Ruth Gattiker. Denise Schmid

Ruth Gattiker - Denise Schmid


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«Ja, selbstverständlich, kein Problem. Ich kann das organisieren.» Sie selbst wird den Herzempfänger anästhesieren und überwachen. Für die Betreuung des Herzspenders wird sie einen ihrer Oberärzte rufen, der gerade Dienst im Notfall tut. Sie geht ans nächste Telefon und ruft an. Anschliessend bietet sie noch zwei Anästhesieschwestern auf und jemanden, der die Herz-Lungen-Maschine bedienen soll. Kurzfristige Einsätze ist Ruth Gattiker sich gewöhnt.

      Um zehn Uhr wird der Spender durch die Glastür, welche die Neurochirurgie von der Herzchirurgie trennt, in einen der Vorbereitungsräume gerollt. Ruth Gattiker erzählt: «Ich habe den Spender mit meinen Leuten eingerichtet und habe meinem Team gesagt, wir schauen, dass er mit Adrenalin den Blutdruck immer schön hält. Wir beatmen ihn und stützen den Kreislauf. Es ging nur noch um das Herz. Das Hirn war ja bereits tot.»

      Als der Spender so weit vorbereitet ist und von ihren Leuten betreut wird, bereitet sich Ruth Gattiker auf die Anästhesie des Empfängers vor, der in einem Taxi sitzt und auf dem Weg ins Spital ist. Sie spricht mit Senning und schaut sich die Krankenakte des Herzempfängers an. Es handelt sich um einen 54-jährigen Mann, seine Diagnose lautet: schwere Koronarsklerose mit Aneurysma der Vorderwandspitze sowie der Herzhinterwand. Schwere Herzinsuffizienz. Patient arbeitsunfähig. 1967 erste Hospitalisierung.5 Der Kardiologe Prof. Paul Henri Rossier, Direktor der Medizinischen Klinik, hat im Vorfeld das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten geführt und ihm erklärt, dass er ohne Operation nur noch wenige Wochen zu leben habe und das Risiko andererseits, dass er den Eingriff nicht überleben werde, bei 90 bis 95 Prozent liege. Der herzkranke Mann will die kleine Chance dennoch nutzen und ist einverstanden.

      Als der Empfänger im Spital ankommt, führt Ruth Gattiker wie vor jeder Anästhesie im Vorbereitungsraum ein Gespräch mit dem Patienten. Er ist nervös und redet ununterbrochen. Sie misst und notiert seinen Puls und Blutdruck. Anschliessend spritzt sie ein Mittel zur lokalen Betäubung in die Armvene, damit sie die Katheter legen kann. Heute können Katheter direkt von aussen mittels Nadelstich durch eine Kanüle in den Arm platziert werden. Das ist damals noch nicht möglich. Sie macht zwei kleine Schnitte. Einen am Handgelenk, wo sie die Pulsschlagader freilegt und einen Katheter zur arteriellen Druckmessung einlegt. Der zweite Schnitt kommt in die Armbeuge, wo sie eine Vene freilegt, dann einen Katheter einlegt und ihn bis in den rechten Vorhof des Herzens vorschiebt. Nachdem die Katheter gelegt sind, werden die kleinen Wunden vernäht und je eine Blutprobe zur Blutgasanalyse genommen. Dann spritzt sie dem Patienten das kurz wirksame Thiopental, um ihn schläfrig zu machen. Sie hat in Erinnerung, dass er noch ununterbrochen weiterredet, bis die Mittel endlich wirken. Über eine Gesichtsmaske lässt Ruth Gattiker ihn Sauerstoff und Lachgas einatmen. Dann wird ihm Succinylcholin gespritzt, ein kurz wirkendes Muskelrelaxans. Anschliessend führt sie über den Rachen schnell und geschickt eine Magensonde und einen Tubus (Schlauch) in die Luftröhre ein, für die sogenannte endotracheale Intubation. Sie misst nochmals Puls und Blutdruck. Über den Beatmungstubus erhält der Patient nun einige Beatmungsstösse mit reinem Sauerstoff. Anschliessend stellt sie am Narkoseapparat ein 50-prozentiges Sauerstoff-Lachgas-Gemisch ein, lässt den Patienten aber noch selbst atmen. Damit ist er «fertig instrumentiert», wie Ruth Gattiker es ausdrückt, und wird in den Operationssaal gefahren. Dort befestigt sie an seinen Armen und Beinen die Elektroden für das Elektrokardiogramm (EKG). Gattiker kontrolliert den Kreislauf des Patienten, spritzt ihm Curare zur Lähmung der Atemmuskulatur und schliesst ihn zur künstlichen Beatmung an einen Engström-Respirator sowie an die elektronischen Überwachungsgeräte für EKG, Blutdruck, Herzschlag und Temperatur an. Die Operation kann losgehen.

