Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung. Franz Harrer

Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung - Franz Harrer


Скачать книгу
war schon lange mein Wunsch, dass die von mir seit vielen Jahren erforschten und in verschiedenen Zeitungen und Kalendern veröffentlichten sowie noch nicht veröffentlichten Sagen und Legenden gesammelt in Buchform erscheinen, damit sie auf diese Weise ins Volk zurückkehren, von dem sie gekommen sind. Die hier gesammelten Sagen stammen aus Steyr, der schönen, alten, wasserumrauschten Stadt im Tale, aus den Bergen und Tälern der Voralpen und aus dem schönen, malerischen, von klaren Bächen und Bächlein durchflossenen, fruchtbaren Hügellande, so weit die ausgedehnte, schöne Umgebung reicht. Im Laufe vieler Jahrzehnte habe ich mich bemüht, aus dem lebensfrohen, arbeitsamen, gastfreundlichen und sagenfreudigen Volke, das diesen herrlichen und entzückend schönen Landstrich bewohnt, Volkssagen und Legenden herauszuhorchen. Das Forschen nach Sagen, den einfachen Naturpoesien des Volkes, ist mir zur Lieblingsbeschäftigung in meiner freien Zeit geworden. Das Gemüt des friedvollen Volkes ist noch empfänglich für Sagen, die in geruhsamen Feierstunden daheim erzählt werden. Wie oft bin ich im Kreise von lieben Menschen in der traulichen Stube eines Voralpenbauers gesessen und habe ihren seltsamen Sagen, die sie »Geschichten« nennen, gelauscht.

      Sowohl die Stadt Steyr als auch die Umgebung sind reich an köstlichen Sagen, die uns viel aus längst verklungenen Tagen erzählen.

      Auffallend sind die vielen uralten Sagen und Legenden, die die Stadt Steyr besitzt, deren Begebenheiten durch den Nebelschleier der Vorzeit schimmern. Wie weit die Menschensiedlung Steyr in die Vorzeit zurückreicht, ist nicht genau bekannt, aber wo die Historie schweigt, redet die Sage. Hier gilt, was Peter Rosegger in einer seiner Schriften sagt: »Die Historie schläft – und ihr Traum ist die Sage.« Bis heute hat es noch keine umfassende Darstellung von Sagen und Legenden aus der Stadt Steyr und ihrer Umgebung gegeben. Dieses Buch schließt daher eine Lücke der heimatlichen Sagenforschung. Wer die Heimat kennenlernen will, muss auch ihre Sagen kennen und darf an ihnen nicht achtlos vorübergehen.

       Franz Harrer

       Sagen aus der Stadt Steyr

       Der Ursprung der Burg Steyr

      In der mittelalterlichen Heldensage von Biterolf und Dietleib wird die Erbauung der Burg Steyr mit Etzel, genannt Attila, dem Hunnenkönig, in Verbindung gebracht.

      Historisch betrachtet war Attila ein Schrecken der Völker, ein Verächter von Gesetz und Recht. Er hat seinen Bruder Bledel ermordet, um Alleinherrscher der Hunnen sein zu können. Jordanes, der Geschichtsschreiber der Goten, schildert ihn als klein von Gestalt, breitschultrig, dickköpfig mit kleinen Augen, mit spärlichem, grau untermischtem Barthaar, mit platter Nase und dunkler Hautfarbe.

      Er hatte, wie es bei diesem Volke Sitte war, viele Weiber, daher auch viele Söhne und Töchter; die Töchter zählten nicht, denn sie waren keine Krieger. Er hatte ein Heer von 500.000 Kriegern, die aber nach dem Bericht des Jordanes schier mehr Tiere als Menschen waren. Seine Hauptfrau war Helche, die Königin der Hunnen. In den Niederungen zwischen Donau und Theiß war, wie der oströmische Geschichtsschreiber Priskus berichtet, die große, volkreiche, aus Holz gebaute Hunnenstadt, wo Attila in einem großen Palast mit Säulenhallen sein Hoflager hielt und eine Pracht entfaltete, die selbst Römer und Griechen in Erstaunen setzte. Hier lagerten unermessliche Schätze, die Beute der eroberten Länder. Gesandtschaften aus allen damals bekannten Teilen der Erde trafen sich hier, wie auch Attila Gesandte in allen Ländern hatte. Viele germanische Fürsten weilten an seinem Hofe und leisteten Attila auf seinen Kriegszügen Heerfolge. Ein Mann mit mächtiger Kraft und unerschütterlichem Willen stand Attila, ein Völkerkönig, da. Er nannte sich selbst die »Gottesgeißel« und meinte, er sei zum Herrn der Welt bestimmt.

      Erscheint Attila geschichtlich als unersättlicher Land- und Sachräuber, so tritt er in den alten Heldensagen als idealer König, freundlicher und leutseliger Herr in Erscheinung. So in der alten Heldensage von Biterolf und Dietleib.

