Hüter der Schöpfung. Dr. Stephan Götze
sollte anstelle von Red Cloud, dem „Chef“ des größten Zweiges der Lakota (die Oglala) zum Präsidenten nach Washington eingeladen werden. Crazy Horse wurde zwar für seine kriegerische Leistung durchaus sehr respektiert, aber er galt stets als Sonderling. Nicht von ungefähr überschreibt Mary Sandoz ihre Biografie mit dem Titel „Crazy Horse – The Strange Man of the Oglala“. Er hatte kein Talent für große Reden und wurde meistens falsch verstanden. Sogar im Stammesrat nahm er sich deshalb einen Sprecher, dem er sagte, was er meinte, und der es dann so ausdrückte, dass die anderen es richtig verstanden. Tanzen und Singen waren seine Sache ebenfalls nicht – durchaus problematisch in einem Volk, dessen zentrale gesellschaftliche und religiöse Aktivitäten genau dies in den Mittelpunkt stellen.
FRÜHE TRAUMATISCHE ERLEBNISSE
Als Heranwachsender war Crazy Horse Zeuge eines Zwischenfalls geworden, bei dem nicht nur sein Onkel, sondern vor allem Soldaten der US-Armee starben: Der betrunkene Sergeant Grattan schoss 1854 mit einer Kanone in das Dorf seiner Verwandten – als Vergeltung für eine alte, angeblich gestohlene Kuh. Bei den Verhandlungen wurde Häuptling Conquering Bear, wohl ein Onkel von Crazy Horse, in den Rücken geschossen, und es kam danach zu einem Kampf. Grattan selbst fiel zusammen mit 29 weiteren Soldaten der US-Armee. Sinnloses Töten und Ungerechtigkeit überall – so empfand es der junge Lakota, so hatte er es wieder und wieder erlebt. Auch bei der Rache der US-Armee für das Grattan-Massaker, in der sogenannten Schlacht von Ash Hollow ein Jahr später, bei der am Bluewater Creek 600 Kavalleristen eine weitaus geringere Anzahl von Lakota angriffen. 85 Indianer starben, Frauen und Kinder wurden verschleppt.
DIE VISION VON CRAZY HORSE
Weder im Sonnentanz noch in der rituell vorgeschriebenen Visionssuche fand Crazy Horse seine Bestimmung. Ihm war ein anderer Weg vorgegeben. Kurz nach dem Zwischenfall 1854, bei dem sein Onkel starb, ging Crazy Horse allein in die Prärie und stieg auf die Sandhills, eine Hügellandschaft in der Nähe von Scott’s Bluff in Nebraska.
Vier Tage und Nächte – wie es die Zeremonie verlangte – wollte der junge Lakota fasten und beten, um von den Geistern zu erfahren, wie er seinem Volk helfen könne. Vier Tage und Nächte auszuhalten – das war sein Ziel, darin wenigstens stimmte Crazy Horse mit den rituellen Regeln einer Visionssuche überein. Doch nach drei Tagen und Nächten gab er auf – seine Gebete schienen nicht erhört zu werden. Mit letzter Kraft kroch der Junge zu seinem Pferd, um ins Lager zurückzukehren. Beim Versuch, das Pferd zu erklimmen, verlor Crazy Horse das Bewusstsein – er fiel in Trance und erhielt so doch noch seine Vision. Crazy Horse berichtete später, dass in diesen drei Tagen und Nächten nichts, überhaupt kein Wesen, kein Tier, zu sehen war. Der Himmel war klar und wie leer. Nur eine Ameise sei einmal des Weges gekommen.
In der Trance sah Crazy Horse sich selbst auf einem Pferd reiten. Es wechselte ständig die Farbe, zeigte die Symbole des Blitzes mit Zickzackmustern und eines Hagels mit gesprenkelten Punkten. Mann und Reiter schienen aus einem Fluss gestiegen zu sein, die Muster zeigten sich in seinem Gesicht und am Körper und auf seinem Pferd. Er ritt immerfort, Kugeln und Pfeile verfehlten ihn wie von Geisterhand. Die Vision zeigte ihm außerdem, dass er in keinem hohen Alter vom Pferd gerissen wurde, und zwar von seinen eigenen Leuten. Teil seiner Vision war es auch, alle Beute stets zu verschenken. Er kleidete sich daher einfach und besaß praktisch nichts. Er nahm auch keinen Skalp, nachdem er als sehr junger Mann beim letzten Versuch, dies zu tun, einen Pfeil ins Bein bekommen hatte. Das war übrigens gleichzeitig seine erste und letzte und einzige Verwundung in einer Kampfsituation.
INTERPRETATIONEN ZUR VISION
Dass das Pferd in der Vision ständig die Farbe wechselte, legte sein Vater später so aus, dass er in den Schlachten verschiedene Pferde reiten würde. Manche Quellen sprechen davon, dass er im Laufe seines Lebens zahlreiche Pferde ritt und keines davon im Kampf jemals verletzt worden sei. Es gibt aber ebenso Quellen, die von nur einem Pferd berichten, das Crazy Horse besonders gern hatte und stets bei seinen Schlachten ritt. Es ist allerdings naheliegend, dass er in den 18 Jahren als Krieger mehr als ein Pferd gehabt haben muss.