      Während des ganzen Eingriffs ist es Ruth Gattikers Aufgabe, auf den Monitoren das EKG und die Blutdruckkurve zu überwachen und gegebenenfalls mit Medikamenten einzugreifen. Ausserdem entnimmt sie dem Patienten in gewissen Abständen Blut, das ins Labor gebracht wird und innerhalb kürzester Zeit auf seine Blutgase und die Zusammensetzung der Elektrolyten (Natrium, Kalium, Chlorid, Kalzium, Phosphat) hin untersucht wird. Im Operationssaal liegen auch alle Medikamente und Geräte zur Wiederbelebung im Fall eines Kreislaufstillstands bereit: Adrenalin, Procain, Natriumbikarbonat, Kalzium und Kaliumchlorid sowie ein Defibrillator.6 Die Anästhesie des Herzempfängers ist diffizil, weil er unter einer schweren Herzinsuffizienz leidet. Er muss genau überwacht und die Mittel müssen sorgfältig eingesetzt werden, damit Kreislauf und Herz nicht schon infolge der Anästhesie aufgeben.

      «Wir haben einen Patienten gerettet, das war alles»

      Als der Empfänger im Operationssaal bereit ist, beginnt die Herzentnahme beim Spender im Raum gegenüber. Um 12.30 Uhr öffnen drei Ärzte den Brustkorb des Spenders und trennen die Hauptschlagader und eine Herzader nach der andern durch. Sie lösen das Herz mit einigen schnellen Schnitten heraus. Es kommt in einen Behälter mit einer gekühlten Kochsalzlösung und wird sorgfältig über den Gang in den Operationssaal getragen, wo der Empfänger liegt.7

      Der Brustkorb des Empfängers ist mittlerweile geöffnet worden, und sein Kreislauf wird von der Herz-Lungen-Maschine, die das Blut kühlt und mit Sauerstoff anreichert, aufrechterhalten. Ruth Gattiker steht auf einem Podest am Kopfende des Patienten, zu ihrer Linken und Rechten die Maschinen zu seiner Überwachung und die Herz-Lungen-Maschine. Von ihrem Podest aus hat sie den besten Blick auf das Operationsfeld, das sie, zusammen mit den Bildschirmen neben sich, nicht aus den Augen lässt. Volle Konzentration ist gefragt.

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      Ruth Gattiker im Operationssaal des Kantonsspitals Zürich in den 1960er-Jahren.

      Åke Senning führt die Herztransplantation durch. Er klemmt die vom Herz wegführende Aorta des Empfängers ab, was um 13.18 Uhr zu einem Herzstillstand führt. Kein Problem, da die Herz-Lungen-Maschine die Versorgung des Körpers mit sauerstoffreichem Blut übernimmt. Das kranke Herz wird herausgetrennt, sodass die beiden Vorhöfe erhalten bleiben und von der grossen Körperschlagader und der Lungenarterie möglichst wenig verloren geht. Die beiden Vorhöfe werden mit den Vorhöfen des neuen Herzens verbunden und die grosse Körperschlagader mit dem Gefässrest des Spenderherzens vernäht, ebenso die Pulmonalarterie, die das Blut aus der rechten Herzkammer der Lunge zuführt. Das Blut wird im letzten Stadium der Operation langsam wieder aufgewärmt. Nach einer knappen Stunde Operationszeit ist es so weit, um 14.06 Uhr beginnt das Spenderherz von selbst wieder zu schlagen. Es muss nicht einmal elektrisch stimuliert werden.8 Die Anspannung im Operationssaal weicht der Erleichterung. Der Brustkorb kann nun in Ruhe geschlossen werden. Dass an dieser gelungenen Operation noch viel mehr hängt als ein rein medizinisches Problem, wird aber schon im nächsten Moment klar.

      Der Gesundheitsdirektor schimpft

      Ruth Gattiker tritt nämlich einer Person, die sich im Laufe der Operation unbemerkt hinter ihr auf das Podest gestellt hat, auf die Füsse. Sie schaut sich überrascht um und entschuldigt sich. Wer hinter der grünen OP-Kleidung mit Kopfbedeckung und Mundschutz steckt, kann sie nicht erkennen. «Bürgi, Regierungsrat», antwortet der Vermummte auf ihre Entschuldigung hin. Åke Senning und die anderen Ärzte schauen verwundert auf. Während Senning weiternäht, wettert der Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich vom Podest herunter. Ruth Gattiker erzählt: «Die ganze Zeit schimpfte Bürgi, wir hätten nicht kommuniziert, weder in Bern noch hier in Zürich habe man etwas gewusst. Er habe auf Schleichwegen erfahren, dass diese erste Schweizer Herztransplantation stattfinde. Senning hat darauf trocken geantwortet, wir hätten andere Probleme gehabt, zum Kommunizieren sei nicht auch noch Zeit geblieben.»

      Wie hat der Regierungsrat so schnell von der Sache erfahren? Ruth Gattiker hat dazu ihre eigene Theorie. «Der Herzempfänger war ein unheimlicher Schwätzer. Ich nehme an, er hat im Taxi auf der Fahrt ins Spital verkündet, dass er jetzt dann gleich im Kantonsspital ein neues Herz bekommen werde. Und so hat sich das womöglich verbreitet, vielleicht ging es aber auch über die Spitalleitung, die davon wusste. Ich weiss es nicht genau. Senning hat gewiss nicht daran gedacht, das vorher gross anzukündigen. Politik hat ihn wenig interessiert, und Schweizer Politik schon gar nicht.»

      Die Ärzte im Operationssaal sind verwundert über die hektische Reaktion von Regierungsrat Urs Bürgi, als ehemaliger Urologe übrigens selbst Arzt. «So


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