Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens. Hans-Joachim Höhn
Hans-Joachim Höhn
Praxis des Evangeliums
Partituren des Glaubens
Wege theologischer Erkenntnis
Hans-Joachim Höhn
Praxis des Evangeliums
Partituren des Glaubens
Wege theologischer Erkenntnis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2015
© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Gestaltung: Hain-Team (www.hain-team.de)
(Umschlagbild: Gerhard Mevissen: Zeit Schonungen 4 a-e)
ISBN
978-3-429-03824-3 (Print)
978-3-429-04805-1 (PDF)
978-3-429-06222-4 (ePub)
Vorwort
Wer zur theologischen Zunft gehört, muss hart im Nehmen sein. Ihre Reputation steht nicht immer und überall zum Besten. Häufig wird Kritik ausgeteilt, manchmal auch Spott: „Theologie ist jene Wissenschaft, die sich mit Problemen beschäftigt, die wir ohne sie nicht hätten!“ Hinter dieser ironischen Feststellung verbirgt sich aber auch ein Kompliment. Denn es wird der Theologie attestiert, dass sie leistet, was von jeder Wissenschaft erwartet wird. Sie ist wie die anderen Disziplinen dazu da, Probleme zu lösen, die zwar präsent, aber oft nicht bewusst sind. Wird auf sie frühzeitig aufmerksam gemacht, ersparen sie bei rechtzeitiger Lösung die mühsame Beschäftigung mit Folgeproblemen.
Problementsorgung und Problemersparnis sind auch Erwartungen an theologische Forschung und Lehre. Auf Problemerzeugungen reagiert man hingegen irritiert. Viele Studierende möchten in dem, was sie glauben, professionell und professoral bestätigt werden. Anfechtungen gibt es genug. Im Studium erwarten sie eine Bestärkung des Glaubens – und keine Provokation durch Zweifel und Kritik. Die willfährige Erfüllung dieser Erwartung bedeutet aber das Ende jeder Theologie als Wissenschaft. Sie darf es ihren Adressaten nicht ersparen wollen, sich jenen Problemen zu stellen, welche Zweifel und Kritik am Glauben provozieren. Andernfalls betreibt sie das Geschäft der frommen Ignoranz. Eine solche intellektuelle Bequemlichkeit kommt dem Glauben nicht zugute, sondern vermehrt seine Probleme. Gerade verdrängte Probleme machen auf Dauer die größten Schwierigkeiten.
Zu den häufig verdrängten Herausforderungen gehören jene Fragen, die im Rahmen einer theologischen „Epistemologie“ zu erörtern sind. Was mit diesem Fremdwort bezeichnet wird, ist zunächst nicht ein Thema weltabgehobener Gelehrter, die sich mit wissenschaftstheoretischen Problemen beschäftigen. Um was es hier geht, begegnet bereits in der Alltagskommunikation. Werden wir von jemandem mit Behauptungen konfrontiert, die nicht unmittelbar plausibel sind, reagieren wir mit Fragen, die sämtlich von erkenntnistheoretischer Tragweite sind: „Wie kommst du denn darauf?“ – „Wie kommst du überhaupt dazu?“ – „Woher weißt du das eigentlich?“ – „Bist du dir dessen so sicher?“ – „Kannst du mir das auch beweisen?“ In diesen Fragen geht es um
– den konkreten Anlass, bestimmte Behauptungen vorzutragen;
– die Berechtigung, jemanden mit bestimmten Behauptungen zu konfrontieren;
– die Verlässlichkeit der Quellen und die Stringenz der Herleitung von behaupteten Einsichten;
– die Zweifel an der Schlüssigkeit von Begründungen;
– die Kriterien und Methoden zur Etablierung und Überprüfung von Begründungsverfahren.
Es müssen keineswegs akademische Zusammenhänge sein, in denen solche Fragen auch im Blick auf Themen des christlichen Glaubens aufkommen. Um die eingespielte Routine in der Glaubenspraxis zu irritieren, genügen oft kleine Anlässe. Bisweilen führen auch übergangene, von frommen Christen für unbotmäßig gehaltene Einsprüche zu Zweifeln an bisher grundlegenden Ansichten:
– Die Bibel mag eine erste Quelle für das Reden von Gott sein, aber was macht sie eigentlich zur „Heiligen Schrift“?
