Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel
die wirtschaftliche Existenzfähigkeit dieser Frauenkonvente. Deshalb versuchten die Zisterzienser und nach ihnen die Prämonstratenser erfolgreich, die Dominikaner und Franziskaner dagegen vergeblich55, sich der Frauenseelsorge zu entledigen.56
II. Die Bedeutung der Zisterzienser für das geistliche Leben
Der neue Orden prägte die Mystik des 12. Jahrhunderts maßgeblich.57 Die „signifikanten Neuerungen“58 begünstigten den Erfolg der Zisterzienser und beeinflussten indirekt auch das geistlich-spirituelle Leben des 12. Jahrhunderts59: Durch die „Carta caritatis“, die Ordensverfassung, wurden alle Klöster hierarchisch miteinander verbunden, im Gegensatz zu den Reformklöstern von Cluny, die nur einen losen Verband bildeten. Auch die Äbte der zisterziensischen Klöster trafen sich regelmäßig einmal im Jahr zu einem Generalkapitel in Citeaux, was ebenso den Zusammenhalt förderte.
Der Förderung einer Laienspiritualität dienlich war der Umstand, dass die Zisterzienser für die Handarbeit und Landwirtschaft statt Leibeigene, wie die übrigen Benediktinerklöster, sog. „Conversen“, d.h. bekehrte Laienmönche aufnahmen. Diese Laienmönche, die aus den armen unteren Schichten der Gesellschaft stammten, waren nicht für den Chordienst vorgesehen, konnten aber dennoch ein spirituelles Leben führen. Darüber hinaus schaffte der neue Orden das Institut der Oblaten ab: Ebenfalls im Gegensatz zu den Benediktinern lehnte der Zisterzienserorden es ab, bereits Kinder, die von ihren Familien zum Ordensleben ausersehen wurden, im Kloster aufzunehmen. Diese veränderte „Personalstruktur“, die Anwesenheit von Menschen, die an einem vertieft geistlichem Leben in Armut und Abgeschiedenheit interessiert waren, wirkte sich auf die monastischen Lehren und auf die Predigt aus.60 Menschen, die ein spirituelles Leben im Kloster führen wollten, benötigten die entsprechend kompetente Begleitung und Ansprache.
Bernhard von Clairvaux (1090 - 1153) kam den Ansprüchen und dem religiösen Sehnen seiner Zeit entgegen. Seine Spiritualität wirkte inspirierend auf die Frauenmystik.
„Bernhard ist die alles überragende Gestalt der Mystik im zwölften Jahrhundert. ... Unter den lateinischen Autoren des Mittelalters findet sich keiner, der Bernhard übertrifft.“61
Der Eintritt Bernhards in den Zisterzienserorden markiert deshalb einen Wendepunkt in der Geschichte der Zisterzienser. Mit Bernhard begann die Blüte des Ordens. Sein Wirken beeinflusste den Verlauf der europäischen Geschichte62 und die geistige Entwicklung des Abendlandes.63
III. Die Spiritualität des heiligen Bernhard von Clairvaux
Bernhards Spiritualität ist eine „Liebes- und Brautmystik“. Sie war „so bestürzend neu“64 und beeinflusste das religiöse Leben von Mönchen wie auch Laien maßgeblich.65 Vor allem sprach Bernhard die Frauen an, deren Seelen sich mit Christus vereinigen wollten, wie die Braut mit dem Bräutigam.66 Von dorther ist es nicht verwunderlich, dass die nach Religiosität strebenden Frauen die Nähe zu den Zisterziensern suchten.67
1. Bernhards Predigten über das „Hohelied“
Bernhard sah sich zuallererst als Prediger. Er benutzte die Predigt, um seine Theologie zu lehren. Genauso dachten auch Meister Eckhart und Tauler.68 Bernhards wichtigstes Hauptwerk für das neue religiöse Leben im Mittelalter sind seine Predigten über das „Hohelied“.69 Diese 86 Predigten70 haben, wie Ruh betont, die „aszetisch-mystische Literatur seines Jahrhunderts und der folgenden Jahre, sehr früh auch das volkssprachliche Schrifttum befruchtet und genährt.“71
„In seiner Auslegung des alttestamentlichen Liebesliedes bricht der Abt mit der traditionellen frühmittelalterlichen Deutung der Braut als Personifikation der Kirche.“72
