Rauhnächte. Kompakt-Ratgeber. Gerhard Merz
vor der Percht. Um diese zu besänftigen, stellte man in manchen Gebieten Milch und Brot vor die Tür. Vor allem um Silvester soll nach altem Volksglauben die Wilde Jagd stattfinden, in der Geister, Dämonen, wilde Tiere und andere Seelen über den Himmel toben und ihr Unwesen treiben. Deshalb sollte man in der Nacht nicht aus dem Haus gehen, schon gar nicht die Kinder hinauslassen und zum Schutz eine Kerze ins Fenster stellen. Im alpinen Raum schürten die tosenden Winterstürme die Angst vor den dunklen Wesen und verstärkten den Glauben an die Wilde Jagd.
PERCHTENLÄUFE
INFO
Den Sieg über die bösen Mächte demonstrierten die Perchtenläufe, bei denen durch Peitschenknallen, Böllerschießen und Glockenläuten viel Lärm gemacht wurde, um das Böse zu vertreiben, damit man nicht von Krankheit befallen oder gar dem Tod ausgeliefert wurde. Dieser Brauch wird auch heute noch vielerorts ernst genommen.
Um sein Haus, seine Familie und seine Tiere zu schützen, räucherte das Familienoberhaupt Haus, Stall und Hof mit Kräutern und Weihrauch oder anderen Räuchermitteln aus. Abschließend wurde in allen Räumen, aber auch in den Ställen, Weihwasser vom letztjährigen Dreikönigstag ausgeteilt.
Die Wilde Jagd in unserer Zeit
Im sogenannten aufgeklärten 21. Jahrhundert glauben wir nicht mehr an die Wilde Jagd mit Wodan als Chef einer lärmenden und Krawall machenden Bande unbeherrschter oder adrenalindurchpulster Horden.
Doch wer hat noch nicht an unsichtbare Geister gedacht, wenn es im Himmel über uns donnert und blitzt und ein Höllenlärm jedes Gespräch erstickt? Wenn der Wind uns die Mütze vom Kopf bläst, den Regenschirm zum Regen-auffangbecken umkehrt, die zuckenden Blitze uns mehr erschrecken als das Flashlight jedes Selfie-Fotos?
Kommt da nicht die Angst hoch, dass die Elemente es uns jetzt heimzahlen wollen, weil wir manchmal so in den Tag hineinleben – ohne uns zu vergegenwärtigen, dass es da noch etwas anderes gibt als unseren ganz persönlichen Alltag?
Es gibt noch immer sehr viele Menschen, die Angst vor einem Gewitter haben, die zusammenzucken, wenn der Donner übers Land rollt, denen das Blut aus dem Gesicht weicht, wenn knochenweiße Blitze die Nacht erhellen.
Ob es vielleicht doch noch Geister und Wesen gibt, die für unsere menschlichen Augen zwar unsichtbar sind, aber uns ständig und aufmerksam umgeben? Ist ein Kurzschluss im Stromkreislauf wirklich nur eine technische Störung? Oder der Riss des Keilriemens im Auto nur ein Materialfehler? Was ist, wenn auf einmal das Smartphone flackert? Möglich, dass einem Kobold oder einem schlecht gelaunten Besucher aus der Anderswelt unser Gespräch oder eine Formulierung nicht passte und er deshalb böse reagierte … Wenn wir im Leben alles ausschließen, können wir auch nicht mehr überrascht werden. Lassen wir uns also darauf ein!
Warum »rauh«?
Es gibt verschiedene Überlieferungen und Auslegungen, woher sich die Bezeichnung »rauch« oder »rauh« ableitet. Wahrscheinlich ist, dass es vom »Räuchern« herkam, da während der Rauhnächte Häuser, Höfe und Ställe ausgeräuchert wurden, um die bösen Geister und Dämonen davonzujagen und alle Übel des letzten Jahres zu beseitigen.
Haarige Gestalten treiben ihr Unwesen …
Einer anderen Auslegung nach kommt rauh von »haarig, wild«, weil die Dämonen, bekleidet mit dicken Fellen, ihr nächtliches Unwesen trieben. In der Oberpfalz wurden die Rauhnächte auch als Raubnächte bezeichnet.
Die heiligen Nächte
Die zwölf Nächte haben eine wichtige Bedeutung für das bevorstehende neue Jahr, sie gelten als Zaubernächte, mancherorts als heilige Nächte, als zukunftsweisend. Jede Rauhnacht steht für einen Monat des kommenden Jahres, daher lässt sich mit ausgesuchten und überlieferten Orakeln in die Zukunft blicken. Was man beispielsweise in der letzten Rauhnacht (der Nacht vom 5. auf den 6. Januar) träumt, kann im Dezember des nächsten Jahres in Erfüllung gehen.
So kann man Wünsche und Hoffnungen vorwegnehmen und weit in die Zukunft hineinplanen, denn das normale Zeitmaß ist aufgehoben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins.
Wer in einer dieser Nächte keine Antwort auf seine Fragen, Hoffnungen oder Bitten erhält, kann guten Glaubens auf die nächsten Rauhnächte hoffen, in denen sich die Zukunftsmächte vielleicht geneigter zeigen. Es ist eine Zeit der Rückbesinnung, eine Zeit der Ruhe und des Nachdenkens und Verinnerlichens. Es sind die heiligen Nächte, die geheimnisvollste Zeit des Jahres, wenngleich in diesen Zaubernächten die Momente »aufgehoben«, nicht existent sind.
Wenn die Sonne stillsteht …
Nach altem Volksglauben ruht die Sonne in den Zwölften, steht still an jedem Tag, bewegt sich nicht von der Stelle. Die Zeit ist aufgehoben, eingefroren. Vergangenes entsteht auf die Zukunft hin, die Zukunft zieht Vergangenes auf sich.
Den Menschen ist bewusst, dass sie in dieser seltsamen, unheimlichen und gefährlichen Zeit nichts gestalten oder bewirken können. Keine Tätigkeit ist gesegnet, kein Handwerk wird gelingen, keine Fahrt darf unternommen werden.
Werkzeuge und Materialien verweigern ihren Dienst, keine Arbeit ist von Glück gesegnet. Auch die Feldarbeit muss ruhen. Selbst Odins Name darf nicht erwähnt werden, und lautes Sprechen ist untersagt.
Das Haus soll aufgeräumt sein, es darf keine Wäsche gewaschen oder aufgehängt werden, damit die wilden Reiter sie nicht stehlen können. Wahrscheinlich stammt daher der Brauch, zwischen Weihnachten und Neujahr keine weiße Wäsche zu waschen.
… und die Tiere sprechen
Wer in dieser Zeit ganz besonders den Atem und das Wirken und Walten der Götter spürt, das sind die Tiere, denen jetzt die besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge der Bauern und Landsleute gilt. Während der Rauhnächte ist Pferden, Kühen, Ochsen und Eseln die besondere Gabe der Sprache geschenkt, um sich über die Menschen und die Zukunft des Hauses, zu dem sie gehören, zu unterhalten und auch die Zukunft der darin wohnenden Menschen zu erkennen.
Sie »wissen« auf unerklärliche Weise um die Sorgen und Kümmernisse, Leiden und Gebrechen der sie Betreuenden und haben auch so manchen Ratschlag und Fingerzeig für sie bereit. Den Tieren kann man vertrauen, sie kennen kein Falsch oder Richtig, sie geben nur das wieder, was ihnen ihre Natur befiehlt.
Träume in den Rauhnächten
Während dieser von zahlreichen Geheimnissen umwisperten heiligen Nächte, in denen die Zeit stillzustehen scheint, wurde neben viel geliebten Orakeln, Frage- und Schicksalsspielen großer Wert auf Träume und Traumerlebnisse gelegt. Sie waren kostenlos und bedurften keinerlei Gerätschaften oder großer Vorbereitungen. Und konnten von jedem ausgeführt werden. Da in diesen Nächten das über das normale Jahr verborgene und verschlossene Tor zur Anderswelt weit offen stand, waren die Kontakte und Berührungen in diese Welt jenseits unserer normalen Wirklichkeit sehr intensiv und bedeutungsvoll. Was sich auch auf die Träume auswirkte, die viele Male Ausblicke in zukünftige Geschehen gestatteten.
Still waren die Menschen in den zwölf Schicksalstagen. Alle häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeiten, die nicht unbedingt notwendig waren, ruhten.
In diesen dunklen Winter- und Frostnächten ging man früh schlafen, um der beißenden Kälte zu entgehen sowie auch der allnächtlich mit tollem Lärm und Getöse durch die Lüfte tobenden, von Odin, dem Wilden Jäger, und Frau Holle angeführten Wilden Jagd.
Nachdem Tür und Tor verriegelt waren, zog man sich gern in die Schlafkammern zurück, wohl auch in der Hoffnung, im nächtlichen Träumen dem zukünftigen Geliebten oder Ehemann zu begegnen oder eine Botschaft von ihm zu erhalten.
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