– Auf welchen Wegen lässt sich sicherstellen, dass man tatsächlich der authentischen Botschaft des Evangeliums begegnet und nicht Übermalungen, Entstellungen und Verzerrungen, die im Lauf der Zeit entstanden sind?
– Kann es wirklich Glaubensaussagen geben, die für alle Zeiten gültig sind, oder braucht nicht jede Zeit das ihr gemäße Glaubenszeugnis – in Theorie und Praxis?
– Mit welchem Recht beanspruchen bestimmte Amtsträger in der Kirche ein letztes, unfehlbares Wort über strittige Themen und überlassen es nicht dem Diskurs der Fachleute, die vielleicht zu dem Konsens kommen, dass es bei bestimmten Themen gar keine letzten Worte geben kann?
Werden diese Fragen mit den traditionellen Antworten versehen, wie sie etwa der „Katechismus der Katholischen Kirche“ (1997/2003) oder etablierte theologische Lehrbücher bieten, stellen sie die Fragesteller oft nicht zufrieden. Denn sie sind nicht nur am Wortlaut der traditionellen Antworten interessiert, sondern erwarten auch Aufklärung darüber, wie man zu den traditionellen Antworten gekommen ist und inwiefern diese immer noch Geltung beanspruchen können. Es kann aber sein, dass auch die darauf erteilten – meist theologiegeschichtlich angelegten – Auskünfte nicht überzeugen. In diesem Fall müssen neue Formen und Formate der Herleitung von Glaubensaussagen aus den Quellen des Glaubens entwickelt – und vielleicht auch neue Brunnen gebohrt werden.
Von einer sach- und zeitgemäßen Theologie darf man erwarten, dass sie bewährte Wege absichert, auf denen man dazu kommt, die Inhalte des christlichen Glaubens für rational vertretbar, existenziell verlässlich und sozio-kulturell vermittelbar zu halten. Sie muss aber immer auch neue Routen erkunden, um ans Ziel zu gelangen – vor allem dann, wenn die alten Pfade nicht mehr gangbar sind. Im Folgenden werden einige Wege zu den Quellen des Glaubens, zu den Orten seiner Praxis und zu den Kontexten seiner Verantwortung vorgestellt. Dabei handelt es sich um die Beschreibung von Routen, auf denen ich seit etlichen Jahren in der Theologie unterwegs bin und von denen ich überzeugt bin, dass es sich lohnt, sie weiter auszubauen. Diese Erkenntniswege sind gewiss nicht alternativlos. Für einzelne Streckenabschnitte kann man sich auch auf andere Routenplaner verlassen. Auf einigen Etappen habe ich Schnellstraßen und Abkürzungen genutzt, die andere angelegt haben, um zügig voranzukommen. Gelegentlich führt mein Kurs auch über Kreuzungen und Abzweigungen und ermöglicht Richtungsänderungen. Natürlich würde es mich freuen, wenn möglichst viele Leser / innen davon nicht Gebrauch machen. Denn dabei ist nur wenig zu gewinnen. Wer auf halber Strecke umkehrt, ist genauso lange unterwegs wie jene, die den Weg bis zum Ziel fortsetzen. Vielleicht sind die letzten Etappen besonders herausfordernd und beschwerlich. Bisweilen fehlen die Leitplanken oder die Markierung von Fahrstreifen. Und mit riskanten Manövern des Gegenverkehrs ist ebenfalls zu rechnen. Allerdings haben diese Abschnitte auch einen Vorteil. Hier gibt es für das eigene theologische Vorankommen keine Schilder mit Geschwindigkeitsbegrenzung.
Solchermaßen vorgewarnt und ermutigt soll ein letztes Mal die Weg-Metaphorik strapaziert werden: Auf geht’s!
Köln, im Januar 2015 | Hans-Joachim Höhn |
Inhalt