Stattdessen identifiziert er die Braut mit der Seele des Menschen. Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist damit nicht mehr nur die Geschichte der Kirche, sondern sie verlagert sich „in den Bereich der seelischen Erfahrung des Einzelnen.“73
„Hört nun, was wir gestern aufgeschoben haben, hört von der großen Freude, die ich erfahren habe. Sie soll nun auch die eure sein: hört also voll Freude! Bei einem Wort der Braut habe ich sie empfunden. Ich habe sie gleichsam eingeatmet und verborgen, um sie heute desto artiger vorzutragen, je besser die Zeit gewählt ist. Die Braut sprach und sagte, der Bräutigam neige sich ihr zu. Wer ist die Braut, und wer ist der Bräutigam? Es ist unser Gott, sie dagegen, wenn ich es auszusprechen wage, sind wir.“74
Die Seele des einzelnen Menschen dürstet nach Gott. Die Seele, die Braut Christi, spricht: „ ‚Er küsse mich mit dem Kuss seines Mundes‘ (Hld 1,1).“75 Wer aber den Kuss eines Geliebten begehrt, der liebt:
„Wer Sklave ist, fürchtet sich vor dem Antlitz des Herrn, der Tagelöhner hofft auf die Hand des Herrn, der Jünger macht sein Ohr dem Meister bereit, der Sohn ehrt den Vater; die aber einen Kuss begehrt, liebt.“76
Wer ist es, der liebt? Wer ist diese Braut? „Die Seele, die nach Gott dürstet.“77 Wie aber kann die Seele den Kuss des Geliebten, seine Liebe, erlangen? Der Vers Hld 1,7 gibt die Antwort:
„ ‘Wenn du dich nicht kennst, du Schöne unter den Frauen, so geh hinaus und folge den Spuren der Herden deiner Gefährten und weide deine Böcklein neben den Hütten der Hirten.‘ “ 78
Diese Aufforderung enthält einen Tadel:
„So widerfährt es jetzt auch der Braut: Weil sie etwas Großes zu verlangen scheint, wird sie durch eine gewiss strenge, aber heilsame und ehrliche Antwort zurückgewiesen. Wer nämlich nach Höherem strebt, muss von sich niedrig denken, damit er nicht von seiner Höhe stürzt, wenn er sich über sich selbst erhebt, es sei denn, er wäre durch wahre Demut unerschütterlich in sich gefestigt.“79
Zu wahrer Demut gelangt die Braut durch Selbsterkenntnis:
„Ihr erinnert euch also, dass ich eure Zustimmung für meine Meinung besitze, niemand könne ohne Selbsterkenntnis gerettet werden. Aus dieser entspringt ja die Demut, die Mutter des Heiles, und die Gottesfurcht, die selbst der Anfang der Weisheit und ebenso des Heiles ist. ... Du sollst daher dich erkennen, um Gott zu fürchten; und du sollst ihn erkennen, um ihn in gleicher Weise zu lieben.“80
Die Braut wird im Hohenlied (1,4) als „schwarz aber schön“ beschrieben. Die dunkle, schwarze Hautfarbe bezeichnet nach Bernhard den Pilgerweg der Braut, den Weg der Nachfolge; die Schönheit die gottfarbene Ebenbildlichkeit.
„ ‚Schwarz bin ich doch schön‘. Liegt nicht in diesen Worten ein Widerspruch? Fern sei der Gedanke. ... Ohne Zahl jedoch sind die Dinge, bei denen du finden wirst, dass sie an der Oberfläche zwar entstellt, hinsichtlich der ganzen Gestalt aber von edler Schönheit sind. Vielleicht kann auf diese Weise die Braut gerade in Verbindung mit der Schönheit der ganzen Gestalt nicht des Makels der Schwärze entbehren: Das gilt aber für den Ort ihrer Pilgerschaft (Ps 118,54). Anders wird es sein, wenn der Bräutigam der Herrlichkeit sie in der Heimat vor sich erscheinen lassen wird, herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler (Eph. 5,27). ... Höre aber, weshalb sie schwarz und weshalb sie sich schön nannte. ... Sie schämt sich nicht ihrer Schwärze, denn sie weiß, dass diese zuvor auch der Bräutigam gekannt hat. Und gibt es einen größeren Ruhm, als ihm ähnlich zu werden? So glaubt sie, dass es für sie nichts Ruhmvolleres gibt, als die Schmach Christi zu tragen ... Es ist Schwärze, aber die Schönheit und Ähnlichkeit des Herrn.“81
Die Schönheit der Braut wird von Bernhard sodann mit den Tugenden verglichen, welche die Ebenbildlichkeit des Bräutigams spiegeln. Doch ist diese Schönheit nach Bernhard geistiger Art82, sie entspricht dem Schmuck