Häuptling Schlappschritt. Andreas Safft
oder drittes Paar Laufschuhe? Endlich einmal eine Laufjacke, atmungsaktiv und windschnittig? Neue Badehose und Schwimmbrille? Eine Pulsuhr? Ein 14-Tage-Seminar bei irgendeinem Fitness-Guru auf Korsika oder wenigstens in Mittelfranken?
Das kostet. Und lässt sich wohl nur mit drastischen Maßnahmen finanzieren. Sollte ich einfach mal wieder für ein paar Wochen rauchen, drei Schachteln pro Tag, bis die Lunge rasselt? Wenn ich dann wieder aufhöre – mindestens zehn Euro pro Tag kann ich dann für den guten Sport verplanen.
Doch dann hat mich eine Studie schwer schockiert. Demnach kostet ein dicker Raucher die Allgemeinheit zigtausend Euro weniger als der dünne Hering, der gesund lebt. Wenn der Genussmensch die Radieschen längst von unten anschaut, humpelt der Gesundheitsbewusste immer noch mit irgendwelchen Meniskusgeschichten zum Doc und will partout nicht einsehen, dass man nach seinem 90. Geburtstag lieber nicht mehr von seiner Ironman-Premiere auf Hawaii träumen sollte.
Ich persönlich mag diese Rechnung nicht unterschreiben. Denn seitdem ich die Nikotin- durch die Laufsucht ersetzt habe, spare ich ja nicht nur die Schachtel Kippen pro Tag. Sondern bin praktisch allein dafür verantwortlich, dass im Frühling der Konjunktur-Motor anspringt. Neue Klamotten sorgen für neue Motivation, neue Schuhe zunächst für neue Blasen, aber dann für Wunderzeiten. Nicht zu vergessen die Pulsuhr, quasi die Handtasche des ambitionierten Läufers. Kaufen, kaufen, kaufen!
Bei meinen ersten Runden mochten ja vielleicht ein olles Shirt und die alte Turnhose als Outfit ausgereicht haben. Verächtlich habe ich die Nase gerümpft angesichts der durch die Wälder rasenden ausgemergelten Gestalten mit quietschbunten Synthetik-Laufjacken, eng anliegenden Strumpfhosen und Tretern, die aussahen, als hätte sie ein Teletubby nach drei Gläsern zu viel Waldmeisterbowle entworfen. Mittlerweile weiß ich es besser: Das Shirt für 10 Euro kannst du nach einer halben Stunde auswringen, das Shirt für 20 hält wenigstens trocken, das für 30 trägt sich gut und das für 40 sieht sogar chic aus – und vor allem laufen mit diesem Luxusteil nicht noch zwei Dutzend Nasen pro Volkslauf herum.
Jeder braucht seine Droge (Tiergartenlauf Lüneburg 2007)
„Du hast das Rauchen immer noch nicht wieder angefangen?“, mein Schwesterchen ist entsetzt. „Nee, ich rauche nicht mehr, ich laufe“, entgegne ich. „Na ja, jeder braucht halt seine Droge“, kontert sie. Und jetzt gebe ich mir die extra starke Dosis: 19,1 Kilometer beim Tiergartenlauf des MTV Treubund. Mein erster Lauf weit jenseits eines Zehners.
Zur Motivation rechne ich aus: Kilometer mal Körpergewicht ist ungefähr die Kalorienanzahl, die man beim Laufen verbrennt. Der Trick wirkt. Gerade rechne ich 19,1 mal 92 in Tafeln Schokolade um, da taucht Lauftreff-Trainerin Susanne nach der Hälfte der Strecke vor mir auf: „Komm, du bist auch schon mal schneller gerannt. Ein paar Leute packst du doch noch.“
Ich klemme also mein virtuelles Messer zwischen die Zähne und gebe Vollgas. Ein Pärchen weit vor mir scheint locker austrudeln zu wollen. Die packst du noch! Millimeter für Millimeter arbeite ich mich heran. Wenige Meter vorm Ziel habe ich sie fast. Aber ich kann nicht mehr. Und jetzt rasen zwei Angeber auf der Zielgeraden an mir vorbei. Wer jetzt noch so sprinten kann, der hat sich vorher nicht richtig angestrengt, oder?
Eine lächerliche halbe Stunde schneller – und ich schaffe es nächstes Mal aufs Treppchen. Jetzt schaffe ich es gerade noch zum Getränkestand, zum Kuchenstand, zum Bratwurststand. Ein paar Läufer haben eine Fluppe zwischen den Lippen – die würde jetzt bestimmt richtig reinhauen … Nee, ich bleib’ tapfer.
„Drei Viertel der Läufer sind doch eh Junkies“, sagt nicht meine Schwester, sondern meine Liebste. Und sie hört sich dabei nicht so an, als wenn sie mich ins vierte Viertel einsortieren würde.
