Der Weg frisst das Ziel. Andi Peichl
sein, andere brauchen den Sport als Therapie und wieder andere machen ihn zu ihrem Beruf.
So unterschiedlich wie die Motivation ist auch die Definition von „erfolgreich“: Für die 45-Jährige übergewichtige Ex-Nichtsportlerin ist das Ziel zu erreichen bei einer Sprintdistanz ein Riesenerfolg, für den 24-Jährigen Studenten der Vereinsmeistertitel und für den Profi der Sieg. So kann man Sieger sein, ohne auf der ersten Seite der Ergebnisliste zu stehen.
Während früher der Ironman vor allem durch Bilder extremer Härte für sich warb – legendär Julie Moss’ Ziel-Einkriechen 1982 und der Zusammenbruch von Paula Newby-Fraser 1995 – stehen heute doch eher die Zuschauermassen in Roth, Frankfurt oder Klagenfurt im Vordergrund, die ein wesentlich fröhlicheres Bild auf unseren Sport werfen.
Andi Peichl, unser „Weißer Kenianer“, beschreibt einiges, was ich kenne und einiges, was ich so nie erlebt habe; teilweise weil ich schon als Jugendlicher sehr viel trainiert habe und mein gesamtes Erwachsenenleben – Gott sei Dank – als sehr fitter und gesunder Mensch durchleben durfte, teilweise weil ich keiner Familie gegenüber Kompromisse machen muss.
Aber auch ich war ein Altersklassenathlet und Quereinsteiger, von denen es heute nicht mehr viele gibt, im Gegensatz zu denen, die schon als Kinder und Jugendliche durch Kader und Nationalmannschaft gehen, und habe mehr als ein Quantum an Fehlern und Missgeschicken ausbaden dürfen.
Für vieles, was der AK-Athlet so tut, treibt und nutzt oder kauft, habe ich Verständnis, bei manchem schüttle ich den Kopf.
Wer beim Ironman Malaysia bei 38 °C und 85% Luftfeuchtigkeit in schwarzer Ganzkörperkompression steckt, hat so manches nicht verstanden und die Kombination aus 30 °C Außentemperatur + 30 km/h Geschwindigkeit mit Zeitfahrhelm ergeben einfach einen heißen Kopf. Genauso wenig Verständnis bringe ich denen entgegen, die sich ohne Neo nicht in der Lage sehen, 3,8 km zu schwimmen und sich beim Veranstalter beschweren. Da empfehle ich, zurück zur Mitteldistanz und weiter üben.
Vollstes Verständnis habe ich hingegen für die Mit-Tribären, die zwar wenig Power im Bein, aber dafür ein kraftvolles Gehalt haben und sich halt doch das Supercarbonzeitfahrrad mit Ultralaufrädern kaufen, obwohl es dann nicht mit den ausgelegten 50 Stundenkilometern bewegt wird. Kia fahren bringt bekanntlich auch ans Ziel, aber Maserati macht einfach mehr Spaß.
Das Thema Ernährung ist bekanntlich auch ein heikles, die Gratwanderung zwischen Salamisemmel und Astronautennahrung nicht immer ganz einfach zu meistern. Aber hier gilt wie auch sonst im Trisport, nicht gläubig auf jede frohe Werbebotschaft über gepriesene Wässerchen, Pülverchen oder Kügelchen hereinzufallen, die nichts bewirken, außer dass sie den Urin verteuern. Andererseits, so manches Nahrungsergänzungsprodukt kann das Sportlerdasein vereinfachen.
Zur Person:
Faris Al-Sultan (* 21. Januar 1978 in München) ist ein deutscher Triathlet und mehrfacher Ironman-Sieger (2005, 2008, 2010, 2011, 2012 und 2013). Im Jahre 2005 wurde er als Ironman-Hawaii-Sieger Weltmeister der Ironman-Rennserie.
– Als 16-Jähriger lief Faris Al-Sultan seinen ersten Marathon – mit gefälschter Altersangabe, weil er nach den Regeln noch zu jung war für die Belastung eines 42,195-Kilometer-Laufs. Seinen ersten Ironman absolvierte er 1997 mit 19 Jahren auf Lanzarote, weil das Mindestalter für Langdistanz-Triathleten in Deutschland damals bei 21 Jahren lag.
– Am Ironman Hawaii nahm er 1999 erstmals als Amateur teil und belegte den dritten Platz in seiner Altersklasse.
– 2005 gewann Faris Al-Sultan in Arizona erstmals ein unter Lizenz der kommerziellen Ironman-Marke organisiertes Rennen über die komplette Langdistanz.
– 2008 startete er beim Ironman Malaysia und erreichte seinen dritten Gesamtsieg in einem Ironman.
Faris Al-Sultan gilt nicht als Taktiker, sondern als jemand, der das Wettkampfgeschehen gerne selber in die Hand nimmt, wobei er kurzzeitige physische Einbrüche in Kauf nimmt und das Talent besitzt, sich sehr schnell wieder zu erholen.
– 2010 erreichte er in Regensburg seinen vierten Ironman-Sieg vor seinem Teamkollegen Andreas Böcherer.
