Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung. Franz Harrer
den vier Fürsten Freundschaft und Treue, lud sie ein, mit ihm in den hohlen Berg zu gehen. Wohl warnten Wittich und Wolfhart vor der Tücke und der Hinterlist König Laurins, des Zwerges; um nicht feige zu erscheinen, gingen sie alle hinein in den Berg. Darinnen war einzigartige Pracht und Herrlichkeit; überall funkelte es von Gold und Edelsteinen. Laurin, der Zwerg, ließ den Fürsten ein Mahl bereiten. Bei Wein und Met, bei Harfenklang und Geigenspiel, Gesang und mancherlei Spielen, vom Volk der Zwerge dargebracht, war große Lust und Fröhlichkeit im Berge. Da kam herein die schöne Künhilde, reich gekleidet, das Haupt geschmückt mit einem goldenen Diadem. Sie grüßte die Fürsten als ihre lieben Gäste. Groß war die Freude, als sie ihren lieben Bruder Dietleib sah, den sie herzlich begrüßte. Sie sagte ihm, dass sie alles im Überflusse hätte, sich aber nach der lieben Heimat sehne. Dietleib sprach, er sei gekommen, sie von hier fort und heim zu bringen. Laurin, der Zwergenkönig, ging zu Künhilde, seiner lieben Herrin und klagte ihr sein Leid. Die Recken hätten ihm seine schönen Rosen verwüstet, Dietrich habe ihm den Gürtel zerbrochen, dadurch habe er seine Stärke verloren und könne sich nicht rächen. Sie möge ihm raten, was er tun solle. Sie steckte ihm unter der Bedingung, dass er den Fürsten nicht ans Leben gehe, was er ihr versprach, ein Ringlein an den Finger, mit dem er seine Zwölfmännerstärke wieder hatte.
Laurin ließ sich Dietleib kommen, nannte ihn seinen lieben Schwager und sagte, er wolle seine vielen Schätze mit ihm teilen, wenn er sich nicht der Fürsten annehme. »Nein«, sagte Dietleib, »das tue ich nicht, meinen Freunden werde ich nicht untreu.« Da sperrte der ränkesüchtige Zwerg Dietleib in das Felsgemach ein. Dann eilte Laurin in den Felsensaal, wo die vier Fürsten beim Mahle saßen, tat ihnen betäubenden Kräutersaft in Wein und Met, dass sie nach einer Weile wie tot auf den Bänken lagen. Dann warf er alle viere in ein tiefes Felsenverlies.
Künhilde, die alles beobachtet hatte, erkannte die Gefahr, in der ihr Bruder und die vier Fürsten schwebten. Sogleich eilte sie heimlich zu ihrem Bruder, gab ihm ein Ringlein, damit er die Zwerge sehen konnte, die er, durch Zauber verursacht, nicht hätte sehen können. Künhilde half dem Bruder sich rüsten, sie setzte ihm den Helm auf das Haupt, gab ihm Schwert und Schild. Dann führte sie Dietleib zu dem tiefen Felsverlies, darinnen die vier Fürsten gefangen waren. Er brachte ihnen ihre Rüstungen und die Waffen. Als Laurin das bemerkte, blies er in das Horn, dass es durch den Berg schallte, auf welchen Ruf dreitausend Zwerge kamen, denen er zurief: »Dass ihr mir von den fünf Recken keinen am Leben lasst!« Während sich die vier Fürsten in Eile rüsteten, kämpfte Dietleib einen harten Kampf mit den Zwergen, von denen viele tot dahinsanken, aber auch er drohte bald zu erliegen. Zur rechten Zeit noch kamen die Recken und griffen, nachdem auch sie von Künhilde Ringlein bekommen hatten, die sie befähigten, die Tausende von Zwergen zu sehen, in den Kampf ein, der vielen Zwergen das Leben kostete. Und als dem Zwergenkönig der Finger, an dem sein Ring stak, abgehauen wurde, verlor er abermals seine Zwölfmännerkraft. Da stieß der Zwerg in sein Hifthorn; auf diesen Notruf kamen fünf Riesen, die dem Zwergenkönig dienten, vom Walde herein in den Berg und griffen mit langen Eisenspießen in den mörderischen Kampf ein. Viele der Zwerge und mit ihnen auch die fünf Riesen wurden erschlagen.
Da sank der Zwergenkönig auf die Knie und bat nicht nur um sein Leben, sondern auch um das Leben seines übrig gebliebenen Zwergenvolkes. Erst als die schöne Künhilde um das Leben Laurins und seines Volkes bat und auch Dietleib sich der Bitte seiner Schwester anschloss, ließen die Fürsten von dem wilden Streite ab. Sintram, ein treuer Zwerg, wurde von den Recken als König der Zwerge eingesetzt. Der Zwergenkönig Laurin aber wurde gefangen und von den Fürsten nach Bern mitgenommen. Künhilde bat Dietrich von Bern um Milde für Laurin, den Zwergenkönig. Als sie sich von Laurin verabschiedete, weinte er bitterlich und schrie auf vor Schmerz über den Verlust der jungen, schönen Fürstentochter Künhilde. Künhilde aber kehrte mit ihrem Bruder Dietleib heim zur Burg Steyr, wo die auf so rätselhafte Weise verschwundene Fürstentochter von ihrem Vater Biterolf und ihrer Mutter Dietlinde mit Freuden empfangen wurde. So die altdeutsche Sage von der Künhilde, dem Zwergenkönig Laurin, dem Fürsten Biterolf und der Burg zu Steyr.
