Mit Konsequenz zur Exzellenz. Michael Hahn
Lieferservice und kürzeste Lieferzeiten werden die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Das heißt in der Konsequenz, dass sich die Durchlaufzeiten drastisch verkürzen – und zwar nicht nur bei Standardprodukten, sondern bei kundenindividuellen Produkten. Diese kurzen Durchlaufzeiten lassen sich nur erreichen durch … exzellente Prozesse.
Ein erstes Fazit
Bringt man die Konsequenzen des bisher Gesagten auf den Punkt, so stellt man fest, dass jede Maßnahme, die punktuell und kurzfristig durchgeführt wird, zu kurz greift. Gefordert ist vielmehr ein aktiver Prozess in Richtung Exzellenz. Diesen Prozess konsequent zu beschreiten, erfordert wiederum ein greifbares Bild des Ziels („Nur wer weiß, wohin er will, wird dort auch ankommen“), wirksame Konzepte und Methoden sowie umfassende, nachhaltige Maßnahmen.
1.2 Was exzellente Unternehmen anders machen
Die Leitsätze
„Tue Gutes und verdiene daran“. Mit dieser Schlagzeile kommentieren die „Stuttgarter Nachrichten“ vom 28. April 2006 die wirtschaftliche Leistung des Bosch-Konzerns. Anlass war die Veröffentlichung der Unternehmenszahlen, die einmal mehr für sich sprachen. Umsatzsteigerung, verbessertes Ergebnis und gestiegene Mitarbeiterzahl: So sieht profitables Wachstum aus.
Es gibt sie also tatsächlich, die exzellenten Unternehmen, die ungeachtet aller Herausforderungen und Risiken auf einem nachhaltigen Erfolgskurs sind. Und: diese Unternehmen sind nicht so selten, wie uns die Medien bisweilen glauben machen wollen. Der jährlich ausgeschriebene Wettbewerb zur „Fabrik des Jahres“ braucht sich jedenfalls über einen Mangel an Kandidaten nicht zu beklagen. Und die Gewinner liefern den Nachweis, dass die Abgesänge auf die deutsche Industrie zu früh angestimmt wurden. Mehr noch: diese Unternehmen stellen nachdrücklich unter Beweis, dass unser eingangs formulierter Anspruch, dass exzellente Unternehmen auch unter den in Deutschland herrschenden Bedingungen Arbeitsplätze schaffen, keine Träumerei ist, sondern Realität (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Beschäftigungsentwicklung der besten Teilnehmer „Fabrik des Jahres “ am Standort Deutschland (Quelle: A.T. Kearney)
Was aber machen diese Unternehmen anders als diejenigen, die unter der Last der Herausforderungen stagnieren oder scheitern? Da wir eine ganze Reihe hervorragender Firmen seit Jahren beratend begleiten, sind wir in der Lage, die wichtigsten Erfolgsfaktoren zu benennen bzw. als Leitsätze zu formulieren:
Exzellente Unternehmen sind gekennzeichnet durch ein ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.
Sie sind geprägt durch persönliches Vorleben und Engagement der Führung.
Tägliche, dynamische Verbesserung ist Kernkompetenz.
Sie nutzen internationale Standorte und globale Netzwerke für die Stärkung ihrer Position – auch der heimischen Standorte.
Sie beziehen ihre Lieferanten, die gesamte Supply-Chain, in alle Überlegungen mit ein.
Sie beherrschen und managen Komplexität getreu der Erkenntnis: „Die Steigerung von intelligent ist … einfach!“
Sie treiben BestPractice über ein handlungsorientiertes Wertschöpfungssystem aktiv und kontinuierlich voran.
In den nachfolgenden Abschnitten stellen wir Ihnen diese Leitsätze exzellenter Unternehmen eingehender vor.
Leitsatz 1:
Ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.
Das Bessere ist Feind des Guten
Gute Leistung mag in einem statischen Umfeld genügen. In der dynamischen Umgebung des globalen Wettbewerbs ist nicht der Zustand wichtig, sondern die Bewegung.
