Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel

Rückkehr zu Gott - Jörg Gabriel


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vor Augen stellte, die Mönche seien engelgleich, wenn sie vollkommen lebten, gefallenen Engeln aber gleich, wenn sie zu weltlichen Wünschen zurückkehrten. ‚Unvergleichlich besser jedoch ist der gute Laie gegenüber dem Mönch, der sein Gelübde bricht.‘ Neu dürfte es in den Ohren der Adeligen geklungen haben, wenn ihnen Odo in einer Predigt, angelehnt an die Worte aus einer Predigt Papst Leos d. Gr., zurief, sie sollten erkennen, dass sie von königlichem Geschlecht und Teilhaber am priesterlichen Amt seien. Auch wenn sie die theologische Begründung dafür aus der Taufe nicht verstanden hätten, wäre ihnen nicht entgangen, wie ernst sie genommen und wie hoch sie gestellt wurden. ... Manche Adlige hat Odo mit seiner Begeisterung angesteckt, ihr Leben am Maßstab der Urkirche mönchisch zu erneuern.“8

      Papst Gregor und seine Vorgänger – die Reformbewegung begann unter den deutschen Päpsten Clemens II. (1046 – 1047), Viktor II. (1055 – 1057) und dem Elsässer Leo IX. (1049 – 1054)9 – wollten eine glaubwürdigere Kirche. Dahinter verbarg sich ein Gedanke, der für das weitere religiöse Leben im Mittelalter ausschlaggebend sein sollte:

      „Hier auf Erden sollten Lebensentwürfe verwirklicht werden, wie sie in der Schrift vorgegeben sind. Leitbild war die Einheit der Kirche.“10

      Papst Gregor verband dieses Ziel an erster Stelle mit einer Reform der kirchlichen Hierarchie:

      „Ein aus der Heiligen Schrift abgeleiteter Lebensentwurf, in dem das Priestertum neben und über den Laien stand; ... eine Form der kirchlichen Einheit, verbunden mit der absoluten päpstlichen Führungsrolle. Priestertum und monarchische Stellung des Papstes waren die Leitbilder.“11

      Die Reform zielte auf die Unabhängigkeit und Freiheit der Kirche („Libertas ecclesiae“) gegenüber der weltlichen Macht, vor allem gegenüber dem Kaiser. Sie wehrte sich dagegen, dass Bistümer und Abteien durch Laien, d.h. durch Könige, Fürsten und Adlige vergeben wurden (die sog. Laieninvestitur), z.B. durch Zahlungen von hohen Geldsummen (Simonie)12 oder durch Fürsprache einflussreicher Persönlichkeiten, die dem Bewerber, nach erfolgreicher Übernahme eines Bistums, zusätzliche Verpflichtungen aufnötigten.13 Die Investierten standen in dauernder Abhängigkeit ihrer Gönner. Infolge dessen waren sie auch meist nicht am Seelenheil der Menschen interessiert, sondern an der wirtschaftlichen und finanziellen Ausbeutung. Das führte u.a. dazu, dass sie für geistliche Amtshandlungen Geld verlangten. Um dem Priestertum eine neue Würde zu verleihen, forderten die Anhänger der päpstlichen Reformen die Einhaltung des Zölibats.14 Deshalb verkündete Papst Gregor, „dass nur der würdige Priester wirksam die religiösen Funktionen vollziehen könne.“15 Er ließ die „simonistischen, die nicht ausschließlich von der Kirche berufenen Priester ebenso wie die beweibten und unkeuschen Priester als unrechtmäßige wirkungslose Usurpatoren des priesterlichen Amts“16 bezeichnen und als Ketzer verfolgen, sofern sie weiterhin die Messe zelebrierten oder kirchliche Ämter weiter erwarben17:

      „Priestern, Diakonen und Subdiakonen, die im Verbrechen der Hurerei (des Ehebruchs mit der Kirche) verharren, verbieten wir im Namen des allmächtigen Gottes und in der Vollmacht des heiligen Petrus den Eintritt in die Kirche, bis sie Buße tun und sich bessern.“18

      Den Garanten für glaubwürdige Geistliche und für die Unabhängigkeit der Kirche und Klöster sah Gregor in einem starken Papsttum: Papst Gregor VII. (*1019/30 +1085), der zeitweise Mönch eines cluniazensischen Klosters war, bevor er an die Kurie berufen und 1073 Papst wurde, war davon überzeugt, dass es in der Welt nur um

      „das Ringen zwischen dem Gottes- und dem Teufelsreich, um den kämpferischen Einsatz der Gotteskinder [ging], damit der Friede, die Gerechtigkeit und Liebe Gottes möglichst viele Menschen erfülle. Zu diesem Kampf waren alle Christen, vor allem jedoch die geistlichen und weltlichen Amtsträger gerufen.“19

