"Bleib schön sitzen!". Eugen Freund
Küchenchef, und seine Eltern, die hervorragend kochten. Die Almbar wiederum war das absolute Gegenteil: eine laute, mit viel Alkohol durchtränkte Disco, aber auch der einzige Platz, in dem man nach dem Abendessen bis tief in den nächsten Morgen noch das machen konnte, wofür heute der Begriff »chillen« verwendet wird.
Davon machten am wenigsten die anderen, meist älteren Sommerurlauber in Unterburg Gebrauch, die sich in der »Villa Luise« und in der »Villa Pohl« eingerichtet hatten. Diese beiden Gebäude gehörten zu den ersten Urlaubsquartieren überhaupt am Klopeiner See, sie wurden vor rund hundert Jahren von Wiener Feriengästen errichtet. Hauptmann Eugen Pohl gilt als Pionier des Erholungsgebietes, schon 1904 kümmerte er sich mit seinem »Verschönerungsverein« um das Wohl der Urlauber. Wollte man zu der nach ihm benannten Pension, musste man erst am Bauernhof der Familie Ferk vorbei. In den späten Fünfzigerjahren konnte es durchaus sein, dass der kleine Janko (der sich später als Richter, viel mehr aber noch als scharfsinniger Beobachter und Schriftsteller einen Namen machte) dort barfuß und nur mit einer kurzen Hose bekleidet im Hof spielte. Für mich waren es aber im Wesentlichen die »alten« Damen aus Wien, die ich immer gerne besuchte. Das heißt, mein Vater besuchte sie als Hausarzt, ich durfte oft mit hinein und dann standen dort meist köstliche Kuchen oder auch »Heller Wiener Zuckerl« auf dem Tisch, an denen ich mich bedienen konnte. Für meinen Vater gab es regelmäßig ein Gläschen Eierlikör. Eine der Damen, Frau Perhauz, hatte es mir besonders angetan, und sie versprach, mich einmal nach Wien einzuladen. Das machte ich dann auch als Zwölfjähriger, in den Weihnachtsferien. Ich durfte mit dem Zug nach Wien fahren! Neben Frau Perhauz kümmerte sich dort auch ein Teil meiner Wiener Verwandten um mich. An zwei Höhepunkte erinnere ich mich gut: Einmal brachte mich Onkel Lukas (der Bruder meines Vaters) zum Flughafen Wien Schwechat, wo ich nicht nur die (wenigen) startenden und landenden Flugzeuge bewunderte, sondern am meisten von den elektrischen Schiebetüren beim Eingang fasziniert war. Wenn man auf den Gummiteppich trat, schoben sich die beiden Flügel automatisch zur Seite – ich weiß nicht, wie oft ich das ausprobieren musste. Ein noch größeres Erlebnis war aber der Besuch des Neujahrskonzertes am 1. Jänner 1960. Es dirigierte damals Willy Boskowsky – wie Johann Strauß als Stehgeiger. Ich saß ganz vorne neben dem Orchester, blickte von dort in den großen Saal des Musikvereins und genoss die Walzer- und Polkaklänge. Bis zum heutigen Tag habe ich dieses einmalige, alljährliche musikalische Ereignis nie versäumt. Gleichgültig, wo ich mich gerade aufhielt, in New York oder in Washington, am. 1. Jänner stand immer das Neujahrskonzert auf meinem Programm. Die Liebe zur klassischen Musik habe ich von meinem Vater geerbt. Das Radio, vor allem das Sonntagskonzert, war ein »Muss« in unserem Haushalt. Ein Plattenspieler, der im Radio eingebaut war, sorgte neben der Klassik für zusätzliche Vielfalt: Helmut Qualtingers »Der Herr Karl« wurde so oft gespielt, dass ich ihn bald auswendig nachsprechen konnte und kann (»Mir brauchen Sie gar nix dazählen, i kenn des. Die Art von G’schäften kenn i schon, weil i war auch amol a junger Mensch, aber damals, das war noch a andre Zeit …«). Meine Mutter sorgte dafür, dass auch sehr Exotisches aus den Lautsprechern schallte: »Missa Luba – Les Troubadours de Roi Bauduin«, ein kongolesischer Chor mit christlicher Kirchenmusik und – ganz als Kontrast dazu – aus den (nicht ganz jugendfreien) Balladen von Francois Villon, übersetzt von H. C. Artmann, gesprochen von Helmut Qualtinger mit Jazz von Fatty George (»… aus an Lavur von ana Hur …«).
Gelegentlich spielte der Vater aber auch am Klavier, das in unseren beengten Räumlichkeiten im Wohnzimmer Platz gefunden hatte. Dass er auch vor so schwierigen Stücken wie Beethovens Sonate »Die Wut über den verlorenen Groschen« nicht zurückschreckte, zeigt auch, dass er über ein ausgesprochenes musikalisches Talent verfügte.
