Vom Lieben und vom Sterben. Bertram Dickerhof

Vom Lieben und vom Sterben - Bertram Dickerhof


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es sogar sterben lassen.

      Als Jesus den Weg nach Jerusalem einschlägt, spitzen sich Verunsicherung und Spannung der Jünger zu. Ja, eine gewisse Entfremdung tritt ein. Doch die Jünger bleiben dennoch bei ihm. Der Zwiespalt beginnt damit, dass Jesus ihnen offen mitteilt, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen (Mk 8,31). Spricht so ein Messias, der die Römer vertreiben und soziale Gerechtigkeit herstellen will? Das Wort vom „Auferstehen“ beschäftigt sie, und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen (Mk 9,10). Sie verstehen es nicht, können es nicht in sich verankern. „Auferstehen“ muss ihnen deswegen aus dem Blick geraten und kann in ihrem Denken keine Rolle mehr spielen. Ihr Verständnis endet bei der Ankündigung des schmählichen Untergangs ihres Messias in Jerusalem. Das wäre der Zusammenbruch aller Hoffnungen der Jünger, der Zusammenbruch ihrer Vorstellung vom Messias.

      Israel kannte vor dem Exil (587 bis 538 v. Chr.) in Babel keine Auferweckung der Toten. Die Verstorbenen waren in der Scheol in völliger Bewusstlosigkeit. Sie waren kraftlose, von Gott vergessene Schatten. Diese Auffassung änderte sich zunächst durch Exilspropheten wie Jesaja – Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln (Jes 26,19) – und Ezechiel – So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel (Ez 37,12): Die Rückführung Israels aus dem Exil wird hier als seine Auferweckung begriffen. Die Weisheitsliteratur5 wird sie ab dem 2. Jh. v. Chr. als leibliche Auferstehung Israels deuten. Die frühjüdische Apokalyptik, die wesentlich mit dem um etwa 165 v. Chr. geschriebenen Danielbuch verbunden ist, kommt in ihrer Konzeption zu einer individuellen Auferstehung der Toten: Auf Grund der aggressiven Hellenisierung, die alles Jüdische unter Todesstrafe stellte, zerbrach die Gewissheit, dass Jahwe sein Volk immer beschützt. Da die schreckliche Gegenwart nicht zukunftsfähig sei, so der Prophet Daniel, kann die Zukunft nicht in Kontinuität zur Vergangenheit stehen. Gott, der allein die Zukunft bewirkt, werde daher die gegenwärtige Geschichte beenden und einen neuen Äon der himmlischen Vollendung heraufführen, in den hinein Lebende und Verstorbene des Gottesvolkes gerettet würden. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten. Du aber geh nun dem Ende zu! Du wirst ruhen und am Ende der Tage wirst du auferstehen, um dein Erbteil zu empfangen (Dan 12, 2f.13). An dieser Stelle begegnet erstmals der Gedanke einer individuellen Auferweckung der Toten durch Gott am Jüngsten Tag. Nur die eindeutig Bösen werden für immer Tote bleiben, alle anderen werden auferstehen, um individuell, je nach ihren Taten, gerichtet zu werden.

      Im Hellenismus gab es keine begründete Hoffnung auf ein persönliches Weiterleben nach dem Tod, außer im Gedächtnis der Angehörigen. Er schrieb den Lebensgenuss deswegen groß: „Bäder und Liebe und Wein, sie richten uns freilich zugrunde, aber Bäder und Liebe und Wein sind das Leben“, war ein geflügeltes Wort. Jedoch kannte die griechische Mythologie Konzepte von Auferstehung in den Mysterienkulten und im Schicksal der Halbgötter Herakles, Asklepios, Dionysos, die nach ihrem Tod in den Himmel erhoben, unsterblich und vergöttlicht wurden, nachdem sie sich auf Erden verdient gemacht hatten. Die Sadduzäer, die Partei der Oberschicht und der Priester, lehnte den Gedanken sowohl eines neuen Äons als auch einer Auferstehung der Toten ab. Anders die Pharisäer: Sie waren eher die Partei der kleinen Leute und erhofften eine Auferstehung aller Toten zum Jüngsten Gericht.

      Zurück zu Jesus und seinen Jüngern: Wenn Jesus von Auferstehung sprach, mussten die Jünger also annehmen, dass er die Auferstehung am Jüngsten Tag meinte. Damit gerieten sie in ein Dilemma: Stand der Weltuntergang unmittelbar bevor und damit auch ihr eigener Tod? War das aber nicht der Fall, was sollte dann Auferstehung bedeuten und was erbrachte sie für die Erwartung eines politischen Messias Jesus? Die Rede Jesu von seinem Ende und seiner Auferstehung musste die Jünger verwirren und verunsichern. Lieber wollten sie davon nichts wissen.