      Gottes Reich war für Gregor die ecclesia universalis (die universale Kirche) mit den von Gott eingesetzten Gewalten der weltlichen und der geistlichen Macht (Regnum, Königtum und Sacerdotium, Priestertum). In dieser universalen Kirche sollte Gott ungehindert wirken können. Für die göttlichen Dinge waren aber für Gregor ausschließlich die Priester zuständig. Aus diesem Grund besaß das Sacerdotium den höheren Rang. Die Priester sollten frei sein für das göttliche Handeln in der Welt. Es ging Gregor um die Unabhängigkeit des Klerus und der Klöster von aller weltlichen Einflussnahme. Die dem Sacerdotium gebührende Autorität konnte aber nach Gregor nur einer sichern: der Papst in Rom.20 Daher glaubte Gregor, alle Christen müssten „dem für ihr Seelenheil verantwortlichen Papst gehorchen und unter seiner Führung für das Gottesreich streiten, nicht nur die seiner oberbischöflichen Gewalt untergebenen Priester und Mönche, sondern auch die weltlichen Herrscher.“21

      Gregor beabsichtigte nicht, die königliche Herrschaft zu entmachten. Es ging ihm neben der Unabhängigkeit der Priester auch darum, dass die weltlichen Herrscher Christus als ihr Haupt anerkennen. Wenn ein weltlicher Herrscher Christus nicht folge, dann entmachte er sich selbst. Die radikale Konsequenz Gregors:

      „Kraft des päpstlichen Rechtes, letztlich zu entscheiden, wer Gottes und wer des Teufels sei, forderte er, einen unwürdigen Herrscher absetzen und die Untertanen vom Treueid lösen zu dürfen.“22

      Es waren schließlich die geistlich-spirituellen Impulse der gregorianischen Reform, die einen neuen Aufbruch des religiösen Lebens in der Kirche verursachten: der Gedanke von einem würdigeren und glaubwürdigeren Klerus. Das Wirken eben jener „reformierten“ Kleriker, die wie die Apostel in Armut Christus nachfolgen wollten („vita apostolica“) und deshalb auch als Wanderprediger umherzogen, riefen in den einfachen Gläubigen eine neue Religiosität hervor.23 Sie setzten neue religiöse Bewegungen in Gang. Die vita apostolica und die paupertas vitae, ein Leben auf Wanderschaft wie die Apostel und die radikale Armut Christi, wurden innerhalb dieser Bewegungen zu den wichtigsten geistlichen Werten.24

      Die reformatorischen Kräfte, die nach innen die Erneuerung der kirchlichen Hierarchie anstrebten, wirkten auch nach außen auf die Laien:

      „Die religiösen Kräfte, die das Reformpapsttum zum Widerstand gegen den simonistischen und beweibten Klerus aufgerufen hatte, waren vielfach zu selbstständiger Aktivität erwacht und begnügten sich nicht mit der erneuerten Geltung der Klosterregel und des Kirchenrechts. Die Evangelien und Apostelschriften selbst wurden ihnen zur Norm des wahrhaft christlichen Lebens, zur Quelle ihrer Frömmigkeit, zum Appell an jeden Christen, sich wie Jesu Jünger und Apostel zu verhalten. Nach deren Weisung begannen Mönche, Eremiten, Kanoniker zu predigen, um die Gläubigen auch außerhalb des Klosters und Klerus aufzurütteln und für ein wahrhaft christliches Leben zu gewinnen.“25

      Papst Gregor selbst rief Laienvereinigungen, wie die Pataria in Mailand, auf, gegen den unwürdigen Klerus vorzugehen.26 Er förderte auch den Gedanken, sich wieder mit der Ostkirche zu vereinigen und Jerusalem aus der Hand der Muslime zu befreien. Sein Nachfolger Urban II. (1088-1099) setzte schließlich den ersten Kreuzzug (1096-1099) in Gang. Hinter dem Ruf, das heilige Land zu befreien und die „Ungläubigen“ zu töten – der Papst betonte, so schrecklich sich dies für uns heute anhört, es sei Christenpflicht, fremdes und gottfernes Volk zu töten27 – verbarg sich ein

      „mächtiger Ausdruck von Laienfrömmigkeit, der das Ideal der Bußpilgerschaft mit dem Gedanken des Heiligen Krieges verband, was die päpstliche Herrschaft weiter stärken sollte.“28

      Trotzdem kann zur Zeit Gregors von einer direkten Förderung der Laienfrömmigkeit nicht die Rede sein. Im Zusammenhang mit einer „vita apostolica“ oder mit einem vertieften geistlichen Leben kam der einfache Gläubige, der Laie, überhaupt nicht vor: Man verstand darunter eine „vita communis“, wie sie in den Klöstern gelebt wurde29, und für Papst Gregor war das Wort „apostolisch“ gleichbedeutend mit „päpstlich“.30 Auch wenn die gregorianische Reform zu den bedeutsamen Umbrüchen beitrug31, so vollzog sich diese Reform „unter dem Banner der Rückkehr zur alten Ordnung, nicht unter dem des Aufbruchs“32.

      Doch die von der Reform geweckten Geister meldeten sich zu Wort und ließen


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