Er kehrte nach drei Tagen ins Lager zurück, wohl wissend, gegen alle Rituale verstoßen zu haben, die für die heilige Lakota-Zeremonie der Vision (Hanbleceya) unabdingbar waren. Zurück im Dorf bekam Crazy Horse nach seinem eigenmächtigen Ausflug denn auch den Ärger, den jeder Junge bekommt, wenn er für ein paar Tage ausreißt. Erst glaubte nur sein Vater seine Vision. Das änderte sich, als Crazy Horse im Alter von 17 Jahren mit auf den ersten kleinen Kriegszug durfte: Sein Pferd ging mit ihm durch und lief einen Hügel hinauf auf die gegnerischen Indianer zu. Crazy Horse tötete im Alleingang eine Handvoll erwachsener Crow-Krieger. Damit war klar, dass seine Vision kein „Traum“ war, sondern eine Vision, die ihren Niederschlag in der Realität fand. Erst jetzt erhielt Crazy Horse seinen endgültigen Namen. Als Kind wurde er Light Hair oder Curly gerufen, denn er hatte sehr helles, blondes Haar und Korkenzieherlocken. Im Alter von etwa zehn Jahren gab ihm sein Vater den Namen His Horse on Sight wegen seines Erfolgs bei der Wildpferdjagd. Crazy Horse war der Name seines Vaters gewesen, und dieser nannte sich nun Worm – wegen einer ausgeprägten Ader an der Stirn. Der junge Crazy Horse aber sollte einer der größten Krieger aller Zeiten werden.
EIN LEBEN FÜR DIE FREIHEIT? DER TOD VON CRAZY HORSE
Nach der Kapitulation im Mai 1877 suchte Crazy Horse mit der amerikanischen Regierung zu einem Arrangement zu kommen – zwangsläufig, um das Überleben der Lakota zu sichern. Trotz neuen Rangs und Verantwortung stellte sich Crazy Horse vor den Verhandlungen immer wieder quer. Voller Misstrauen wollte er die Einladung nach Washington nicht annehmen, nicht zu Unrecht vermutete er einen Hinterhalt. Denn die Regierung wollte die den Lakota im Jahr 1868 fest zugesagten Black Hills um jeden Preis wieder in ihren Besitz bringen. In der Zwischenzeit war dort nämlich Gold gefunden worden. Die Lakota aber weigerten sich, ihr Land wieder herauszugeben, wollten es auch nicht verkaufen. Es gab ein ständiges Hin und Her. Mehrmals verließ Crazy Horse tageweise die Red Cloud Agency im Fort Robinson, obwohl ihm das offiziell verboten war.
GEGENSPIELER BEI DEN LAKOTA
Es scheint heute klar zu sein, dass die „offizielle Vertretung der Indianer“, die Crazy Horse in den Augen der Weißen innehatte, durchaus Neid und Missgunst erzeugte: Die Häuptlinge Red Cloud und Spotted Tail fühlten sich zurückgesetzt. Sie lebten schon etliche Zeit länger im Reservat und hatten für sich und ihre Stämme günstige Arrangements mit den Weißen getroffen. Ein wichtigerer Grund der Zerwürfnisse, die im Rufmord an Crazy Horse gipfelten, dürften die grundlegenden Unterschiede in der politischen Auffassung zwischen den „Realos“ Red Cloud und Spotted Tail auf der einen Seite und Crazy Horse als Visionär auf der anderen Seite gewesen sein.
Es kam in der Folge zu Gerüchten, dass Crazy Horse nicht an einem Friedensschluss interessiert sei, dass er sich wieder dem alten Leben als Krieger zuwenden wolle. Und letztendlich kreidete man ihm später, nach seinem Tod, an, dass die gnadenlose Reaktion der Weißen am Wounded Knee seine Schuld sei, weil er selbst in der Schlacht von Little Bighorn keinerlei Gnade habe walten lassen, sondern für den unerbittlichen Kampf gegen die Weißen gewesen sei.
MISSVERSTÄNDNIS ODER BEWUSSTE TÄUSCHUNG?
In den Gesprächen mit Vertretern der Regierung und dem leitenden Offizier der Red Cloud Agency ging es unter anderem auch darum, dass die Lakota selbst die Nez-Percé-Indianer aus einem nahegelegenen Gebiet vertreiben sollten, sonst könne man ihren Forderungen nicht nachkommen. Crazy Horse, nach etwa achtzehn kaum unterbrochenen Jahren des Krieges müde, murrte, stimmte dann letztendlich im Versammlungshaus in Fort Robinson dieser Forderung der Weißen zu. Sinngemäß sagte er so etwas wie: „Dann jagen wir die Nez Percé eben, bis keiner mehr übrig ist.“
Doch dann passierte etwas Fatales (und dies war nicht das einzige Missverständnis im Verlauf der wochenlangen Verhandlungen): Der Dolmetscher übersetzte fälschlicherweise, Crazy Horse habe gesagt, er werde jetzt alle Weißen jagen, bis keiner mehr übrig sei. Für den Vertreter der Regierung ein unglaublicher Affront. Selbst als Crazy Horse mehrmals betonte, er habe das Versprechen abgegeben, keinen Krieg mehr zu führen, nutzte das nichts.
General Philip Sheridan wurde die angebliche Äußerung vom „Töten aller Weißen“ hinterbracht. Man muss wissen, dass Sheridan der Ausspruch zugeschrieben