Richtig kompliziert wird es, wenn neue Schuhe fällig werden. Denn es ist eine Schande, dass Arbeitgeber Sonderurlaub für einen Umzug gewähren, aber nicht für einen Laufschuhkauf. Der regelmäßige Käufer von Luxustretern mit individueller Pronationsunterstützung für 120 Euro aufwärts leistet für die Volkswirtschaft garantiert mehr als die Sofakartoffel, die sich den täglichen Bedarf an Büchsenbier und Chips beim Discounter besorgt. Da darf man auch ohne schlechtes Gewissen ein paar Jahre länger leben.
Der Sklave meiner Uhr
Warum ich meine eigene Zone immer noch nicht wirklich entdeckt habe und warum vierstellige Zahlen magisch sein können.
Rennen Sie einfach so durch den Wald, ohne Wissen über ihren optimalen Herzfrequenzbereich? Halten Sie die OwnZone für eine englische Bezeichnung der ehemaligen Wochenend-Datscha von Erich Honecker? Hat Ihre Pulsuhr weniger als zwei Dutzend Knöpfe und hundert Funktionen? Sie tragen gar keine Pulsuhr? Sie Glücklicher – dann sind Sie noch nicht Sklave ihres Geräts, dann schaffen Sie noch drei Schritte ohne nervösen Blick aufs Handgelenk. Ich nicht mehr.
Alles fing so harmlos an. Mein altes Steinzeitmodell zeigte brav den Herzschlag und die Laufzeit an – und sonst nichts. Ein bisschen neidisch blickte ich schon auf die Besitzer all der Multifunktions-Chronometer. Präzisionsinstrumente, die bestimmt auch einen akzeptablen Latte macchiato zubereiten oder mit Börsentipps aufwarten können. Aber eines Tages war meine Uhr einfach weg. Ich sah es als Zeichen und bemühte mich um Ersatz.
„Eine Stoppuhr, mit der man auch den Puls messen kann“, begehrte ich kurz und knapp im Laden. Meine letzten Worte vor dem dreiviertelstündigen Vortrag des Verkäufers über diverse Wundergeräte, ihre vielen Vor- und wenigen Nachteile. Faszinierend fand ich das immer wieder lässig eingeworfene Wort „Herzfrequenz-Variabilität“. Erklärung für Doofe wie mich: Verharrt man im trägen Zustand, schlägt das Herz, wie es halt lustig ist, mal nach 0,92 Sekunden, mal nach 0,99 – doch bei einer ganz bestimmten Belastung fällt der Pulsschlag immer gleichmäßiger aus, die Herzfrequenz-Variabilität wird immer geringer. Und da hat man die OwnZone erreicht. Kapiert?
Egal, ich auch nicht. Ich sah die Ermittlung meiner ganz persönlichen OwnZone aber trotzdem als Ticket zum Läufer-Paradies an und hatte nach ein paar Minuten Aufwärmen die Werte: 115 bis 150. Ach. Puls 115 erreiche ich beim gemütlichen Trimmtrab, 150 beim Versuch, Usain Bolt in Sichtweite der Ziellinie zu überholen. Da kann was nicht stimmen.
Noch ein genauer Blick in die Gebrauchsanweisung. Ach so: Ich kann sogar einstellen, ob ich leicht, mittel oder hart trainieren will. (Eigentlich will ich immer leicht trainieren.) Jetzt endlich weiß ich fast immer auf den Pulsschlag genau, welches Tempo ich mir gerade zumuten kann – ansonsten beginnt das Gerät nervös an zu piepsen. Fehlt eigentlich nur noch, dass es unvermittelt einen Stachel herausfährt und in meine Haut rammt, um einen Laktat-Test auszuführen.
Fast schon habe ich mir gedacht: Was soll der Quark? Doch dann leuchtete am Ende des Trainings eine magische vierstellige Zahl auf, die Zahl der Kilokalorien, die ich gerade japsend verbraucht habe. Klasse. Was brauche ich sonst noch an Motivation? Eigentlich nur noch die Umrechnung der Kalorienzahl in Schokoriegel.
PS: Die Polar F11 trage ich acht Jahre später immer noch. Den Brustgurt habe ich längst entsorgt, ein paar Kratzer verzieren das Display. Die Uhr misst keinen Puls mehr, sie kann keine Satelliten finden, keine Durchschnittsgeschwindigkeit errechnen, ist nicht mit irgendeiner Laufcommunity verbunden, ist nicht einmal im Ansatz online. Aber ich nerve sie nicht mehr alle paar Minuten mit nervösen Blicken, sie mich nicht mit einer Datenflut, die ich ohnehin nicht bewältigen kann. Wir vertragen uns einfach gut.
Schön, wenn der Schmerz nachlässt
Was aus meiner ersten richtig großen Laufverletzung geworden ist und warum ich ziemlich gereizt war.
Wenn etwas weh tut, dann muss man pausieren – das weiß jeder vernünftige Läufer. Aber wer ist schon vernünftig? Orthopäden und Chirurgen wollen ja auch leben. Kopfschüttelnd habe ich bisher beobachtet, wie andere ihre Sehnen und Gelenke quälen, bis sie quasi die Krücken bestellen können. Jetzt aber gehöre ich zu den anderen.
Es fängt so harmlos an. Eine kleine Runde am Elbe-Seitenkanal, ein plötzlicher Schmerz im linken Fuß. Ich humple nach Hause und