Die Spur des Wolfes. Günter Huth
Maß dramatisch gewesen. Da die beiden Hasenstamms im Strafprozess schwiegen, war es nicht möglich, einem das Tötungsdelikt an dem Förster zuzuordnen. Dann gab es plötzlich eine überraschende Wende. Wolfgang Hasenstamm nahm am zweiten Prozesstag alle Schuld auf sich und wurde dann auch wegen Totschlags verurteilt. Der Alte kam mit einer Bewährungsstrafe wegen Jagdwilderei davon. Der Wolf verschwand. Seitdem herrschte in den Wäldern Ruhe. Der alte Hasenstamm trat strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung. In den Dörfern rund um Wiesmühl wurde davon gesprochen, dass er eine schwere Krankheit habe. Wie ihm Eberhard Brunner berichtet hatte, hatte er sich vor einer guten Woche das Leben genommen. Offenbar wollte er das Siechtum durch den Krebs nicht länger ertragen.
Kerner war klar, dass der gewalttätige Ausbruch Hasenstamms für die Ermittlungsbehörden ein echtes Problem darstellte, da er, wie Brunner ihm erzählt hatte, sofort in die Wälder geflüchtet war. Eine Umgebung, in der er problemlos überleben konnte. Das hatte er früher ja hinreichend bewiesen. Hasenstamm hatte einmal getötet. In die Enge getrieben, würde Hasenstamm sicher wieder töten. Die Härte seines Vorgehens bei seinem Ausbruch ließ das Schlimmste erwarten.
Er hatte Wolfgang Hasenstamm während des gesamten Prozesses genau beobachtet. Als die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Schießbefehl auf das Fluchtauto angesprochen wurde, hatte Hasenstamm das erste und einzige Mal seine Zurückhaltung aufgegeben. Nur mit Hilfe seines Verteidigers war es dem Gericht gelungen, seine Hasstirade gegen ihn, Kerner, und Eberhard Brunner zu unterbinden. Nachdem Wolfgang Hasenstamm die gesamte Schuld für den Totschlag auf sich genommen hatte, war er in finsteres Brüten verfallen. Regungslos hatte er den Schuldspruch aufgenommen. Lediglich seine Augen hatten Bände gesprochen. Für Kerner stand fest, dass der Flüchtige auf Vergeltung aus war, Vergeltung für den Tod von Anna Drescher, den er auch ihm, vielleicht sogar in erster Linie, anlastete. Bis der Flüchtige wieder eingefangen war, musste er aufpassen. Da er in der Nähe des Ortes lebte, an dem das Unglück geschehen war, war die Bedrohung für ihn real.
Das Klopfen an seine Bürotür unterbrach seine Gedanken. Er sah auf die Armbanduhr. Das musste der Personalrat sein, der sich bei ihm angemeldet hatte, um mit ihm einige Details des am Freitag in einer Woche stattfindenden Sommerfestes zu besprechen. Seit er hier in Gemünden Behördenchef war, fand dieses Fest bei seiner Jagdhütte statt. Ein Event, der bei allen Behördenangehörigen sehr beliebt war. Nur mühsam konnte er sich auf das Gespräch konzentrieren.
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