      Der Westgote Biterolf, Fürst von Toledo in Spanien, verließ eines Tages seine Frau Dietlinde, seine beiden Kinder Dietleib und Künhilde und zog an den Hof Attilas, der in Heldensagen Etzel genannt wird, um ihn, von dem er schon so viel Merkwürdiges gehört hatte, kennenzulernen. Er blieb dort viele Jahre unerkannt, machte Attilas Kriegszüge mit, zeichnete sich durch Tapferkeit aus und stand hoch in der Gunst des Königs Etzel. Inzwischen waren Dietleib und Künhilde herangewachsen. Dietleib, ein schöner und kräftiger Jüngling geworden, wollte durch die Lande ziehen und seinen Vater suchen, was ihm aber seine Mutter verwehrte. Doch er täuschte seine Mutter, indem er sagte, er gehe auf die Jagd, welches Vergnügen sie ihm gönnte. Auf diese Art entfloh er seiner Mutter.

      Mit dreien gleich ihm tatenlustigen Jünglingen ritt er nach Norden an den Hof des Königs Günther zu Worms am Rhein, weil er glaubte, dort seinen Vater zu finden. Doch dort war er nicht. Nun ritten die viere nach Osten zu König Attilas Hof, wo sie gut aufgenommen wurden. Markgraf Rüdiger von Pechlarn begrüßte sie herzlich. Biterolf, der am Hofe Attilas war, kannte seinen Sohn Dietleib nicht und der Sohn den Vater nicht. Auf einer Heerfahrt gegen den Polenkönig, der Attila den Krieg angesagt hatte, zogen auch die beiden mit Dietrich von Bern, Wolfhart, Wittich und anderen Helden und kämpften als die Tapfersten. Nach dem Ende des Kampfes vermittelte Rüdiger von Pechlarn das Erkennen zwischen Vater und Sohn; denn er hatte in ihnen den Fürsten Biterolf von Toledo und seinen Sohn Dietleib erkannt.

      Als der Krieg einen für Etzel (Attila) günstigen Verlauf genommen hatte, zog das Heer zurück zur Stadt der Hunnen. Alle Helden im Hunnenpalast wurden freundlich empfangen und belohnt. Dem Fürsten Biterolf schenkte Attila das Steyerland, das vorher Nurdung, Attilas Sohn, besessen hatte. Es war eines der schönsten Länder, das unter der Herrschaft Attilas war, reich an Getreide, Weiden und Wald, mit vielen jagdbaren Tieren, Salz und Wein, selbst Gold und Silber in seinem Inneren bergend. Biterolf und Dietleib bauten sich auf der Felsenhöhe am Zusammenfluss der Enns und Steyr die prächtige Steyrburg und nannten das Land Steiermark. Nach Vollendung der Burg ritten Biterolf und Dietleib nach Spanien und holten die Fürstin Dietlinde und die junge Künhilde ab und kehrten mit vielen Rittern zur Steyrburg zurück, in der nun Fürst Biterolf regierte.

       Der Raub der schönen Künhilde

      Fürst Biterolf, seine Frau, die Fürstin Dietlinde, Dietleib und seine junge Schwester Künhilde lebten und wirkten mit ihrem Ingesinde auf der schönen Burg zu Steyr, die Biterolf und sein Sohn Dietleib nach der Heimkehr aus der Residenzstadt des Königs Etzel auf der hohen Felsterrasse am Zusammenfluss der Steyr und der Enns haben erbauen lassen, wie eine uralte Sage uns erzählt. Am Morgen eines schönen Frühlingstages ging Künhilde, die schöne Tochter Biterolfs, mit ihren Gespielinnen aus der Burg zu Spiel und Tanz unter die grünen und blühenden Linden. Es fehlten auch die jungen Ritter nicht. Spielleute waren auf dem grünen Plan und spielten schöne Tanzweisen, nach denen sich das junge Volk drehte. Unter den Fröhlichen waren auch Fürst Biterolf, etliche Grafen mit ihren Frauen, die den heiteren Spielen mit Wohlgefallen zusahen.

      Da kam auf seinem Pferde Laurin, der König der Zwerge, zur Burg Steyr geritten. Auch er sah dem fröhlichen Treiben der Mädchen interessiert zu. Unter den schönen Mädchen sah er Künhilde, welche die Schönste und Lieblichste von allen war. Sogleich entbrannte er in Liebe zu der schönen Maid. Vermöge seiner Zauberkraft und seiner Nebelkappe, die ihn unsichtbar machte, holte er Künhilde, indem er eine Tarnkappe über sie stülpte, aus der Hut ihres Bruders und einiger Grafen heraus, setzte sie auf sein Pferd und ritt mit ihr nach Tirol; er brachte sie in den fürstlich eingerichteten hohlen Berg, wo König Laurin sie als Königin über sein Zwergenvolk setzte. Niemand hatte den Raub der Fürstentochter bemerkt.

      Auf der Suche nach seiner Schwester Künhilde, die auf so geheimnisvolle Art verschwunden war, kam ihr Bruder Dietleib auch zum Rosengarten des Zwergenkönigs Laurin in Tirol. Dort traf er mit den vier Fürsten Dietrich von Bern, Hildebrand, Wittich und Wolfhart zusammen, die er kannte und die seine Freunde waren. Dietrich stand zur selben Stund im ungleichen Zweikampf mit dem Zwergenkönig Laurin, der durch seinen Zaubergürtel Zwölfmännerstärke besaß und sich außerdem mit seiner Tarnkappe unsichtbar machen konnte. Erst als ihm Dietrich


Скачать книгу