Die Gründungssage der Burg Steyr
Es war vor sehr langer Zeit. Da ritten eines Tages zwei junge Ritter auf schönen, edlen Pferden einen breiten, halb mit Gras bewachsenen Saumpfad entlang; bald ritten sie durch schattendunklen Wald, bald über grüne Fluren, die zwischen den Wäldern lagen. Sie waren von weither über das Hügelland gekommen und ritten gegen Süden, dem Gebirge zu. Zur Linken hatte jeder ein Schwert, dessen metallische Scheide an die eisernen Steigbügel schlug und glöckelte. Die Lanzen hatten sie angriffslustig in Händen, denn zu jener Zeit hausten in den vielen urwaldartigen Wäldern noch Bären, Wölfe und anderes Raubgetier.
Die beiden Ritter redeten nicht viel, sondern ritten schweigend durch die Gegend. Ihre Blicke aber ließen sie wie suchend über die hügelige Gegend schweifen. Dort und da, unter dem Laub der Bäume schier versteckt, lag ein aus Holz gebautes Bauernhaus, zaunumschlossen, am Saume eines Waldes. Auf den Feldern verrichteten Bauersleute ihre Tagesarbeit, die Waffen griffbereit in ihrer Nähe; denn es war, wie gesagt, noch eine gefährliche Zeit, wo Raubtiere durch die Gegend strichen.
Lange waren sie schon durch das Land geritten. Plötzlich standen die Ritter mit ihren Pferden am Rande eines steil, fast senkrecht abfallenden Berghanges. Voll Verwunderung sahen sie auf das herrliche Landschaftsbild, das sich vor ihren staunenden Augen auftat. Tief drunten rauschten und schäumten zwei Bergflüsse, die durch Auen von verschiedenen Richtungen kamen und sich hier zu einem Fluss vereinigten, der, von Auwaldbäumen besäumt, seine Wasser rauschend nordwärts wälzte. Sie sahen in das schöne Tal, sie sahen die grünen Berge, sie sahen die gewaltigen Felsenberge, deren weißgraue steinerne Häupter weit südwärts in die Bläue des Himmels ragten.
Entzückt von der Schönheit dieses Landschaftsbildes sprach der eine Ritter: »Hier ist es schön, hier wollen wir uns eine Burg bauen!« »Du hast recht, Bruder, und hier für immer bleiben.« Sie sahen sich nach einem geeigneten Platz zum Bau einer Burg um. Meinte der eine: »Der schönste Platz ist diese bewaldete Anhöhe, auf der wir stehen.« »Nein«, sagte der andere, »der beste und schönste ist drüber dem Fluss, dort auf dem dreieckigen Felsen, der sich zwischen den zwei Flüssen in die Wassergabel vorschiebt.« »Der schönste Platz ist aber hier«, so der eine. »Der sicherste aber ist dort drüben.« So der andere. So stritten sie lange fort und konnten sich nicht einigen.
Und so musste nach dem alten ritterlichen Brauche durch einen Zweikampf darüber entschieden werden, wo die Burg zu stehen kommen sollte. Hart rannten die beiden Brüder gegeneinander, bis einer aus dem Sattel geschleudert wurde. Nach dem Willen des Siegers wurde die Burg auf jenem Felsen erbaut, den die Fluten der Steyr bespülten. Daher wurde die Burg »Steyrburg« genannt. Handwerker mit ihren Familien siedelten sich hier an, denn im Schutz des Burgherrn konnten sie friedlich arbeiten. Im Laufe der Zeit entstand die Stadt Steyr, so genannt nach der Steyrburg. Auf der Anhöhe aber, wo der unterlegene Ritter die Burg bauen wollte, steht heute das kirchenähnliche, mauerumfangene Gebäude mit dem schlanken Türmlein, auf dessen Spitze der Wetterhahn sich nach dem Winde dreht und so den Leuten gutes oder schlechtes Wetter kündet. Dieses weiß schimmernde, freundliche Gebäude schaut aus luftiger Höhe hernieder auf die Stadt und wird »Tabor« genannt.
Der Ritter Heinz Scheck von Steyr
Im Mittelalter lebte in Steyr das Rittergeschlecht der Schecken. In langer Geschlechterfolge existierte dieses Geschlecht, das in Steyr eine hervorragende Rolle spielte, von 1126 bis 1465, dann starb es wahrscheinlich aus, weil man nichts mehr von ihm hörte. Einige der Schecken waren Burggrafen von Steyr. Einer der Schecken, und zwar Ritter Otto von Scheck, wurde im Jahre 1213 von dem wilden Ritter Otto Düring von Ternberg im Streite, dessen Ursache unbekannt ist, mit anderen im Freithofe von Garsten erschlagen. Dieser rauflustige Ritter ordnete hernach einige persönliche Angelegenheiten mit Abt Konrad III. vom Kloster Garsten und zog, wie es heißt, aus Reue über seine blutige Tat und zur Sühne als Pilger nach Rom und in der Folge als Kreuzritter mit Herzog Leopold V. von Österreich und Kaiser Friedrich II. nach Palästina, wo ihm in der Fremde das geschah, was er in der