Nebeleck. Elisabeth Nesselrode

Nebeleck - Elisabeth Nesselrode


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jemand in Schwanghaus umhört und nach Berger erkundigt, nach allem, was den Leuten in den letzten Tagen seltsam vorgekommen ist, Ungereimtheiten, neue Gesichter. Egal wie insignifikant. Wir brauchen –«

      »Wir sind hier durchaus geschult, was Polizeiarbeit angeht, Frau Kork.«

      Ulrike warf Kaya einen langen Blick zu. »Haben Sie einen Augenblick?«

      Ein Murmeln ging durch den Raum. Kaya stand langsam auf und schritt mit einer Selbstgefälligkeit auf die Tür zu, dass es Ulrike vor Wut fast die Kehle zuschnürte.

      »Ich weiß nicht, was dieses Kompetenzgerangel soll, aber ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass es in höchstem Maße unprofessionell ist«, zischte sie, nachdem Kaya die Tür hinter sich geschlossen hatte.

      Er erwiderte ihren Blick seelenruhig. »Wir haben hier auf der Dienststelle schon Leichen gesehen und in Mordfällen ermittelt, das ist kein Neuland für uns. Unsere Zusammenarbeit mit der Kripo Regensburg ist immer gut verlaufen, Herr Wimmer hat nie –«

      »Herr Wimmer ist nicht hier.«

      »Mir ist bloß wichtig, dass Sie verstehen, dass Sie es nicht mit irgendwelchen Dorfpolizisten zu tun haben, die alle sechs Jahre mal eine Ehefrau aus einem Silo fischen und den Rest der Zeit Knöllchen an Falschparker verteilen oder im Wirtshaus Leberkas verdrücken.«

      Ulrike warf einen Blick durch die Scheibe auf die Kollegen im Besprechungszimmer. »Ich hoffe nur, dass Sie sich nicht deswegen so aufgeführt haben, weil mal eine Frau das Sagen hat.«

      »Ach, kommen Sie, was hat das damit zu tun? Die da drin hatten genauso Probleme mit einem Türken, der das Sagen hat.« Kaya zuckte mit den Schultern. »War’s das?«

      Ihre Reaktion war zögerlich, also öffnete er die Tür und ging auf seinen Platz zurück. Ulrike blieb noch für einen Augenblick im Flur stehen, atmete tief durch, dann schloss sie die Tür wieder hinter sich und fuhr mit der ersten Bestandsaufnahme fort.

      Es war bereits alles zusammengetragen worden, was die Datenbanken und das Internet über das Mordopfer hergaben. Berger war 1963 in Wackersdorf geboren, hatte in Regensburg studiert, dann als Biologielehrer an einem staatlichen Gymnasium gearbeitet. Er hatte 1990 geheiratet, seine Frau Ingrid Berger war vor fünf Jahren nach einer langen Brustkrebserkrankung gestorben. Der gemeinsame Sohn Anton war siebenundzwanzig und lebte in München. Vor einem Jahr war Berger in Frührente gegangen und hatte sich mit dem Hofkauf in die komplette Einsamkeit zurückgezogen. Mehr gab es bislang nicht. Zu guter Letzt ließ Ulrike noch ein aktuelles Foto des Verstorbenen an die Wand werfen. Ein Passfoto, vor drei Jahren geschossen.

      Die Person, die ihr nun entgegenblickte, hatte gar nichts mit der gemein, deren Leiche am Morgen gefunden worden war. Statt eines aschfahlen, blutverschmierten Gesichts schaute sie einen Mann an, mit dem das Alter nicht besser hätte umgehen können. Graubraunes mittellanges Haar, ein Dreitagebart, freundliche braune Augen, ein angenehmes Lächeln umspielte die Mundwinkel. Leonard Berger war äußerst attraktiv gewesen. Unwillkürlich fühlte sie sich an Lutz erinnert, ihren ersten Ehemann, der eine ähnliche Unbefangenheit und Wärme ausgestrahlt hatte. Rasch schob sie den störenden Gedanken beiseite und löste den Blick von den dunklen Augen des Passbildes.

      »Haben wir schon was aus der Rechtsmedizin?«, fragte sie und trommelte unruhig mit den Fingern auf den Tisch.