      Insgesamt drei Versuche unternimmt Jesus nach den Synoptikern, um mit den Jüngern über sein Ende in Jerusalem und damit auch über den Konflikt mit Petrus ins Gespräch zu kommen: Petrus hatte auf Jesu erste Ankündigung seines Leidens und Todes in Jerusalem mit einer Zurechtweisung reagiert: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! (Mt 16,22). Da fährt Jesus ihn an: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (Mt 16,23). Ja, natürlich, wir Menschen wollen Leiden für uns selbst und unsere Lieben auf alle Fälle vermeiden. Gott etwa nicht auch? Für Petrus und die anderen Jünger muss sich hier ein erschreckender Abgrund auftun, in dem ihre und unsere Vorstellung eines „lieben Gottes“ schlicht untergeht. Kein Wunder, dass die Jünger sich auf dieses Thema nicht einlassen. Sie blocken ab. Ob die „Drei“-Zahl hier tatsächlich die konkrete Anzahl der Leidensankündigungen Jesu bedeutet, ist fraglich. Eher könnte gemeint sein: Immer wieder macht Jesus Anläufe, bis er die Aussichtslosigkeit einsieht, mit den Jüngern über sein Ende sprechen zu können, und seine Versuche dann aufgibt. Wer aber das Gespräch verhindert, sorgt für Spannung in der Beziehung. Er bekommt an dem, was den anderen bewegt, keinen Anteil mehr und entfremdet sich ihm.

      Allerdings gibt es auf der anderen Seite immer wieder Ereignisse, die die Jünger als Bestärkung ihres Glaubens an den politischen Messias auffassen: Hatten doch drei von ihnen Jesus in göttliches Licht getaucht im Dialog mit Mose und Elija auf dem Berg der Verklärung gesehen und die Stimme aus der Wolke gehört, die ihn ihren geliebten Sohn nennt, auf den die Jünger hören sollen (Mk 9,2–10). Oder als Jesus als messianischer Friedenskönig in Jerusalem einzieht und die Leute rufen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe! (Mk 11,9). Das war doch Wasser auf die Mühle ihres Messiasverständnisses. Gleichgesinnte und Gegner teilten ihre Vorstellung vom Messias Jesus, und seine Ankläger werden diesen Einzug nutzen, um Jesus vor Pilatus als politischen Aufrührer hinzustellen. Als Jesus Händler und Käufer aus dem Tempel warf und die Stände der Geldwechsler und Taubenverkäufer umstieß mit den Worten: Heißt es nicht in der Schrift: mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht (Mk 11,17) – war das nicht die Kampfansage des Messias an die Adresse der Hohenpriester und der Schriftgelehrten? Diese verstanden es jedenfalls so und suchten nach einer Möglichkeit ihn umzubringen. Denn sie fürchteten ihn, weil alle Leute von seiner Lehre sehr beeindruckt waren (Mk 11,15–19).

      Schwankend zwischen Angst und Zuversicht, ob der „Menschensohn“ – dieses Wort gebraucht Jesus für sich selbst – tatsächlich am Ende untergehen und sterben wird und sie als seine Jünger womöglich mit ihm (Joh 11,16) oder ob er als Messias und König von Israel mit ihnen zu seiner Rechten und Linken (Mk 10,37) die Herrschaft übernimmt, gingen sie mit ihm nach Jerusalem hinauf, ahnend, dass dort eine Entscheidung fallen wird zwischen leidendem Menschensohn und politischem Messias.

      Alles in allem sind die Tage des galiläischen Frühlings und des ungebrochenen Vorschussvertrauens der Jünger in Jesus vorbei. Als eine Frau ihn mit kostbarem Öl salbt, fahren die Jünger6 diese harsch an: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Indirekt treffen sie damit auch Jesus, der diese Verschwendung nicht nur zulässt, sondern auch verteidigt (Mk 14,4f). Tatsächlich entspricht die Summe von dreihundert Denaren dem, was ein Tagelöhner damals in einem Jahr verdienen konnte, heute etwa 24.000 Euro, wenn man einen Lohn von 10 Euro pro Stunde zu Grunde legt. Doch handelt es sich wirklich um eine Verschwendung? Oder ahnt die Frau, dass Jesu Tod am Kreuz als Hingabe seines Leibes für euch (1 Kor 11,24) derart verschwenderisch ist, jedes menschliche Maß so maßlos übersteigt, dass sie durch ihre „verschwenderische“ Tat die Einzigartigkeit dieser Hingabe und dieser Person würdigen will? So scheint Jesus sie zu verstehen, wenn er sagt: Die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt;


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