Mit Konsequenz zur Exzellenz. Michael Hahn
des „hire and fire“ zu verfolgen, nutzen sie die Produktivitätsfortschritte konstruktiv. Darin liegt auch ein Grund dafür, dass diese Unternehmen trotz kontinuierlicher Effizienzsteigerungen auf lange Sicht nicht schrumpfen, sondern mit einem mindestens gleichbleibenden oder sogar erhöhten Personalstand wesentlich bessere Leistungen bringen.
Nicht nur reden, sondern auch machen – unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und der Kultur
Die Deutschen sind das Volk der Dichter und Denker. Sind sie auch ein Volk der Macher? Tatsächlich bekommt man bisweilen den Eindruck, dass es hierzulande mehr Tagungen zu Lean Management gibt als erfolgreich umgesetzte Beispiele.
In Veränderungsprojekten ist es fundamental, schnell in eine pilothafte Umsetzung zu gehen, damit die betroffenen Mitarbeiter Vertrauen fassen können. Deshalb führt der Weg zur Exzellenz vor allem über erfolgreich umgesetzte Projekte. Nur so entstehen Aha-Effekte nach dem Motto „das funktioniert ja tatsächlich“. So genügt es beispielsweise nicht, im Sinne der digitalen Fabrik ein neues Arbeitssystem im Computer zu entwerfen und auszuplotten. Vielmehr werden die Arbeitssysteme in einem Workshop in realer Größe modelliert. Hier hat sich die Arbeit mit Pappmodellen aus Umzugskartons bewährt, die ein gutes Gefühl für Dimensionen und Anordnungen vermitteln. Der Schritt zur Umsetzung in „Stahl und Eisen“ ist dann nur noch ein kleiner: das Arbeitssystem wird in der Halle aufgebaut und geht nach einer kurzen Einarbeitungsphase „live“.
Abb. 6: Cardboard-Engineering (Quelle: SEWEurodrive)
Austausch und Weiterentwicklung mit den Besten
„Das stammt nicht von uns, kann also nichts taugen.“ Ein oft gehörter Beleg für das, was die Wissenschaft das „not-invented-here-Symptom“ nennt. Doch solche Sätze müssen der Vergangenheit angehören, begleiten sie doch den abwärts führenden Weg vom Einzelkämpfer zum Autisten.
Wie wir später noch sehen werden, beginnt bei uns jedes Projekt zu ganzheitlichen Wertschöpfungssystemen mit dem Besuch eines Vorreiterunternehmens. Diese Konfrontation mit umgesetzter Best Practice ist durch nichts zu ersetzen, so wenig wie der regelmäßige Austausch und Vergleich. Das hat mit blindem Kopieren nichts zu tun, denn in die eigene Weiterentwicklung fließt immer eigene Intelligenz ein. Hoffentlich.
Dem Unternehmen die Möglichkeit zum Atmen geben
Kurzfristige Marktschwankungen erfordern ein Höchstmaß an Flexibilität. Gerade im Personalbereich liegen Reserven, die noch nicht einmal annähernd ausgeschöpft sind. Toyota beispielsweise „atmet“ über einen Pool an freien Mitarbeitern, die bei Volumenschwankungen kurzfristig verfügbar sind. Auch das vermeintlich so restriktive deutsche Arbeitsrecht gibt den Unternehmen Gelegenheit, die nötige Flexibilität zu erreichen.
Über Vertrags- und Outsourcing-Partnerschaften können Kapazitätsschwankungen abgefangen werden, allerdings nur mit einem gewissen Vorlauf. Jederzeit abrufbar dagegen ist eine so genannte „Work-on-Call“-Reserve, in der Regel eingearbeitete Studenten oder Hausfrauen. Diese Reserve hat sich beispielsweise in Ferienzeiten sehr gut bewährt, so dass Qualitätseinbußen kaum zu befürchten sind. Bei Leiharbeit dagegen sollte die Eignung jeweils firmenspezifisch geprüft werden. Nicht immer sind die verfügbaren Qualifikationen dem Einsatzfall gewachsen. Auch die Stammbelegschaft kann und sollte flexibler einsetzbar sein. Nach dem Motto „Arbeitszeit ist, wenn Arbeit da ist“ könnte eine theoretische Bereitschaft von sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag hergestellt werden, wenn über Arbeitszeitkonten ein Ausgleich möglich ist.
Die Summe der Maßnahmen kann in Einzelfällen eine kurzfristige Variationsbreite zwischen 50% und 180% des durchschnittlichen Ausstoßes bewirken. Ein Vorgang, der dem „Atmen“ schon sehr nahe kommt.
