Die Spur des Wolfes. Günter Huth

Die Spur des Wolfes - Günter Huth


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ungläubiger Teufel“, flüsterte Ahmad seinem Partner auf Arabisch zu. Mohammed wusste, was das bedeutete.

      Im Gänsemarsch folgten die Flüchtlinge dem Schleuser. Der hetzte die Gruppe über die freie Fläche. Alle atmeten auf, als sie zwanzig Minuten später in den nächsten Wald eintauchen konnten. Das Baby verhielt sich jetzt erstaunlich ruhig, anscheinend war es vor Erschöpfung eingeschlafen.

      Wortlos marschierten sie eine Weile auf einem Forstweg, bis schließlich der Schleuser die Hand hob und ihnen im Flüsterton verständlich machte, dass sie soeben die Grenze nach Deutschland überschritten hätten. Ein befreites Raunen ging durch die Gruppe. Teilweise fielen sie sich in die Arme. Während dieser kurzen Phase des Glücks verschwand der Österreicher in der Nacht. Die Menschen waren zunächst etwas verwirrt, entschlossen sich dann aber, dem Rat des Schleusers zu folgen und in die angegebene Richtung weiterzulaufen. Wenn sie die Nacht durchmarschierten, befanden sie sich so tief in Bayern, dass sie sich einigermaßen sicher fühlen konnten.

      Ahmad und Mohammed ließen sich Stück für Stück bis ans Ende der Marschformation zurückfallen. Irgendwann blieben sie stehen, während die anderen weiterhasteten. Ihre Mission hinderte sie daran, die Flüchtlinge zu warnen. Kam die Gruppe ungeschoren über die Grenze, war alles gut. Sollten sie jedoch von der Bundespolizei aufgegriffen werden, waren die Ordnungshüter so beschäftigt, dass sie beide unbemerkt durch die Grenze schlüpfen konnten.

      Die beiden Männer blieben im Wald stehen und warteten. Plötzlich drang greller Lichtschein durch die Bäume. Er kam von der Stelle, wo sich die Flüchtlinge jetzt in etwa befinden mussten. Eine laute Mikrofonstimme forderte die Menschen in deutscher, englischer und arabischer Sprache auf, stehen zu bleiben. Jetzt erst hatten die Flüchtlinge die Grenze erreicht und waren prompt von der Bundespolizei entdeckt worden.

      Ahmad war klar, dass die Festnahme einige Zeit in Anspruch nehmen würde. So lange mussten sie warten, da sie auf keinen Fall festgenommen werden durften. Er machte Mohammed ein Zeichen und flüsterte ihm etwas zu. Der nickte. Daraufhin drehten sie sich um und folgten dem Weg im flotten Trab zurück. Es dauerte nicht lange, dann sahen sie die geduckte Gestalt des Schleusers im Mondlicht vor sich, der eilig über das offene Ackerland davonhastete. Schnell holten sie ihn ein. Da ihre Schritte auf dem weichen Ackerboden kaum zu hören waren, konnten sie den Mann völlig überraschen. Als er sie erkannte, erschrak er sehr und wollte davonlaufen. Ahmad packte ihn von hinten am Jackenkragen und zerrte ihn herum.

      „Du bist ein elendes Schwein“, sagte er ruhig auf Deutsch. „Du hast unser Geld genommen, um uns dann der Polizei auszuliefern. Allah wird dich strafen!“

      Der Mann stammelte etwas, wurde aber jäh unterbrochen. Der harte Karateschlag gegen den Kehlkopf kam schnell und überraschend. Würgend brach er auf dem Feldweg zusammen. Ahmad und Mohammed standen dabei und sahen zu, wie er langsam erstickte. Irgendwann hatte das Zappeln ein Ende und er lag still. Ahmad durchsuchte seine Kleidung und nahm das Geld an sich, das er den Flüchtlingen abgenötigt hatte. Anschließend zerrten sie ihn in einen tiefen Entwässerungsgraben am Rande des Feldes. Wenig später waren sie wieder auf dem Weg zur Grenze. Dort warteten sie bis weit nach Mitternacht, um sie dann völlig unbehelligt zu überqueren. Ohne Zögern marschierten sie in die Nacht hinein. Sie wollten noch möglichst weit kommen.

1

       Sechs Jahre zuvor

      Es war fünf Uhr morgens und kühl. Im Dämmerlicht waberten fetzige Nebelschleier über die große Waldlichtung am Eichenschlag und ließen die dreizehn Stück Rotwild, die auf ihr ästen, im ersten Dämmerlicht wie gespensterhafte Schemen erscheinen. Die schwache Brise war kaum spürbar und trug die Witterung des Jägers weg vom Wild, nach hinten in den Wald. Forstrat Volker Wohlfahrt saß auf der hohen Jagdkanzel am Rande der Lichtung und war sich sicher, das Wild konnte ihn nicht wittern. Gut fünfzig Schritte waren es bis zum ersten Alttier, einer erfahrenen Hirschkuh, die das Rudel anführte. Deutlich konnte er hinter ihr das Kalb erkennen, das der Mutter nicht von der Seite wich.

