Hüter der Schöpfung. Dr. Stephan Götze
Der General befahl aufgebracht, man solle Crazy Horse sofort verhaften. Versuche, das Missverständnis zu korrigieren, scheiterten an der Uneinsichtigkeit und Wut des Generals.
DAS ENDE
Als Crazy Horse zu einem Häuschen in Fort Robinson geführt wurde, folgte er zunächst bereitwillig – im Glauben, nun zur weiteren Verhandlung zu gehen. Erst als er durch die Tür trat, merkte er, dass es sich um ein Gefängnis handelte. Da drehte er sich um und zog ein Messer. Um ihn herum auf dem Vorplatz hatte sich ein Pulk aus vielen Männern, Soldaten und Indianern, gebildet. Irgendjemand schrie „Kill this son of a bitch“; der frühere Freund von Crazy Horse, Little Big Man, hielt ihn von hinten fest. Ein bis dato nie in Erscheinung getretener einfacher Soldat namens Gentles stieß Crazy Horse das Bajonett in den Leib, und zwar so unglücklich, dass er noch vor Mitternacht an diesem 5. September 1877 verstarb. In einem der Bücher über Crazy Horse steht zu seinem Tod treffend: „He had reached his awful destiny to be the last leader of the Sioux …“ – „Er hatte sein schreckliches Schicksal, der letzte Führer der Sioux zu sein, erreicht …“
Der Vater von Crazy Horse war beim Tod seines Sohnes dabei und sorgte später dafür, dass die sterblichen Überreste an einem geheim gehaltenen Platz in der Nähe des Wounded Knee, wahrscheinlich im Beaver Valley, bestattet wurden. Ein Gedenkstein in Fort Robinson weist noch heute auf die Stelle hin, an der Crazy Horse ermordet wurde.
Kurze Zeit nach seinem Tod flüchteten viele seiner Anhänger aus der Red Cloud Agency und gingen über die Grenze nach Kanada: Dort hatte Sitting Bull noch für einige Zeit eine freie Gruppe Lakota um sich versammelt. In den Vereinigten Staaten selbst lebten die Lakota nach dem Tod von Crazy Horse nicht mehr als freie Indianer, sondern ausschließlich in Reservaten.
DIE LAKOTA HABEN BIS HEUTE NICHT AUFGEGEBEN
Selbstverständlich gab es weitere nordamerikanische Indianervölker, die für ihre Freiheit kämpften. Zeitgleich mit den Lakota waren dies etwa die Apachen, deren Anführer Geronimo im Gebiet von New Mexiko und Arizona für seinen unbändigen Freiheitswillen und seine lange erfolgreiche Flucht berühmt ist. Er wurde erst 1886, nach Crazy Horse, bezwungen, ließ sich letztendlich aber freiwillig verhaften und ins Exil nach Florida bringen. Dort starb er Anfang des 20. Jahrhunderts, ohne seine Heimat je wiedergesehen zu haben.
Die Sioux jedoch haben offiziell niemals aufgegeben und zu keinem Zeitpunkt in die Annektierung ihrer Heimat eingewilligt. Auch nicht unter Druck – und den gab und gibt es reichlich. Die Lakota lehnen es bis heute ab, ihre heiligen Berge, die Black Hills in Süd-Dakota, zu verkaufen. Sie leben in Armut und Perspektivlosigkeit. Indianische Jugendliche begehen häufiger Selbstmord als andere Gleichaltrige: Die Sterberate der Lakota unter 25 Jahren ist dreimal so hoch wie in der Altersgruppe in den übrigen USA; die Wahrscheinlichkeit, am Alkohol zu sterben, ist sogar um 670% höher.
Aber: Sie verkaufen sich nicht; sie nehmen nicht die Entschädigung von 105 Millionen US-Dollar an, die ihnen 1980 zugesprochen wurde. Eine Gruppe von Lakota hat vor wenigen Jahren, im Dezember 2007, sogar eine eigene Republik ausgerufen, die alten Verträge von 1851 und 1868 aufgekündigt und für null und nichtig erklärt.
Der von den USA betriebene Genozid scheint unaufhaltbar. Das Ende für die letzte Generation an Vollblut-Lakota hat begonnen. In den Reservationen leben weniger als hunderttausend Menschen mit mehr oder weniger Lakota-Blutanteil. Die Zukunft der Indianer Nordamerikas ist aufs Äußerste bedroht.
Kaum ein Volk steht so sehr wie die Lakota-Indianer für ein Leben im Einklang mit der Natur. Aber genau diese sind, nachdem schon andere Stämme des nordamerikanischen Kontinents vom Erdboden verschwunden sind, zusammen mit ihren ethnischen Genossen praktisch am Aussterben. Andere Völker existieren zumindest weiter, haben – vielleicht – die Chance auf eine Zukunft.
LEBEN IM EINKLANG MIT DER NATUR
Die Lakota waren die Menschen, die mit Tieren redeten, die sich aus der Natur nur das nahmen, was sie brauchten – wir spüren intuitiv ihre Weisheit in Bezug auf den Kosmos. Sie waren keineswegs dümmer oder weniger entwickelt als wir, das haben wir mittlerweile endlich erkannt. Sie zählten ein Jahr nicht, wenn es vorbei war. Für sie fängt es im Prinzip immer wieder von vorne an – sie denken zyklisch, wir denken linear.
Crazy Horse wollte alles so lassen, wie es ist. Das empfand er als Idealzustand, und dafür ist er in den Tod gegangen. Wir wollen den Fortschritt. Denn wir konnten und können mit der Natur nicht so leben, dass wir dabei alles haben, was wir brauchen.
NOTWENDIGE ÄNDERUNG UNSERER SICHTWEISE
Betrachten wir die Dimension der vorherrschenden ökologischen Gefahren, könnte man meinen, es bräuchte ein Wunder. Andererseits: Warum sollte eine Zivilisation wie die unsere es nicht schaffen, die Herausforderung der selbst verursachten Schädigung der Natur zu bewältigen?
Für lange Zeit hielten wir uns an ein rein mechanisches Weltbild – aus der Zeit der industriellen Revolution und ihrer Manufakturen. Es wird heute mehr und mehr durch eine biologisch und physikalisch relativierte Weltsicht ersetzt. Da sollte es kaum abstrus anmuten, bei der Lösung der ökologischen Frage die einfache Idee zu verfolgen, nicht nur nach Neuem und technisch noch Versierterem zu streben, sondern einfach weiter und tiefer in die Natur zu schauen. Das wird unsere Sichtweise der Welt mehr verändern als alles andere. Die Lakota haben niemals aufgegeben. Auch daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Und nicht aufgeben.
VERTRAUEN AUF INDIANISCHE WEISHEIT
Es ist naheliegend, wenn wir Menschen aus den Industrienationen uns unter dem Druck des drohenden Klimawandels und zur Neige gehender Ölreserven umschauen, wo, wann, wie und warum Menschen in völligem Einklang mit der Natur lebten. Seitdem ich dem indianischen Wissen vertraue, habe ich schon mehrmals erstaunliche Reaktionen von Tieren erlebt, wie sie mir z.B. einen Weg zeigten, den ich allein nie gefunden hätte. Und ich habe auf meinem Lehrweg gelernt, die Zeichen des Himmels zu lesen. Angesichts der massiven ökologischen Probleme und Herausforderungen, vor denen wir Menschen stehen, sollten wir von denen lernen, die sich am besten mit der Natur auskennen und seit jeher im Einklang mit ihr leben.
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