Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel
in einem Dominikanerinnenkloster an eine Regel gebunden hatten.17 Schon während seines Studiums (1317/18) erlebte Tauler die päpstlichen und bischöflichen Verfolgungen der Beginen, die zwar ein Leben nach den evangelischen Räten führten, aber keinem Orden angehörten. Diese semireligiöse, nicht an einen Orden gebundene Lebensart wurde den Beginen dann zum Verhängnis, weil sie darin von den verurteilten Häretikern, wie zum Beispiel den „Brüdern und Schwestern vom Freien Geist“18, nur schwer zu unterscheiden waren.19 Man warf den frommen Frauen vor, sie beschäftigten sich mit religiösen Fragen, die ihnen nicht zustünden. Beginen dürften sich keine Gedanken über Fragen nach der höchsten möglichen Vollkommenheit (perfectio) machen, nicht miteinander über die in der Ewigkeit währende Glückseligkeit (beatitudo) sprechen oder über den dem Menschen möglichen Grad der Beschauung (contemplatio) nachdenken.20
In einzelnen Predigten stellt sich Tauler indirekt auf die Seite der von kirchlichen Kreisen oft angefeindeten Beginen. So stellt er sie in einer Predigt auf eine Stufe mit Mönchen und Nonnen.21 Aus einer anderen Predigt geht hervor, dass es oft die nach außen hin Frommen sind, die Arme und Beginen nicht in ihren Häusern aufnehmen:
„Maniges wenet eime anderen sin hus loeschen und verburnet das sin, … so sprechent si, kumet ein arm kint zuo in: ‚nein, es ist ein trunffeht mensche‘; kumet zuo den andern ein mensche: ‚nein, es ist ein begine.‘ Wol hin, ir rechten cisternen.“ 22
„Mancher glaubt, einem anderen sein löschen zu können, während er das eigene niederbrennt, … so sprechen sie, wenn ein armes Kind zu ihnen kommt: ‚Nein, es ist ein betrügerischer Mensch.‘ Kommt zu den anderen ein Mensch: ‚Nein, es ist eine Begine.‘ Ach, geht mir doch weg, ihr rechten Zisternen!“
Tauler predigte jedoch nicht nur in Straßburg. Gesichert sind auch zwei Reisen nach Köln (1339 und 1346), wo er im Kloster der Dominikanerinnen in St. Gertrud gepredigt hat.23 Tauler hatte aber auch Beziehungen außerhalb der Klosterwelt. Das belegen die Kontakte zum Weltpriester Heinrich von Nördlingen (+ nach 1356), der Tauler einen lieben Vater nennt und ihn als theologische Autorität anerkennt.24 Heinrich von Nördlingen übersetzte Mechthild von Magdeburgs „Das fließende Licht der Gottheit“ vom Niederdeutschen ins Alemannische. Er ermöglichte als geistlicher Begleiter auch Kontakte der Dominikanerin und Mystikerin Margareta Ebner (um 1291 – 1351) zu Tauler im Kloster Medingen (bei Dillingen). Ebner tat sich als Verfasserin von autobiographischen Offenbarungen und einer Paraphrase des Vaterunser hervor.25 Beide, Heinrich von Nördlingen und Margareta Ebner, gehörten zu einer Bewegung, die sich die „Gottesfreunde“ nannte. Diese aus Laien, Ordensleuten und Klerikern bestehende Gruppe versuchte ein intensiveres mystisches christliches Leben im Alltag zu führen.26 Zu diesen Gottesfreunden zählte auch der reiche, bekehrte Straßburger Bankier Rulman Merswin (1307 – 1382), dessen Seelenführer Tauler 1347 wurde. Merswin versuchte sich auch in der mystischen Schriftstellerei.27 Aus dem Nachlass von Merswins Gottesfreundekreis stammt das sog. „Meisterbuch“, eine fiktive Geschichte von der Bekehrung Taulers.28
Zwischen 1339 und 1343 hielt sich Tauler in Basel auf. Im Streit zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern (1282 – 1347) und Papst Johannes XXII. (1316 – 1334) und dessen Nachfolgern29 waren die Dominikaner, da sie im Gegensatz zur Stadt Straßburg auf der Seite des Papstes standen, 1339 aus Straßburg ausgewiesen worden.30 Es gibt kaum sichere Spuren über Taulers Wirken in Basel. Vermutlich betreute er dort die Dominikanerinnen. Eine Handschrift, die aus dem Auszug einer Predigt mit einem Hinweis, dass Tauler – „der aus Straßburg“ – der Prediger gewesen ist, besteht, bezeugt, dass er im Basler Frauenkloster Klingenthal gepredigt hat.31
