Anleitung für Simulanten. Gisbert Roloff
(siehe oben),
Wahrscheinlich werden Sie manches streichen und manches hinzufügen wollen. Machen Sie sich einfach Ihre ganz persönliche Liste. Aber Achtung: Wer hier und dort ein bisschen simulieren will, muss sich auskennen (vgl. dazu den zweiten und dritten Teil unseres Buches), und er sollte ein gutes Gedächtnis haben. Denn man muss sehr genau im Kopf behalten, was man wem und wo gesagt hat und welche Leiden man wem und wo vorgespielt hat.
Mehr vom Kuchen bekommen
Und jetzt die Frage: Wie sehen die Kuchen aus, von denen Sie ein etwas größeres Stück bekommen wollen? Hier unsere Liste, Ihre kann wiederum ganz anders sein.
→ | Filme, Lokale, Clubs ab 18 besuchen können (sich älter machen, als man ist), |
→ | beim Arbeitgeber eine Auszeit ergattern (eine schwer überprüfbare, aber heilbare Krankheit simulieren), |
→ | mehr Steuern zurückbekommen (z.B. das Arbeitszimmer um ein paar Quadratmeter vergrößern), |
→ | dem Arbeitgeber mehr Spesen abluchsen (bei der Reisekostenabrechnung etwas höher gehen), |
→ | bei Versicherungen absahnen (hier ist der Film „Der Glückspilz“ mit Jack Lemmon als Simulant zu empfehlen), |
→ | früher in die Rente eintreten (z.B. chronische Rückenschmerzen simulieren), |
→ | ein interessantes Doppelleben führen (im Internet ein attraktives zweites Ich präsentieren, schöner und schlauer als in Wirklichkeit), |
→ | mehr Aufmerksamkeit erreichen (z. B. blond werden oder sich mit einer besonderen Biografie schmücken), |
→ | wieder einen Partner finden (sich die Haut straffen lassen, sich jünger machen, als man ist), |
und so fort…
An den genannten Beispielen kann man leicht ablesen: Beim Ergattern von Vorteilen geht es um Geld, darum, für sich und die Seinen die besten Futterplätze und die besten Reviere (sprich: Wohnungen, Häuser) sowie alle sonstigen Konsumgüter unserer Welt zu beschaffen.
Aber es geht auch um bessere Bedingungen bei der Partnerwahl, um Aufmerksamkeit und soziale Anerkennung, um selbstbestimmte Arbeit und um das Freisein von Mühen.
„Blaumachen“ als kulturelle Tradition
Europaweit geht eine Milliarde Arbeitsstunden im Jahr durch „Blaumachen“ verloren, wie Verena Schorcht anhand einer groß angelegten Studie feststellt.
Woher kommt das schöne Wort „Blaumachen“ und dieses kulturelle Phänomen? Die Begriffe „Blaumachen“ und „Blauer Montag“, noch heute im deutschen Sprachraum für Nichtstun gebräuchlich, sollen aus der Zeit stammen, als die Indigo-Färber die frisch gefärbten Tücher am Montag zum Trocknen ausbreiteten und danach eine Arbeitspause einlegten.
In der mittelalterlichen Gesellschaft gehörte der „Blaue Montag“ zur Festkultur. Ausgiebiges Essen, Trinken, Tanzen und Feiern verschönerten den Tag. Erst die kapitalistische Organisation von Arbeit mit ihrer unflexiblen Zeittaktung erzwang die moralische Ächtung des „Blaumachens“ sowie die des „Blauen Montags“. Auch andere Sprachkreise haben übrigens sehr schöne Wörter für dieses Phänomen: „to take a sicky on Monday“, sagen die Briten, „bumelóvac“ unsere polnischen Nachbarn.
Blaumachen ist heute noch eine beliebte und verbreitete Art, sich entweder eine Ruhepause oder zusätzliche Freizeit zu verschaffen, häufig aber auch, um heimlich an einer weiteren Arbeitsstelle Geld zu verdienen. Internetforen bieten Hilfen an, wie man beim Arbeitgeber eine Kranken-Auszeit erreichen kann, ohne in den Verdacht des Simulierens zu kommen. Gewarnt wird davor, als Ruhetag den Freitag zu wählen; der Dienstag oder der Donnerstag werden empfohlen. Desgleichen wird über verschiedene Typen von Simulanten informiert, beispielsweise:
→ | Simulierende Täuscher, die Krankheitssymptome produzieren, ohne irgendwelche Beschwerden zu haben. |
→ | Übertreiber (oder Aggravierer), die leichte körperliche Beschwerden übergroß darstellen. |
Üblicherweise arbeiten Simulanten mit unbestreitbarer Fantasie. Häufig machen sie jedoch den Fehler, bei der Darstellung ihrer Beschwerden zu dick aufzutragen; auch schildern sie unterschiedliche Symptome, die aus medizinischer Sicht gar nicht gemeinsam auftreten können (Näheres dazu im zweiten und dritten Teil).