Leitsatz 3:
Tägliche, dynamische Verbesserung ist Kernkompetenz.
Von „Lean-Projekten“ zur „Lean-Kultur“
Weltweiter Maßstab für unternehmerische Exzellenz ist nach dem Verständnis vieler Fachleute Toyota. Für die Beschreibung der Methoden und Prinzipien des japanischen Autobauers hat sich der Begriff „lean“ (schlank) eingebürgert, womit vor allem effiziente, „verschwendungsarme“ Prozesse gemeint sind. Nun versuchen seit mehr als einem Jahrzehnt zahlreiche Unternehmen, dem Vorreiter nachzueifern und ihre Prozesse zu „verschlanken“. Vor allem in der Produktion konnten auf diese Weise erhebliche Potenziale erschlossen werden. Und trotzdem stellt man in den meisten Fällen fest, dass sich der Abstand zum „Klassenbesten“ nicht wirklich verringert hat. Neben zahlreichen Missverständnissen und Fehlinterpretationen ist dafür vor allem die Tatsache verantwortlich, dass man hierzulande zwar viele einschlägige Projekte und Initiativen auflegt, aber etwas halbherzig vor dem „großen Wurf“ zurückschreckt. Auf einen Nenner gebracht: viele Unternehmen haben exzellente Lean-Projekte, aber noch lange kein Lean-Kultur.
Die 14 Toyota-Prinzipien
1 Treffe Management-Entscheidungen unter langfristigen Gesichtspunkten (strategische Planung), auch wenn dabei kurzfristig finanzielle Nachteile entstehen.
2 Schaffe eine kontinuierliche Fließfertigung, um Probleme sichtbar zu machen
3 Pull statt Push – um Überproduktion zu vermeiden
4 Kontinuierliche Nivellierung der Produktion („Heijunka“) mit dem Ziel der gleichmäßigen Auslastung von Mitarbeitern und Anlagen: langsam, aber sicher, effizient und profitabel
5 „Andon“ – Behebe unverzüglich die Probleme, dort, wo sie entstehen
6 Standardisierung ist Grundlage für KVP-Aktivitäten und robuste Prozesse
7 Visuelle Kontrolle macht versteckte Probleme sichtbar
8 Verwende nur betriebssichere, robuste und verlässliche Technologien, die den Mitarbeiter und den Prozess unterstützen (Prozessstatt Technologiefokussierung)
9 Fördere Führungsnachwuchs aus der eigenen Organisation, der die Unternehmenskultur täglich lebt, gestaltet und die anderen Mitarbeiter begeistert
10 Erkenne und fördere außergewöhnlich talentierte Mitarbeiter und Teams, die die Unternehmensphilosophie unterstützen
11 Respektiere die Zulieferer und Partner. Durch ständiges Fördern und Herausfordern wird die Wettbewerbsfähigkeit aller Partner in der Wertschöpfungskette verbessert
12 „Genchi genbutsu“ – Mach Dir ein eigenes Bild der Situation, um Probleme besser zu verstehen
13 Die Konzeption eines Prozesses erfolgt langsam und unter Berücksichtigung aller möglichen Optionen. Die Umsetzung soll dagegen sehr schnell erfolgen („Nemawashi“)
14 Das Endziel ist es, eine lernende Organisation zu werden, die sich durch ständige Verbesserung ihre Wettbewerbsfähigkeit sichert. (Quelle: Jeffrey K. Liker: The Toyota Way)
Vielen dieser 14 Prinzipien werden Sie in diesem Buch wieder begegnen. Allerdings nicht in dem Sinne, dass wir das kritiklose Kopieren empfehlen würden. „Lauter kleine Toyotas“ sind mit Sicherheit der falsche Weg. Vielmehr geht es um die generelle Ausrichtung, die kontinuierliche Bewegung in Richtung Spitzenleistung. Mit Konsequenz zur Exzellenz.
„Lean Kultur“ heißt: alle Prozesse sind betroffen
Mit guten Produkten verdient man Geld, mit schlechten Prozessen verliert man es wieder. So einleuchtend dieser Satz sein mag, so problematisch ist die Trennung von Produkt und Prozess. Und doch ist sie in den Köpfen des Managements tief verwurzelt. Produkte entstehen in der Entwicklung, werden vom Vertrieb verkauft und dazwischen findet ein Produktionsprozess statt, der Geld kostet und Fehler macht…
Das Bewusstsein, dass sich Geschäftsprozesse nicht auf die eigentliche Herstellung begrenzen lassen, ist zwar nicht ganz neu, hat sich in der Praxis jedoch noch immer nicht durchgesetzt. Plakativ und schlicht lässt sich Wertschöpfung in folgendem Prozessbild darstellen.