      »Noch nicht viel«, antwortete Kaya. »Der Todeszeitpunkt liegt schätzungsweise zwei bis drei Tage zurück, sicher kann man das noch nicht sagen. Berger ist verblutet, ein Messerstich in die Aorta unterhalb der linken Herzkammer hat ziemlich schnell zum Tod geführt.«

      »Gab es schon Kontakt zu den Angehörigen? Frau Brandl?«

      Franka Brandl schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Ich hab dem Sohn auf die Mailbox gesprochen, aber bisher kam noch kein Rückruf.« Sie zögerte. »Da ist aber noch was anderes … Meine Cousine hat heut früh angerufen, sie hat nach Schwanghaus geheiratet und mitbekommen, was los ist. Sie hat mir erzählt, dass da so Gerüchte umgingen. Vielleicht war es aber auch nur dummes Geschwätz.«

      »Was für Gerüchte?«

      »Dass es einen Grund gab, warum der Herr Berger so plötzlich den Hof gekauft hat, warum er aus Regensburg abgehauen ist. Man sagt, dass da was an der Schule passiert ist. Mit einer Schülerin.«

      Ulrike blickte wieder auf das Foto von Leonard Berger. Nun meinte sie noch mehr hinter den freundlichen Gesichtszügen erkennen zu können, als läge ein durchsichtiger Filter darauf. Sie seufzte. Du alter Hund, dachte sie. »Geben Sie mir die Adresse Ihrer Cousine. Ich rede mit ihr. Frau Brandl, Sie kommen mit.«

      ***

      Hallo du,

      wieder hab ich mich so gefreut, wie ich dich gesehen hab. Du bist einkaufen gewesen. Wie gut du wieder ausgeschaut hast. Mir ist das Herz fast stehen geblieben, deswegen war ich auch so schweigsam dann. Manchmal weiß man ja auch gar nicht, was man sagen soll, und man muss ja auch nicht immer was sagen. Ich schau dich einfach nur gern an. Ich denk oft, dass die Leute dann am schönsten sind, wenn sie meinen, dass sie allein sind, wenn sie gar nicht merken, dass jemand grad hinschaut.

      Geht’s dir nicht auch so? Ich denk an dich.

      X.

      3

      Es war später Nachmittag, als Franka Brandl und Ulrike über die kurvigen Landstraßen nach Schwanghaus fuhren. Die Sonne stand schon am Horizont, über den Feldern lag ein fast durchsichtiger, dunstiger Nebel. Ulrike beobachtete durch das Autofenster einen Turmfalken, der im Rüttelflug in der Luft verharrte und sich dann auf den Boden hinunterstürzen ließ. Ob die Jagd erfolgreich gewesen war, konnte sie nicht mehr erkennen.

      »Woher kommen Sie eigentlich?«, fragte Franka Brandl sie. »Man hört, dass Sie nicht von hier sind. Also, nicht aus Bayern.«

      »Recklinghausen, Ruhrgebiet«, antwortete Ulrike.

      »Und wie hat es Sie nach Regensburg verschlagen, wenn ich fragen darf?«

      »Mein Mann ist aus der Nähe, also, aus Straubing.« Sie zögerte. »Ex-Mann«, korrigierte sie sich.

      »Ach, Sie sind geschieden?«, fragte Franka. »Entschuldigung, das geht mich ja gar nichts an«, fügte sie dann verlegen hinzu.

      »Das macht nichts. So gut wie, ich bin getrennt. Das dritte Mal, falls Sie es genau wissen wollen. Kaum zu glauben, was?« Ulrike schloss die Augen und räusperte sich. Ein langes Schweigen trat ein.

      »Und wie gefällt es Ihnen hier so in der Oberpfalz?«, durchbrach Franka Brandl schließlich die angespannte Stille. »Die Leute sind hier vielleicht schon etwas –«

      »Die Leute sind alle gleich. Jeder meint immer, er hätte die Originalität für sich gepachtet, aber letztlich ist es überall dasselbe. Egal wo man hinkommt.« Ulrike biss sich auf die Zunge und versuchte sich zu sammeln. Diese zynischen Kommentare, die sie klingen ließen wie einen alten, abgebrühten Westernhelden, musste sie sich dringend abgewöhnen. »Woher stammen Sie?«, fragte sie Franka Brandl stattdessen und beobachtete die hübsche Blondine aus dem Augenwinkel.

      »Von hier. Also, ein paar Dörfer weiter. Ich hab’s nicht weit weg geschafft.« Sie lachte. »Aber wollte ich auch nie.«

      »Es ist gut, wenn man weiß, wo man herkommt und wo man hingehört«, sagte Ulrike, und dann schwiegen beide wieder, bis sie die nächste Ortsausfahrt passiert hatten und Schwanghaus, in die hügelige Landschaft eingebettet, am Horizont in Sicht kam.

      »Kennen Sie denn Schwanghaus?«

      Franka Brandl zuckte mit den Schultern. »Ein Kaff wie jedes andere hier, viele Junge sind da, junge Familien. Die haben eine Grundschule und einen Kindergarten. Meine Cousine erzählt, sie hätten eine gute Dorfgemeinschaft.«

      Schwanghaus lag mitten in einem Felderteppich, auf dem es gerade wieder zu wachsen und zu blühen begann. Ein alter Fendt Farmer fuhr vor ihnen durch den Ortskern. Gerade wurde Gülle ausgebracht, überall roch man das. Ulrike, die das Landleben nicht gewohnt war und eher mit dem


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