      Wohlfahrt würde Ende des nächsten Monats in den Ruhestand treten und hatte von seiner oberen Dienstbehörde letztmals einen reifen Hirsch zum Abschuss freigegeben bekommen. Ein übliches Verfahren bei verdienten Beamten.

      Plötzlich wurde die Stille des Septemberwaldes von einem tiefen, orgelnden Röhren zerrissen. Wohlfahrt lief ein Schauer über den Rücken. Da war er, der bejahrte Brunfthirsch, und schrie seinen Herrschaftsanspruch auf das Rudel in den Wald hinein. Es dauerte nur einen Moment, dann kam aus weiterer Ferne Antwort. Ein Rivale sagte dem Platzhirsch den Kampf an, um ihm die Herrschaft über das Rudel streitig zu machen. Erneut gab der starke Hirsch Antwort. Er stand nur in geringer Distanz zum Jäger in einer Buchenaufforstung, noch immer durch den Nebel unsichtbar. Das Archaische dieses Vorgangs versetzte Wohlfahrt in fast unerträgliche Spannung. Dieser Sechzehnender ließ ihn schon seit drei Stunden hier an der Wildwiese ausharren. Der Hirsch war alt und seine Tage, in denen er der Herr über dieses Rudel sein konnte, waren sicher gezählt. Plötzlich hörte er trommelnden Hufschlag. Der Platzhirsch verließ galoppierend seine Deckung. Als er abrupt stoppte, konnte Wohlfahrt ihn sehen. Wie ein Denkmal stand er im Nebel, dann senkte er sein Haupt und gab einer der Kühe einen unsanften Stoß mit seinem Geweih, damit sie näher zum Rudel aufschloss. Er musste seinen Harem zusammenhalten. Im vollen Bewusstsein seiner Stärke hob er sein gewaltiges Haupt, dass die Geweihstangen fast seinen Rücken berührten, und röhrte seine Kampfansage in mehreren Intervallen in den Himmel. Sein heißer Atem stand dabei wie eine Wolke vor seinem Äser. Der Förster spürte das Vibrieren der Kanzel. Gewaltsam riss er sich aus seiner Faszination und hob das Gewehr. Er wollte den alten Recken mit einem sauberen, schnell tötenden Blattschuss erlegen.

      Während er noch durch das Zielfernrohr die Stelle suchte, hinter der das Leben schlug, machte der Hirsch plötzlich einen steilen Satz nach oben, dann nach vorne, tat noch zwei weite Sprünge, um dann unvermittelt zusammenzubrechen. Er schlegelte noch einige Male auf der Seite liegend, mit den Hinterläufen, dann war Stille. Der Vorgang lief so schnell ab, dass der Mann auf der Kanzel überhaupt nicht erfassen konnte, was hier geschehen war. Er hatte ja nicht geschossen und trotzdem war ihm klar, irgendetwas musste den Hirsch tödlich getroffen haben. Aus heiterem Himmel, wie vom Blitz erschlagen. Wie konnte das sein?

      Der Hufschlag des flüchtenden Rotwildrudels riss Wohlfahrt aus seiner Erstarrung. Zorn kam in ihm hoch. Er sicherte sein Gewehr und machte sich an den Abstieg. Er hatte einen schlimmen Verdacht. Ohne große Überlegung stürmte er vorwärts. In seiner Amtszeit hatte es in seinem Zuständigkeitsbereich mehrmals Hinweise auf Wildereraktivitäten gegeben. In den letzten beiden Jahren wieder häufiger. Starke Hirsche, die dem Forstamt bekannt waren, verschwanden plötzlich von der Bildfläche und wurden nicht mehr gesehen. Forstarbeiter stießen im Wald auf Innereien von Rotwild, die jemand verscharrt hatte. Die Füchse gruben sie wieder aus und zerrten sie ans Tageslicht. Die Förster vermuteten, dass hier eine ganze Bande am Werk war, denn für eine Einzelperson war ein starker Hirsch, der deutlich mehr als zwei Zentner wiegen konnte, kaum zu transportieren. Gesehen hatte man diese Kerle jedoch noch nie. Eines war klar, sie waren ortskundig und im höchsten Maß gerissen. Damals erkannte man die Wilderer an einer ganz speziellen Handschrift: Sie töteten das Wild mit Pfeil und Bogen und führten dabei einen großen Hund mit sich, der ihnen offenbar ihre Beute zutrieb.

      Wider alle Regeln der Vernunft hastete der alte Förster zu der Stelle, wo der Hirsch zusammengebrochen war. Plötzlich begann sein Herz schneller zu schlagen. Im Nebel erkannte er eine menschliche Gestalt, die sich über den Wildkörper beugte. Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Wohlfahrt war klar, er handelte extrem leichtsinnig. Normalerweise hätte er sich zurückziehen und über sein Handy die Polizei verständigen müssen. Damit war aber die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Wilddiebe verschwunden waren, ehe die Ordnungshüter eintrafen. Er entschloss sich zu handeln. Mit der Waffe in Vorhalte näherte er sich langsam dem Menschen in Tarnkleidung. Unvermutet trat er auf einen trockenen Zweig, der krachend brach. Der Mann richtete sich erschrocken auf. Wohlfahrt sah in der Hand des Kerls ein großes Messer aufblitzen,


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