Hermann Bueren nennt in seinem Buch „Drückeberger, Simulanten, Scheinkranke“ das Blaumachen eine Alltagserscheinung. Er spricht von einer Absenzkultur, also einer Abwesenheitskultur, und plädiert dafür, über das beinahe alltägliche, gelegentliche Bummeln offen zu sprechen. Das scheint auch deswegen nötig zu sein, weil die zunehmende Zahl von Tele- und Heimarbeitsplätzen jedwede Kontrolle erschwert.
Problematisch wird es allerdings dann, wenn Arbeitnehmer blaumachen, um schwarz auf dem Bau zu arbeiten oder bei Umzugsfirmen zu helfen etc. In diesem Fall sichert die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit den Simulanten ein weiteres Einkommen auf Kosten des Arbeitgebers. Hier handelt es sich also um zweifachen Betrug. Seien Sie also vorsichtig!
Es gibt inzwischen Detekteien, die auf diese Betrügereien spezialisiert sind. Eine recht bekannte Detektei erreicht mit einschlägigen Aufträgen 75 Prozent ihres Jahresumsatzes. Diese Firma wirbt damit, dass sie rund 90 Prozent der Fälle betrügerischen „Krankfeierns“ aufklärt. Und wenn handfeste Beweise auf den Tisch gelegt werden, etwa Fotos, wie Sie Möbel schleppen, hilft auch der Gang zum Arbeitsgericht nichts mehr. Dann hilft nur Einlenken. Aber was dann? Kündigung? Arbeitslosigkeit? Manchmal toppen die Gefahren eben doch die Vorteile, zumindest langfristig.
Und übrigens, neben den professionellen Detektiven gibt es auch noch den berühmten Kommissar Zufall. Oder haben Sie nicht von dem krankgeschriebenen Briten gehört, der in Australien seinen Zusatz-Urlaub genoss und dort mehrere Kinder vor einer Hai-Attacke rettete. Er packte das Tier beherzt am Schwanz und zerrte es in tieferes Wasser. Diese Heldentat filmte ein zufällig anwesendes Team des britischen Fernsehens, und schwupps, war unser Held seinen Job los. Seine Arbeitgeberin war – Ironie des Schicksals – eine Londoner Wohltätigkeitsorganisation für Kinder.
Versicherungsbetrug als „Kavaliersdelikt“?
Jährlich melden Schadens- und Unfallversicherungen allein in der Bundesrepublik Deutschland Schäden in Höhe von 42 Milliarden Euro. Die Branche schätzt, dass zehn Prozent dieser Summe, also 4,2 Milliarden Euro, auf fingierten Schäden beruhen. Auch ist bekannt, dass die Betrüger immer ausgefuchster werden, was nicht zuletzt dem Internet zu verdanken ist. Am meisten betroffen sind die privaten Haftpflicht- und Hausratversicherungen. Da wird mal schnell ein kaputtes Handy gemeldet. Es sei heruntergefallen, wird angegeben. In Wahrheit wurde es jedoch durch Fußtritte zerstört. Oder es ist der Flachbildschirm des Freundes, den man aus Gefälligkeit umgestoßen hat, so dass er nun zersplittert ist. Diese Meldungen häufen sich immer dann, wenn neue Modelle auf den Markt gekommen sind.
Im Internet werden in zahlreichen Foren Tipps angeboten, wie man den Betrug am besten anlegt, so dass bei der Versicherung kein Verdacht aufkommt. Übrigens betrachten 20 Prozent aller Deutschen Versicherungsbetrug als Kavaliersdelikt. Bei einer Umfrage des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft gaben 12 Prozent der Teilnehmer an, dass sie schon einmal einen Bekannten oder Verwandten zu Hilfe geholt hätten, damit er der Versicherung einen fingierten Schaden melden kann. 4 Prozent gaben offen einen Versicherungsbetrug zu.
Immer häufiger wird auch zu gezielten Selbstverletzungen gegriffen. Einige Beispiele seien genannt, aber bitte: Ahmen Sie das nicht nach!
→ | Ein Schlosser sägt sich einen Daumen ab, nachdem er vier Monate zuvor eine Unfallversicherung abgeschlossen hatte. |
→ | Ein Mann lässt sich auf Druck seiner |