Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett. Alfred Bekker
einen Fall betreffen, in dem Lutterbeck als Strafverteidiger und Anwalt tätig war.”
“Wir kennen den Killer”, stellte ich fest. “Und wir haben mit Norbert Merendan jemanden, der ihm persönlich begegnet ist. Wir kennen ein wichtiges körperliches Merkmal von ihm, auch wenn sein Bild nicht gerade besonders brauchbar ist… Dieser Kerl mit dem verkürzten Finger sollte nach wie vor unser Hauptansatzpunkt sein.”
“Ich nehme an, die Kollegen vom BKA-Büro Berlin haben mit Merendan ein Phantombild erarbeitet”, meinte Rudi. “Morgen früh sollten wir mal nachfragen.”
“Eins steht fest: Der Täter hat sehr professionell agiert”, sagte ich. “Die Tat war gut vorbereitet. Ich halte es sogar für möglich, dass er absichtlich jemanden dafür sorgen ließ, der einer islamistischen Sekte angehört hat wie Merendan, sodass man die Hintergründe der Tat in einer ganz anderen Richtung sucht. Selbst wenn er Gerold getroffen hätte, hätte man doch zuerst gedacht, dass eigentlich der MdB gemeint gewesen sein könnte. In so fern war auch der Zeitpunkt des Anschlags äußerst geschickt gewählt…”
“...wenn man davon ausgeht, dass tatsächlich von einer anderen möglichen Ermittlungsrichtung bewusst abgelenkt werden sollte”, ergänzte Rudi.
“Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Harry?”, fragte Wildenbacher.
“Wenn das kein Terrorist war, war das ein Profi-Killer”, sagte ich. “Und wer kann sich so jemanden leisten? Wer hat - abgesehen von terroristischen Netzwerken - noch die nötige Infrastruktur, um so ein Attentat planen und durchführen zu können?”
“Nur das organisierte Verbrechen”, meinte Rudi.
“Das ist nicht irgendein einsamer Rächer, der da eine persönliche Todesliste abarbeitet. Der arbeitet für jemanden, der sehr mächtig ist. Und da frage ich Sie, wer würde Ihnen da einfallen, Gerold? Mit wem haben Sie und Lutterbeck sich gleichermaßen so angelegt, dass er sie beide tot sehen will.”
“Und vielleicht noch andere”, meinte Rudi. “Es ist ja nicht auszuschließen, dass auf dieser Liste noch andere stehen, die mit Ihnen in irgendeiner Weise dasselbe Schicksal teilen.”
“Wie gesagt, dass soll Lin-Tai herausfinden”, meinte Wildenbacher gereizt. “Ich weiß doch oft gar nicht die genauen Hintergründe eines Falls. Da kommt was zu mir auf den Seziertisch, mit dem die Kollegen irgendwo in Deutschland nicht zurecht kommen, ich nehme mein Skalpell und stochere noch mal drin herum oder mache eine zusätzliche Analyse, um Licht ins Dunkel zu bringen. Aber über die genauen Hintergründe des Falls weiß ich doch sehr häufig gar nicht Bescheid.”
“Ist schon klar, Gerold.”
“Meine Aufgabe ist es schließlich in der Regel, die Todesursache herauszubekommen oder irgendeine andere, klar umrissene Fragestellung zu beantworten. Wurde Herr X zuerst verprügelt und dann gewürgt oder umgekehrt? Auch wenn das in der Praxis dann häufig zur Aufklärung eines Falles führt, ist diese Aufklärung einfach nicht mein Job!”
“Sind Sie in letzter Zeit bedroht worden? Haben Sie irgendwelche Beobachtungen gemacht, die vielleicht darauf hindeuten könnten, dass Sie beobachtet worden sind?”, fragte Rudi.
Wildenbacher wirkte plötzlich nachdenklich. “Also die letzte Sache, an der Franz und ich zusammen gearbeitet haben, ist noch gar nicht lange her”, meinte er dann plötzlich. “Genau genommen ist der Fall auch noch gar nicht abgeschlossen…”
“Worum geht es?”, fragte ich.
Wildenbacher machte eine wegwerfende Handbewegung. “Aber da ging es nicht darum, dass jemand durch mein Gutachten verhaftet worden ist, sondern genau umgekehrt: Mein Gutachten hätte für die Freilassung einer Person sorgen können, vorausgesetzt, es wird irgendwann nochmal fertig…”
“Erzählen Sie es trotzdem, Gerold”, verlangte ich.