Begegnung mit Friedensreich Hundertwasser
Offensichtlich verstand er auch insgesamt von Kunst einiges. Im Sommer 1955 wurde er zu einer Patientin gerufen, die am Bauernhof Jernej vulgo Keber in Vesielach ihren Urlaub verbrachte. Das war noch lange vor der Zeit, als »Urlaub am Bauernhof« modern wurde – der Keberhof bot einfache und billige Übernachtungsmöglichkeiten an. Die Patientin stellte sich als Frau Stowasser vor und sie war nicht allein, mit ihr war auch der Sohn Friedrich gekommen. Ein wenig fiel er meinem Vater durch seine Kleidung auf – er trug ein auffällig groß-kariertes Hemd und seine Füße steckten in Sandalen. Aber das wirklich Besondere an ihm war das Bild, das er gerade malte: Es zeigte die sechsjährige Tochter des Hauses, Annemarie, die im Bett lag und von einer dicken Daunendecke gewärmt wurde. Nach mehrmaligen Visiten schloss mein Vater dann mit Frau Stowasser einen Handel: Sie brauchte ihn für die Konsultationen nicht zu bezahlen, wenn ihr Sohn seinen Sohn, also mich, malen würde.
Und so kam Friedrich Stowasser zu uns nach Hause. Ich musste mich in den Ohrensessel setzen, ruhig verhalten immer wenn ich aufstehen wollte, forderte mich Hundertwasser streng auf: »Bleib schön sitzen!« und er machte erst einmal eine Skizze, dann füllte er das Bild mit Wasserfarben aus: roter, kurzärmliger Pullover, blaue kurze Hose, im Gesicht ein paar Sommersprossen – die Ähnlichkeit mit mir war frappierend. Dann hing das Bild »Pepsi, der Sohn von Dr. Freund«, gezeichnet mit »Hundertwasser«, jahrelang in unserem Wohnzimmer. Auch die Übersiedlung in das neu gebaute Haus gegenüber der Schule machte es mit. Als ich dann in den Achtzigerjahren einmal im Sommer aus New York, wo ich für einige Jahre Beschäftigung gefunden hatte, nach St. Kanzian zurückkam, fiel mir gleich der leere Platz an der Wand auf. »Wo ist der Hundertwasser?«, fragte ich meine Mutter, einigermaßen entsetzt. »Ach, weißt du,« druckste sie herum, »ich, äh, ich musste, ich hab’ es ins Dorotheum getragen, ich wusste nicht, wie ich sonst die Rechnungen bezahlen sollte.« – »Du hast deinen Sohn verkauft?« Ich konnte es kaum glauben. »Ich hätte dir doch das Geld geborgt, wenn du mich gefragt hättest!« – »Ach, du hast mir schon öfter ausgeholfen, ich wollte dich nicht wieder anjammern …« Und so verschwand der »Hundertwasser« aus unserem Besitz.
Doch zum Glück nicht auf Dauer. Während meines Aufenthaltes in Washington als ORF-Korrespondent meldete sich eines Tages Joram Harel, der Manager Hundertwassers, telefonisch bei mir. Er habe eine Anfrage eines Notars aus Bayern, aus der er schließe, dass der das von ihm erworbene Bild »Pepsi, der Sohn von Dr. Freund« verkaufen wolle. Ob ich interessiert sei? Natürlich war ich. Und tatsächlich gelang es mir, das Bild in den Familienbesitz zurückzubekommen. Und wieder war das Glück auf meiner Seite. Genau zu jener Zeit, als ich den Anruf von Joram Harel bekam, wohnte bei uns in Bethesda, einem Vorort von Washington, die Tochter einer guten alten Freundin. Diese Freundin – Waltraud von Waldenfels – hatte ein wunderschönes Haus am Klopeiner See, wohnte aber in Oberbayern, ganz in der Nähe des Notars, der »meinen« Hundertwasser verkaufen wollte. Nach ein paar Telefonaten war es dann so weit: Sie holte das Bild beim Notar ab und bei ihrem nächsten Besuch in Kärnten brachte sie es mir vor die Haustür.
Ein gutes Jahrzehnt davor hatte ich »Friedensreich« zum letzten Mal getroffen. Als er 1985 den großen Gebäudekomplex in Wien eröffnete, den er entworfen und gebaut hatte, durfte ich ihn begleiten und Fotos von ihm schießen. Dass ich, oder genauer gesagt meine Mutter, zu diesem Zeitpunkt »meinen Hundertwasser« nicht mehr besaß, verriet ich ihm dabei aber nicht. 2008 wurde im KunstHaus Wien eine Ausstellung mit dem Thema »Der unbekannte Hundertwasser« gezeigt – mit Aquarellen und Ölbildern von Friedensreich Hundertwasser, die aus seiner Frühzeit als Maler stammten. Als Plakat hatte man ausgerechnet »Pepsi, den Sohn von Dr. Freund« ausgewählt, es machte in ganz Wien auf diese besondere Ausstellung aufmerksam.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне