Warm-up, Core-Stabilität und Plyometrie. Christophe Carrio
sich sofort der Zunahme der Muskelaktivität des gesamten Körpers bewusst, um das Gleichgewicht zu halten.
In Bezug auf die Muskel- und Sehnenrezeptoren gibt es jedoch ein Problem. Muskeln, die entweder zu hart und zu kräftig oder zu lang und zu schwach geworden sind, liefern dem Gehirn keine guten Informationen mehr, und genau hier beginnt ein Teufelskreis. Das Gehirn schickt nämlich weiterhin den gleichen Befehl für eine Haltung, was die Kompensationen und andere muskuläre Fehlgleichgewichte im Laufe unseres Lebens aufrechterhält und verstärkt. Schmerz übt ebenfalls einen negativen Einfluss auf die Informationen aus, die von den Propriorezeptoren an das Gehirn gesendet werden. Auch darauf werden wir noch zurückkommen.
D › Was Sie sich merken müssen
Unser Körper verwendet mehr oder weniger komplexe motorische Programme oder Schemata, die es dem gesunden Muskel erlauben, sich in der Umgebung eines Gelenkes zu kontrahieren oder zu entspannen. Dabei folgt er einer Sequenz, die in unserem Gedächtnis gespeichert ist, um eine bestimmte Haltung aufrechtzuerhalten oder eine Bewegung zu erzeugen.
Mehrere Faktoren können sich negativ auf unsere motorischen Programme auswirken. Diese sind: schlechte Haltungen im Alltag, häufiges langes Sitzen, Traumata, muskuläre Dysbalance, eine fehlerhafte Sportausübung und bestimmte neurologische Erkrankungen.
Kein motorisches Programm, sei es funktionell oder dysfunktionell, ist starr oder endgültig erworben. Wir können in jedem Alter ein motorisches Programm lernen oder wieder erlernen, was mehr oder weniger viel Zeit und Energie verlangt.
2 Die Muskelketten
A › Das Bewegungssystem
Die Sichtweise auf das Funktionieren des Körpers hat sich in den letzten Jahren stark verändert. So wird der Körper nicht mehr als die Summe der verschiedenen Teile angesehen, aus denen er besteht, sondern als ein System, das wie ein globales Ganzes wirkt. Die Wirkung eines Organs oder eines Hormons hat Auswirkungen auf die Funktion anderer Organe und anderer Stoffwechselformen des Körpers. Das Gleiche gilt für das Bewegungssystem, das auch als lokomotorisches System bezeichnet wird.
Wenn alle Elemente dieses Systems korrekt arbeiten, funktionieren das gesamte System und die damit verbundenen motorischen Schemata ebenfalls korrekt. Dies führt dazu, dass der Körper eine gute Haltung einnimmt und im richtigen Moment die richtigen Bewegungen ausführt, was ein wirksames und schmerzfreies Funktionieren des gesamten Bewegungssystems zur Folge hat.
Funktioniert hingegen eines der Elemente des Bewegungssystems nicht korrekt, sei es auf Grund einer Verletzung, einer muskulären Dysbalance oder einer schlechten Haltung, dann funktioniert das gesamte System auf veränderte Weise, und es entstehen als Kompensationsmechanismus zu hohe Spannungen in bestimmten Muskeln und Geweben des Körpers. Diese Kompensationsmechanismen gehen einher mit einer Dysregulierung des gesamten Systems, wobei das initiiert wird, was man als Schmerzkreislauf bezeichnet: Dieser geht mit einer schlechten Funktion des Systems einher, bei der weitere Kompensationsmuster entstehen etc. Es ist daher grundlegend wichtig zu verstehen, wie dieses gesamte komplexe System funktioniert, um nachvollziehen zu können, warum eine alte, schlecht oder unvollständig ausgeheilte Verstauchung des Knöchels z. B. zu Schmerzen im Knie oder im Rücken führen kann.
Dieses System besteht aus drei Subsystemen:
›dem myofaszialen System, bestehend aus Muskeln, Faszien und Sehnen, die die Position der Gelenke bei Haltungen oder Bewegungen aufrechterhalten, die Gelenke stabilisieren, die Gelenke bewegen oder auch die Bewegung der Gelenke entschleunigen;
›dem Gelenksystem, bestehend aus Gelenken und Knochen;
›dem Nervensystem, bestehend aus Nerven und Propriorezeptoren, deren Aufgabe es ist, mechanische Informationen (Spannungen im Zentrum des Muskels, der Faszien, der Sehnen und der Haut) umzuwandeln in elektrische Informationen, die vom Gehirn gesammelt und analysiert werden. Das Gehirn verwendet dieses System zur anschließenden Kommunikation mit dem Körper.
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»Die Wirkung eines Organs oder eines Hormons hat Auswirkungen auf die Funktion anderer Organe und anderer Stoffwechselformen des Körpers.« |
B › Das myofasziale System
Dieses System besteht aus Muskeln, Sehnen und Faszien, die alle drei zum Bindegewebe gehören. Sie bilden ein echtes fibröses »Skelett« oder verschiedene Bindegewebe, die jede Muskelfaser, jede Muskelgruppe, jede Sehne und jedes Gelenk miteinander verbinden.
Das myofasziale System ist also genau organisiert. Es arbeitet, um die Aufrechterhaltung einer Körperposition sicherzustellen oder um die Kraft zu erzeugen, zu stabilisieren und zu reduzieren, die die Gelenke des Körpers in Bewegung setzen. Die verschiedenen Muskelketten und die Muskeln, die diese bilden, können je nach den Bewegungen, die der Körper und seine Gelenke ausführen, muskuläre Agonisten – d.h. Muskeln, die die Bewegung eines Gelenkes hervorrufen – sein oder Antagonisten, d.h. Muskeln, deren Funktion denen der Agonisten entgegengesetzt ist, um die Bewegung des Gelenkes zu bremsen und eine Ver-/Ausrenkung (Luxation) zu verhindern.
Dazu ein Beispiel: Wenn Sie Ihre Arme ausstrecken, sind die Trizepsmuskeln, die Muskeln auf der Armrückseite, Agonisten der Bewegung. Das heißt, sie führen die Bewegung aus. Der Bizeps hingegen bremst die Streckung des Ellenbogens, um zu verhindern, dass sich das Gelenk verlagert (disloziert). Die Bizepsmuskeln fungieren bei dieser Bewegung also als Antagonisten. Damit die Gelenke regelrecht arbeiten können, ist es wichtig, dass es in jedem Muskel eine Beziehung zwischen Länge und Spannung gibt und dass die Kraft, die erzeugt wird, auf beiden Seiten des Gelenks gleich (Kraftpaar) ist, damit das Gelenk optimal und ausgeglichen funktionieren kann.
Wie wir gesehen haben, funktionieren die Muskeln nicht isoliert, sodass, um eine Bewegung zu erzeugen, ein Agonist Muskeln hat, die ihm in seiner Aktion helfen oder assistieren. Diese Muskeln heißen Synergisten. Wenn beispielsweise das Hüftgelenk korrekt funktioniert, erzeugen die Gesäßmuskeln die Bewegung: Sie sind die Agonisten und schieben die Hüfte nach vorne in die Streckung. Die Rückenmuskeln und die Muskeln auf der Rückseite der Oberschenkel helfen dabei den Gesäßmuskeln, um die Hüftstreckung durchzuführen: Sie sind die Synergisten der Gesäßmuskeln.
Je komplexer die Bewegungen aufgebaut sind oder je mehr verschiedene Gelenke mit einbezogen sind, umso mehr muss der Körper die Gelenke stabilisieren, während eine Bewegung erzeugt wird. Beispielsweise stabilisieren die tiefen Bauchmuskeln und die tiefen Rückenmuskeln die Zwischenwirbelgelenke im Lendenwirbelsäulenbereich und in den Hüften, während andere Muskelketten die Geh- oder Laufbewegung erzeugen.
Wenn schließlich schwere muskuläre Dysbalancen bestehen oder eine Bewegung fehlerhaft ausgeführt wird, kommt es dazu, dass bestimmte Muskeln der fehlerhaften Funktion anderer Muskeln entgegenwirken, um die Integrität eines Gelenkes aufrecht zu erhalten. Dies sind die Neutralisierer.
C › Das Gelenk- und Knochensystem
Dieses System umfasst Knochen und Gelenke. Wenn eine muskuläre oder posturale (die Körperhaltung betreffende) Dysbalance besteht, führt sie zu Zwangsstellungen in Gelenken wie in Knochen und erzeugt Spannungen im myofaszialen System sowie eine Veränderung der vom Nervensystem gesammelten Informationen. Dies geschieht über die Gesamtheit der Propriorezeptoren des Körpers. Kurz gesagt besteht, wie Sie sehen, eine echte Synergie und gegenseitige Abhängigkeit (Interdependenz) in dem gesamten Bewegungssystem.
Ein Bruch (Fraktur) oder eine Ver-/Ausrenkung (Luxation) erfordert eine Reedukation des gesamten myofaszialen artikulären Systems sowie des Nervensystems. Das Gleiche gilt für einen verschobenen Wirbel