Wildenbacher hob die Augenbrauen. “Sie greifen im Moment nach jedem Strohhalm, was?”
“Wenn dieser Fall eine Verbindung zwischen Ihnen und Lutterbeck ist, dann ist es vielleicht doch mehr als ein Strohhalm”, gab ich zu bedenken.
Gerold Wildenbacher atmete tief durch. “Okay. Franz Lutterbeck war zuletzt wieder als Anwalt tätig. Er war zwar zeitlebens jemand, der für die unnachsichtige Verfolgung von Verbrechern eintrat und in seiner Zeit als Staatsanwalt als harter Hund galt. Aber er war auch durch und durch Jurist. Einer, der die Ansicht vertrat, dass auch unsympathische Personen Anspruch darauf haben, vor dem Gesetz fair behandelt zu werden.”
“Und wer ist die unsympathische Person in dieser Geschichte?”
“Jörn Savonian.”
“Den Namen habe ich schon gehört.”
“Ein Pate des organisierten Verbrechens. Man fand ihn mit einer toten Prostituierten im Bett. Er wurde wegen Mordes verurteilt und sitzt seitdem im Hochsicherheitstrakt. Vor kurzem bat mich Franz Lutterbeck um der alten Zeiten willen, ein paar alte Befunde zu überprüfen.”
“Warum?”
“Es bestand der Verdacht, dass der damalige gerichtsmedizinische Bericht falsch war. Franz hatte offenbar Indizien dafür gefunden, dass Jörn Savonian damals mit gefälschten Beweisen hereingelegt worden war.”
“Trifft das Ihrer Einschätzung nach zu?”
“Der Bericht war von vorne bis hinten falsch. Die Würgemale passten nicht zu den Händen des Verdächtigen. DNA-Proben waren falsch zugeordnet. Ich habe selten eine so schlechte Arbeit gesehen.”
“Nur Schlamperei oder bewusste Fälschung?”, fragte ich.
“Mein Freund Franz war der Überzeugung, dass der damalige Gerichtsmediziner gekauft wurde. Aber das ist alles nicht offiziell. Es gibt auch keinen offiziellen Bericht.”
“Wieso nicht?”
“Nochmal: Franz Lutterbeck hat bei mir informell nachgefragt, ob ich ein paar Dinge überprüfen würde. Er hat für Jörn Savonian das Mandat übernommen und vorher wollte er sicher sein, dass die Geschichte Hand und Fuß hat, bevor er damit vor Gericht geht. Natürlich hätte ich dann ein offizielles Gutachten zu der Sache abgegeben, aber so weit ist es ja auch gar nicht mehr gekommen. Schließlich…”
“...ist Franz Lutterbeck bekanntlicherweise vorher erschossen worden.”
“Wer wusste von den Plänen, den Fall Savonian nochmal aufzurollen?”, fragte ich.
“Soweit ich weiß, nur Savonian selbst, Lutterbeck und ich. Und vielleicht noch die eine oder andere Person in Lutterbecks Kanzlei.”
“Gab es nicht eine Morduntersuchung im Fall Lutterbeck?”, fragte ich.
“Ja, und die ist noch nichtmal abgeschlossen”, ergänzte Rudi.
“Wieso hat man da nicht gleich an diese Sache gedacht?”, fragte ich.
“Also man kann den Ermittlern da keinen Vorwurf machen”, meinte Wildenbacher. “Ich bin ja wegen Franz’ Tod auch kurz vernommen worden. “Es gab nun wirklich sehr viele Leute, die einen Grund hatten, auf Franz sauer zu sein, während von dieser Sache so gut wie niemand wusste und außerdem auch kein Grund ersichtlich gewesen wäre, ihn deshalb zu töten.”
“Vielleicht gibt es jemanden, der nicht will, dass man Jörn Savonian wieder freilässt”, meinte Rudi.
Rudis Handy klingelte. Mein Kollege ging dran. Er sagte ein paarmal etwas angestrengt “Ja!” und schloss schließlich mit einem: “Danke, dass Sie sofort angerufen haben.”
Dann beendete er das Gespräch.
“Was Wichtiges?”, fragte ich.
“Kann man wohl sagen. Das war Gregor Nöllemeyer, der Sprengstoffexperte.”
“Der Kerl, der da so nervös am Tatort herumgelaufen ist und versucht hat, herauszufinden, was das für eine Bombe war,