„Wenne dú sele kómet an ir hochstes adel rechter volkomenheit so geschehent ir funf ding. Das erste ist, dc die sele erblindet. Ach, lieber were mir ein blinde sele dan tusent gesehender sele. Nú merkent. Das ander ist, so das herze stirbet. Das dritte ist, so der geist gestillet. Das vierde ist, so alle krefte verderbent. Das funfte ist, so alle gedenke verswindent. Swenne dú sele kumet in alsolich innekeit, das si got furet in sunderlich heinlicheit, da er sin userwelten frunde infuret und si spiset mit siner gegenwertekeit, so wen etlich lúte, si sin sicher und si mugen sich da von keren. Si kerent sich wol ane sunde, si tunt aber ein sprung, dc si in die heinlicheit nút koment. Ich sage uch fur war: sie mussen sich began mit den geissen und bocken. Was ist began (mit) den boken und mit den geissen? Das merkent recht: das si von den lereren horent oder von eim anderen guten menschen. Kinder, har an gedenkent. Ist das uch got git solich innekeit und sunderlich heimlicheit, so nement úwer selbes war und blibent dar bi, das ratte ich uch in rechter trúwe. Dis sprach der von Strasburg ze Klingendal. Dc ist ein stukke der bredie, das mir aller best geviel. Das wir zu der volkomenheit komen alse sin aller besten frunde, des helfe uns got! Amen.“32
„Wenn die Seele in ihren Adel höchster Vollkommenheit gelangt, dann geschehen mit ihr fünf Dinge. Das erste ist, dass die Seele erblindet. Ach, lieber Herr, eine blinde Seele wäre mir tausendmal lieber als eine sehende Seele. Nun merkt euch. Das andere ist, wenn das Herz stirbt. Das dritte ist, wenn der Geist still wird. Das vierte, wenn alle Kräfte vergehen. Das fünfte ist, wenn alle Gedanken verschwinden. Wenn die Seele in solch eine Innerlichkeit kommt, wenn Gott sie führt in eine besondere Vertraulichkeit, worin er seine auserwählten Freunde hineinführt und sie speist mit seiner Gegenwart, dann glauben einige Leute, sie seien sicher und sie könnten sich davon abkehren. Sie kehren sich wohl ohne Sünde ab, sie machen aber einen Sprung, so dass sie in die Vertrautheit nicht kommen (können). Fürwahr ich sage euch: Sie müssen wie Geiße und Böcke führen. Was ist ein Leben wie Böcke und Geiße? Merkt es euch recht. Dass sie (nur) auf Lehrer oder auf einen anderen gutmeinenden Menschen hören. Kinder, denkt daran. Ist es geschehen, dass euch Gott eine solche Innerlichkeit und Vertrautheit gibt, dann nehmt (nur) euer Selbst wahr und bleibt dabei. Das rate ich euch in rechter Treue. – Dies sprach der von Straßburg in Klingenthal. Dies ist ein Stück der Predigt, das mir am allerbesten gefiel. Dass wir zu dieser Vollkommenheit kommen wie (Gottes) allerbeste Freunde, dazu helfe uns Gott. Amen!“
Während der Basler „Exilzeit“ reiste Tauler zum ersten Mal nach Köln (1339). Eine weitere Reise führte Tauler um 1350 nach Groenendal (Brabant) zu Jan Ruusbroec.33 Nicht gesichert ist dagegen, ob Tauler auch den Dominikanerkonvent Saint-Jaques in Paris besucht hat.34 Ab 1343 wirkte Tauler wieder hauptsächlich in Straßburg. 1346 reiste er jedoch noch einmal nach Köln zum Predigtdienst in St. Gertrud. In Straßburg starb Tauler am 13. Juni 1361. Dieses Datum gilt als sicher, weil die Familie oder die „Gottesfreunde“ eine Grabplatte gestiftet haben, die heute noch im ehemaligen Dominikanerkonvent zu sehen ist.35 Großen Einfluss auf Taulers Leben und Predigten hatte die Situation in seinem Straßburger Heimatkloster.36 1224 hatten die Dominikaner außerhalb der Stadtmauern Straßburgs ein Kloster gegründet. Von dort aus konnten sie leicht innerhalb der Stadt ihren Lebensunterhalt erbetteln und in den Kirchen predigen. Im Laufe der nächsten Jahre entstanden rund um das neue Kloster sieben Frauenklöster37, die mit den Predigerbrüdern in Verbindung standen und 1245/46 dem Orden inkorporiert wurden. Die neuen Ordensbrüder und die Nonnen stammten fast alle aus reichen Familien Straßburgs, so dass der Orden einen starken Rückhalt in der Bevölkerung fand.38 Es kam jedoch schließlich zu Konflikten mit dem städtischen Bürgertum und dem Weltklerus, nachdem der Konvent 1251 in die Stadt übersiedelte und 1254 den Grundstein für eine Kirche legte. Es lockte das Beispiel anderer Dominikanerkonvente, sich mit einer festen Gemeinde eine stationäre Seelsorge aufzubauen, so dass das Kloster nicht mehr vom Betteln abhängig war, sondern auf feste Einkünfte durch Schenkungen, Erbschaften und durch Begräbnisgebühren auf dem eigenen Friedhof hoffen konnte. Damit aber hoben die Brüder eine wichtige Ordensregel auf, nämlich die Wanderpredigt und das Gebot, sich in Armut den Lebensunterhalt zu erbetteln. Diese dem Ordenscharisma widersprechende Lebensweise führte aber nicht nur zum Konflikt mit dem Weltklerus, der den Predigerbrüdern immer wieder Erbschleicherei vorwarf39, und mit dem städtischen Bürgertum, welches sich darüber ärgerte, dass die Dominikaner es ablehnten, für Grundstücke, die man ihnen überließ, Steuern zu zahlen40, sondern auch zum Niedergang des Kommunitätslebens.41 So führte die Anfang des 14. Jahrhunderts eingeführte vita privata, die jedem