Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung. Franz Harrer
Kirche, die draußen vor den Toren der Stadt lag. Als nach dem Bauernkrieg im Jahre 1626 und in Durchführung der Gegenreformation die Katholiken wieder das volle Verfügungsrecht über ihre Stadtkirchen bekamen, verlor die Kirche der Kapuziner allmählich ihre Bedeutung. Kaiser Joseph II. hob im Jahre 1786 das Kloster auf, das Gebäude und der Garten wurden an einen Herrn Eberstaler verkauft und die Kirche abgebrochen. Da kann man wohl sagen: Nichts besteht, alles verändert sich und vergeht.
Der abergläubische Müller
Das in Zwischenbrücken über dem Steyrflusse gestandene Objekt XII., das viele Jahre der Steyr-Daimler-Puch AG gehörte und zur Kraftübertragung mittels elektrischen Stromes diente, wurde 1965 abgebrochen. An der Stelle dieses kleinen Elektrizitätswerkes stand über sechshundert Jahre eine uralte, ziemlich große Mühle; sie stand auf der durch den Zusammenfluss der Enns und Steyr gebildeten spitzen Landzunge.
Michael Heindl kaufte im Jahre 1832 diese Mühle, die im Laufe der Zeit viele Besitzer, darunter Adelige, einen Stadtrichter und sogar einen Herzog, gehabt hatte. Die Müllerfamilie Heindl gab der Mühle den bis zum Schluss gebräuchlichen Namen Heindl-Mühle. Die, wie gesagt, ziemlich große Mühle war zum Teil auf mächtigen hölzernen Rammpfählen über dem smaragdgrünen Wasser der Steyr erbaut, wie auf einem alten Bilde noch zu sehen ist. Mehrere große unterschlächtig angetriebene Wasserräder plätscherten und klapperten von früh morgens bis spät abends und auch des Nachts. Diese Mühle mag neben den damals hölzernen Brücken über der Enns und der Steyr eines gewissen romantischen Reizes nicht entbehrt haben.
Neben der Getreidemühle gab es noch eine Schleiferei, an der die unterschiedlichsten Werkzeuge und Waffen geschliffen wurden. Auch war der Mühle noch eine Säge angeschlossen. Da hatten Müllerburschen, Schleifergesellen und Holzarbeiter reichlich Arbeit und Verdienst.
Einst hauste und werkte in der Mühle ein in seinem Wesen ganz eigentümlicher Müller, ein etwas geldgieriger und eigenartiger Kauz. Der Besitz der Mühle und der anderen angeschlossenen Werke brachten ihm nicht wenig Geld ein. So sammelte er blanke Silbergulden und harte Taler, die er in einer mit Eisenbändern beschlagenen, schweren hölzernen Truhe verwahrte. Aber sie wurde nicht voll. Daran waren seiner Meinung nach die schlechten Zeiten schuld und die um vieles ältere Spitalmühle gegenüber am jenseitigen Ufer der Steyr, die ihm so viel Konkurrenz mache; das Klappern des Wasserrades jener Mühle tat ihm in den Ohren wehe. Das war immer seine Klage. Es ist das alte Lied: Wer viel hat, hat noch immer nicht genug; er möchte noch mehr haben. Da hörte er von einem Zaubermittel, das rasch reich mache. Dieses Zaubermittel sei, wie ihm gesagt wurde, eine Holunderstaude, auf die sich einmal ein Bienenschwarm mit jungen Bienen und ihrer Königin zum ersten Male niedergelassen habe. Eine solche Staude müsse er ober der Tür der Mühle anbringen. Geldgierig und abergläubisch, wie der Müller war, verschaffte er sich eine solche Zauberstaude und tat, wie ihm gesagt wurde.
Dieses Zaubermittel brachte ihm zwar nicht schnell mehr Reichtum als er ohnehin schon hatte, sondern etwas anderes. Die Leute, die an der Mühle vorbeigingen und die Holunderstaude ober der Tür sahen, schüttelten die Köpfe und – wie es damals war – vermuteten dahinter ein Teufelswerk.
Davon erfuhr auch die Müllerzunft. Sie verklagte den Zwischenbrücken-Müller beim Magistrat Steyr, dass er aus dem Grunde Zauberei betreibe, damit das Mahlen besser gelinge und er daher mehr Geld verdiene. Die Müllerzunft, bei der er, wie es scheint, ohnehin nicht gut angeschrieben war, wollte ihn ausstoßen. Doch das Stadtgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Er musste 50 Reichstaler zahlen und außerdem einen Revers unterschreiben, in Hinkunft sich keines solchen Zaubermittels mehr zu bedienen. Wo ist der Zwischenbrücken-Müller? Wo ist die Heindl-Mühle? Beide existieren längst nicht mehr.