Ein Beispiel: Vor geraumer Zeit war ein Berater-Kollege mit einer Gruppe deutscher Manager zu Besuch in einem japanischen Werk. Integriert in den Rundgang durch die Fabrik war die Präsentation eines Teams von Mitarbeitern. Die zeigten, sichtlich stolz, wie sie den Ablauf an einer Station so verbessert hatten, dass 4,8 Sekunden eingespart wurden. Später, außer Hörweite, meinte einer der deutschen Manager sichtlich verärgert, dass er es ziemlich lächerlich fände, einen Verbesserungsprozess präsentiert zu bekommen, dessen Ergebnis lediglich 4,8 Sekunden Zeitersparnis seien. Die anderen nickten zustimmend.
Dieses Beispiel zeigt, wie weit wir hierzulande von dieser Art Denken entfernt sind. Sicherlich war dies keine signifikante Verbesserung, kein qualitativer Sprung – aber es war die Verbesserung eines Zustandes, der am nächsten Tag bereits wieder der „schlechteste Zustand“ sein würde.
Streben nach Perfektion und „kreative Erneuerung“ des Bestehenden
Die Optimierung bestehender Strukturen stößt dann an ihre Grenzen, wenn der Aufwand den Nutzen übersteigt. „Streben nach Perfektion“ kann deshalb nicht heißen, ein existierendes System über den Grenznutzen hinaus zu optimieren, nur um der vermeintlichen Verbesserung willen. Das führt zu nahezu wirkungsfreien Endlosschleifen. Um auf das nächst höhere Level zu kommen, kann es sinnvoll sein, die Systemgrenzen zu sprengen und kreativ zu erneuern. Aus der Ökonomie kennen wir diesen Vorgang als die „kreative Zerstörung“, die nach Joseph A. Schumpeter jeder unternehmerischen Innovation vorausgeht. In der Welt der Geschäftsprozesse spricht man im Zusammenhang mit Prozessinnovationen von „Business Process Reengineering (BPR)“ und meint damit den tiefgreifenden Umbau der Abläufe im Unternehmen.
Richtig justierte Verbesserung besteht aus einem Mix aus vielen kleinen Verbesserungsschritten (KVP, Kaizen) und einzelnen Sprunginnovationen (BPR). In der Vergangenheit hat man sich meist für eine der beiden Vorgehensweisen entschieden – KVP als Mitarbeiterthema und BPR, wenn radikale Eingriffe durch das Management notwendig schienen.
Dabei gehören beide Mechanismen zum Streben nach Perfektion: KVP als tägliche Aufgabe von Mitarbeitern und Management, Innovation im Sinne von BPR als kreative Erneuerung.
Da gerne und oft von den Nachteilen der deutschen Denk- und Arbeitsweisen gegenüber fernöstlichen Kaizen-Großmeistern berichtet wird, sollte man auch nicht verschweigen, dass Innovation zu unseren klassischen Fähigkeiten gehört. Wenn es darum geht, Prozessinnovation und kontinuierliche Verbesserung synergetisch zu verknüpfen, stehen wir noch ganz am Anfang. Erste Beispiele zeigen allerdings: die Potenziale sind immens.
Abb. 5: Streben nach Perfektion
Leitsatz 2:
Persönliches Vorleben und Engagement der Führung
Vorleben statt Vorgeben
Spitzenleistung kann nur einfordern, wer selbst bereit ist, sich „vor Ort“ zu engagieren und den Mitarbeitern ein Beispiel an Einsatzwillen zu geben. Dies gilt vor allem für Verbesserungsinitiativen und -prozesse. Persönliches Engagement und Präsenz des Managements schaffen zusätzliche Identifikation und Leistungsbereitschaft. Das ist mehr als das „management by walking around“, das noch vor einigen Jahren propagiert wurde. „Management by working together“ würde den Sachverhalt besser treffen.
Freiräume, Qualifikation und organisatorische Rahmenbedingungen für Innovation und Verbesserung schaffen
Hier muss mit einem verbreiteten und oft praktizierten Missverständnis aufgeräumt werden. Effiziente Prozesse setzen Personal frei. Stimmt. Das frei gewordene Personal muss entlassen werden, um die Kosteneffekte zu nutzen. Stimmt nicht. Toyota, anerkannter Weltmeister effizienter Produktionsprozesse, macht durch seine permanenten Effizienzsteigerungen ständig Mitarbeiter in den Prozessen überflüssig. Aus einem dann zu groß gewordenen Team werden allerdings nicht die schwächsten Mitglieder „entfernt“, sondern die Besten herausgenommen – und zu Verbesserungsspezialisten qualifiziert. Das hat zwar keine positive Wirkung auf den nächsten Quartalsbericht (siehe oben), stärkt