– In Frankfurt siegte er 2011 und wurde damit Triathlon-Europameister.
– 2012 gewann er den Ironman Austria und feierte damit seinen sechsten Ironman-Sieg.
– 2013 kehrte er nach Lanzarote zurück, wo er seinen ersten Iron-man bestritt – und gewann.
Kapitel 1
Das Begräbnis auf der Aschenbahn
Mit gesenktem Kopf, zittrigen Beinen und glasigen Augen schlenderte er langsam, sehr langsam von der ab dem heutigen Tag verhassten Aschenbahn1 Richtung heimatlicher Wohnung, wo seine Liebsten schon auf ihn warteten ... und viel wichtiger, ein voller Kühlschrank. Sie wussten noch nichts von den dramatischen Geschehnissen der letzten Stunden, weder die Familie noch der Kühlschrank. Jeder Schritt schmerzte, die schweißnasse Sportkleidung in unaussprechlichen Farbkombinationen aus den 90er Jahren, die für das Auge des Betrachters schon nahe an eine Körperverletzung herankamen, klebte an seinem geschundenen Körper. Er sah aus wie Silvester Stallone in Rocky I. nach dem Kampf: powered by Caritas Altkleidersammlung. Als großer, strahlender Held wollte er zurückkommen, doch jetzt war er sich nicht sicher, wie er die rund zwei Kilometer Fußmarsch nach Hause überhaupt noch schaffen sollte. Es tat so weh. Es brannte wie Feuer – in den Beinen, der Lunge und vor allem in seiner geknickten Sportlerseele. Was war geschehen? Es hätte doch sein erster, ganz persönlicher Triumphlauf unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden sollen. Quasi die geheime Testfahrt eines neuen Ferraris. Doch es wurde eher zur letzten Fahrt eines Trabis mit verstopftem Vergaser und Abgas-Keuchhusten, den man zum Autofriedhof schieben musste. Dabei wollte er ursprünglich nur ein paar Freunden bei einer leicht verrückten sportlichen Aktivität an einem sonnigen Wochenende zusehen ...
Wir schreiben das Jahr 2006. 16. Juli, ein heißer Sommertag, 13 Uhr Ortszeit. Mitteleuropa, Österreich. In dem kleinen unscheinbaren obersteirischen Örtchen Wörschach fällt ein Sack Reis um, Milchreis. Wörschach, ein malerischer, verschlafener Ort, der vor allem eines zu bieten hat: viel Natur und dessen Einwohner nicht viel haben, außer weit nach Hause. Über der fast unberührten Landschaft und Bergwelt mit Postkartenidylle thront die mächtige Burgruine Wolkenstein. Wälder und Wiesen sind saftig grün, es riecht nach Bio. Nach echtem Bio, nicht nach dem vakuumverpackten. Hier musste wohl das „Ja-Natürlich-Schweinderl“ zu Hause sein. Ein Traum für naturverliebte Wanderer, die den inneren Frieden suchen, ein Albtraum für jeden Partytiger. Doch einmal im Jahr erwacht dieser Ort aus seinem Dornröschenschlaf und das gnadenlose Schicksal nimmt im wahrsten Sinne des Wortes seinen Lauf.
High Noon. Die letzte Stunde war angebrochen, mittlerweile hielt es am Streckenrand schon längst niemand mehr im Sitzen aus. Standing Ovation für die Gladiatoren, die sich alle – wohlgemerkt freiwillig – in die Arena gestürzt hatten. Masochisten! Jeder Einzelne! Jeder Athlet, der sich noch auf der Strecke voranschleppte, wurde frenetisch beklatscht und lautstark bejubelt. Er stand ebenfalls am Streckenrand, mit seinem Sohn auf dem Arm, und wie vielen auf und neben der Strecke trieb es ihm immer wieder Freudentränen in die Augen. Er wusste nicht recht warum. Jedoch, er wischte sie nicht weg. Er ließ es geschehen. Kollektive Ergriffenheit, Begeisterung und Erschöpfung am Rande der Glückseligkeit. Damals hieß er noch Andi Peichl, war Jungvater, Jungunternehmer und sportlich. Zumindest optisch. Also gewesen. Früher. Damals. Seinerzeit oder wie der Steirer zu sagen pflegt: „Söm“. Nüchtern betrachtet war er immer sportlich gewesen und meinte, es noch immer zu sein. Lächerliche 13 Jahre Trainingspause waren doch sicher spurlos an ihm vorüber gegangen. Immerhin war er noch immer groß und halbwegs schlank. Breite Schultern ließen sogar auf mittlerweile etwas verschwommene, frühere „Cornetto-Eistüten-Konturen“ schließen.
Zurück nach Wörschach. Genauer zum legendären 24-Stunden-Lauf. Er harrte als Zuschauer bereits seit 24 Stunden samt Sohnemann und Campingbus am Streckenrand aus – und das eigentlich eher zufällig. Also zumindest nicht aus sportlichen Gründen. Vielmehr auf Einladung des noch viel legendäreren Lonely Hearts Clubs