Das »Blut-Gassl«
Ein Haus in Steyr mit einer schönen Vorderwand ist das Haus der Frau Leonore Ecke, Enge Gasse Nummer 11. Die ganze Vorderwand dieses zweistöckigen Hauses ist mit den herrlichsten Kratzputzmalereien bedeckt. Der Beschauer sieht in einer Reihe unten und in einer Reihe oben je acht mystische Drachentiere, links und rechts an der Schauseite zwischen den Fenstern Doppelspiralen und Rauten, uralte Symbole und andere figurale Zier. Zwischen diesem Hause Nummer 11 und dem Hause Nummer 9 des Herrn Josef Stigler führte in alter, längst vergangener Zeit ein schmales Gässchen von der Enge Gasse zum Ennskai, der ennswärts entlang dem Flusse noch die alte Stadtbefestigungsmauer hatte. Dieses Gässchen, das zwischen den zwei genannten Häusern zum Ennskai hinunterführte, hieß einst das »Blut-Gassl«. Der größte Teil dieses Gassls ist wohl noch vorhanden, aber für den Verkehr nicht mehr benutzbar. Dieses merkwürdige schmale Gässchen ist vor langer, nicht mehr feststellbarer Zeit in das Haus Nummer 9, Enge Gasse, einbezogen worden und verbaut. Der Eingang in dieses Gässlein wäre auf der rechten Seite des Stiglerhauses, ist aber, wie gesagt, verbaut und der Durchgang ist heute nicht mehr möglich; man kennt aber noch sehr gut, dass von hier aus das besagte Gassl zum Kai führte.
Wie kam dieses Gassl zu dem Namen Blut-Gassl? In diesem Gassl ist vor langer Zeit, wie die Sage erzählt, ein Graf erschlagen oder erstochen worden. Ob es ein Burggraf oder ein anderer Graf gewesen, das weiß die Sage nicht mehr. Als man ihn fand, lag er in einer großen Blutlache und war tot. Die Mörder waren entflohen und man hat nie erfahren, wer die Täter waren. Lange Zeit war ein großer Blutfleck zu sehen. Und von da an erhielt das enge finstere Gassl den etwas gruselig klingenden Namen »Blut-Gassl«. Name und Gassl sind heute fast vergessen und nur ganz wenige wissen noch davon. Wie das Blut-Gassl ursprünglich hieß, ist nicht mehr bekannt.
Das Pestkreuz aus dem Jahre 1786
Die Stadt Steyr ist im Laufe vieler Jahrhunderte in kürzeren und längeren Zeitabständen von der schrecklichsten aller Krankheiten, der Pest, heimgesucht worden. Gar oft heißt es in alten Chroniken, dass die »erschröckliche Pestilenz einen großen Haufen frommer und böser Leut’ hinweggerafft hat«. Daher hatte die Stadt in und um Steyr mehrere Pestfriedhöfe, in denen die von dieser pestilenzischen Seuche hinweggerafften Personen männlichen und weiblichen Geschlechts begraben wurden.
So war einer dieser Pestfriedhöfe außerhalb der Stadt gegenüber dem einstigen Kapuzinerkloster auf der Anhöhe, wo jetzt die alte Bertholdi-Kapelle steht. Ein anderer Pestfriedhof befand sich in der Ortschaft Gmain. Als die Opfer der Pest in den Jahren 1541 und 1542 den kleinen, schmalen Friedhof bei der Pfarrkirche überfüllten und man eine größere Ansteckung von den Leichnamen fürchtete, wurde hinter dem Bruderhaus, im sogenannten Weichselgarten, ein neuer Friedhof errichtet. Doch auch dieser erwies sich bald zu klein und reichte in den Pestjahren 1569 und 1570 nicht mehr aus. – Manche Pestsäule, manche Pestkapelle, mancher Bildstock mit Bildern und Statuen der Pestpatrone erinnern uns an diese gar oft grassierende hässliche Krankheit. Auf einen dieser Pestfriedhöfe sei hier besonders hingewiesen. Etwas außerhalb der Stadt Steyr, unweit der St. Anna-Kirche, nahe am linken Ufer des Steyrflusses, lag eine Wiese. Auf dieser Wiese wurden hauptsächlich die im Pestjahre 1713 an der Seuche Verstorbenen begraben.
Zeiten und Menschen sind vergangen, die Pest ist nicht wieder gekommen. Der Friedhof verfiel im Laufe der Zeit; nichts deutete mehr darauf hin, dass diese Wiese einst ein Pestfriedhof gewesen. Einzig ein altes, aus Sandstein gearbeitetes, einen und einen halben Meter großes, schweres, barockes Kreuz stand noch windschief, halb in die Erde gesunken, einsam und verlassen mitten in der grünen Wiese. Am Kreuze stand die erhaben gemeißelte, aber schon arg verwitterte Inschrift in der Schreibweise jener längst vergangenen Zeit:
Hier ligt begraben R. P. Franziskus Sorer S. J., Rektor der Jesuiter C. U. Steyr, welcher in der Pest sein Geist aufgegeben hat. – Dießer hat den pesthaften gedienet u. biettet alle um ein Gebett. Anno 1786.
Allgemein wird angenommen, dass im Jahre 1713 die Pestperiode in unserem Heimatlande ihr Ende gefunden hat. Dass die Pest viele Jahre später noch einmal in Steyr verheerend auftrat und neben vielen Leuten auch den oben genannten Priester im Jahre 1786 hinwegraffte, das beweist die Inschrift an dem vorhin genannten