wechselte ein paar Worte mit David, der sich jedoch schnell wieder zu Hannah und Benjamin gesellte. Kurze Zeit später kam Jehudith, begrüßte ihn mit einem für seinen Geschmack viel zu flüchtigen Kuss und fragte: »Und? Wieso gab es so plötzlich eine Ratssitzung? Ist etwas passiert?«
Ernst schaute er in die Augen seiner Frau und sagte leise: »Schlimme Nachrichten aus Speyer. Mosche war eine Plage und Kalonymos mal wieder übereifrig.«
»Na, so ist es doch schon immer gewesen.«
»Dem Herrn