Turbulenzen. Sepp Moser
Kinder und ansässige Ausländer eingeschlossen. Geht es nach dem Willen des Schweizer Verteidigungsministeriums, soll sich der Lieferant der Flugzeuge später verpflichten, der schweizerischen Wirtschaft als Gegengeschäft im weitesten Sinne Aufträge vorerst unbestimmter Art im Umfang von 3,6 Milliarden Franken (60 Prozent des Auftragsvolumens) zuzuhalten.
Dass das Land moderne Kampfflugzeuge dringend braucht, wenn es nicht die Glaubwürdigkeit seiner Verteidigungsfähigkeit aufs Spiel setzen will, ist weitgehend unbestritten. Zu hinterfragen ist hingegen die Art der Entscheidungsfindung. Das übliche – und in den Augen der Fachleute logische – Vorgehen setzt nicht den Kaufpreis, sondern die sorgfältige Abklärung der Bedürfnisse an die erste Stelle in der Prioritätsliste. Dann erfolgt die vergleichende Prüfung der auf dem Markt erhältlichen Produkte unter Berücksichtigung von Faktoren wie Eignung für die spezifischen Bedürfnisse des Landes, erwartete Intensität des Gebrauchs, Bedienungs- und Wartungsfreundlichkeit und so weiter. Am Schluss werden von den infrage kommenden Anbietern Offerten verlangt (die sich logischerweise im Endpreis unterscheiden werden) und diese zusammen mit einer Empfehlung der Entscheidungsinstanz vorgelegt, in diesem Fall dem Parlament und bei einem Referendum dem Stimmvolk. Dieses Vorgehen ist normal; so machen es Verkehrsbetriebe, wenn sie neue Busse oder Züge brauchen, Fluggesellschaften vor dem Kauf neuer Flugzeuge sowie Spitalverwaltungen, wenn sie einen neuen Computertomografen benötigen.
In all diesen Fällen wissen am Schluss die Entscheidungsorgane, worüber sie entscheiden. Nicht jedoch die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im hier diskutierten Fall: Sie sollen an der Urne über einen Kredit entscheiden, ohne zu wissen, welche von vier zuvor geprüften Varianten zum Zuge kommen wird sowie ob und in welcher Form die Schweizer Wirtschaft von den vage versprochenen Kompensationsgeschäften tatsächlich wird profitieren können. Es ist ein, gelinde gesagt, eigenartiges Vorgehen. So machen es Grosseltern, wenn sie dem Enkel zwei Franken schenken, damit er am Kiosk eine Süssigkeit kaufen kann – irgendeine aus der aufliegenden Auswahl. Hauptsache, der Preis stimmt. Doch das Konstrukt ist auf transparente Art zustande gekommen und vom Parlament akzeptiert worden. Das Vorgehen ist somit, wenn nicht ethisch, so doch ohne Zweifel rechtlich legitim.
Mit diesem Buch soll das Informationsdefizit behoben und das Thema in einem grösseren Zusammenhang mit historischer Perspektive beschrieben werden. Das Geschäft mit Flugzeugen aller Art und mit Militärflugzeugen im Besonderen ist nämlich komplex, weithin undurchsichtig, manchmal «eindeutig zweideutig» und nicht immer ganz lupenrein. Und dies nicht nur in der Schweiz und nicht erst seit heute.
Besonders augenfällig ist die Problematik dann, wenn es um Kampfflugzeuge geht, also um Jäger, Aufklärer, kleinere und grössere Bomber (Erdkampfflugzeuge genannt). Im Kriegsfall sind das die «Frontsoldaten»; jeder Einsatz kann der letzte sein, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in diesen Flugzeugen zwecks Verbesserung der Überlebenschancen zumeist die modernste, raffinierteste und somit auch teuerste Technik befindet. Entsprechend rücksichtslos kämpfen Hersteller, Generäle, Politiker, Lobbyisten und immer auch allerlei zwielichtige Gestalten um die milliardenschweren Aufträge. Bescheidener geht es im Geschäft mit kleineren Flugzeugen zu, also zum Beispiel mit Schulflugzeugen und kleineren Transportern. Diese sind technisch einfacher als die Kampfflugzeuge und deshalb auch billiger. Aber auch sie sind im Hinblick auf die harten Einsatzbedingungen robuster gebaut als ihre zivilen Pendants – und dadurch kostspieliger als diese, will heissen: beliebt für Geschäfte am Rande oder knapp jenseits der Legalität.
Ein erster Teil des Buches wirft einen gerafften Blick zurück auf die Militärflugzeugbeschaffungen der Schweizer Armee in den letzten 60 Jahren. Ein zweiter Teil zeigt, wie das Geschäft mit kleineren und nicht derart hochgerüsteten Flugzeugen funktioniert. Am Beispiel der seit Jahrzehnten weltweit erfolgreichen Schweizer Herstellerfirma Pilatus zeigt sich die Ambivalenz dieses Geschäfts. Oft sind die potenziellen Kunden politisch umstrittene Regimes oder eher zwielichtige Händler, die verschleiern, was sie mit dem gekauften Flugzeug eigentlich bezwecken. Und in einem dritten Teil wird schliesslich der aktuelle Beschaffungsprozess eingeordnet und beleuchtet.
Schweizer Kampfflugzeuge: Beschaffungsprobleme ohne Ende
In demokratischen Staaten mit einer aktiven Diskussionskultur ist die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges häufig ein kontroverses Thema. Erstens geht es um ein Kriegswerkzeug, was an sich schon die Emotionen anregt. Im Fall der Schweiz kommt dazu, dass ein grosser Teil der männlichen Bevölkerung Militärdienst leistet oder dies in jüngeren Jahren getan hat, sich somit viele Bürger als mit der Armee verbunden und dadurch zumindest teilweise sachkompetent fühlen. Zudem verleihen die Instrumente von Initiative und Referendum dem Schweizer Volk einen grossen Einfluss auf die Handlungen des Staates. All das zusammen ist in dieser Form weltweit einmalig.
Kampfflugzeuge sind technisch extrem komplex, teuer – bezüglich Entwicklung und Anschaffung ebenso wie später im Betrieb und im Unterhalt – und mit vielen technischen Risiken behaftet. Nur wenige Länder verfügen über das Knowhow sowie über die finanziellen und industriellen Voraussetzungen, um Kampfflugzeuge in Eigenregie zu bauen: die USA, Russland, Frankreich, Schweden, China, einige «Ad-hoc-Koalitionen» mehrerer europäischer Staaten und als «Grenzfälle», das heisst soweit es um technisch einfachere Modelle mit beschränkter Kampfkraft geht, Länder wie Indien, Japan, die Türkei und einige mehr. Die Schweiz hat es in den 1950er-Jahren versucht – ältere Leserinnen und Leser erinnern sich an die Typen P.16 (Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein) und N-20 (Eidgenössisches Flugzeugwerk F+W) –, ist aber beide Male an der Komplexität eines solchen Programms gescheitert.
Selbst grosse Industrienationen stossen mit Hightech-Kampfflugzeugen mitunter an ihre Grenzen, sowohl bezüglich der technischen Komplexität wie auch des finanziellen Aufwands. Hat dann ein neues Kampfflugzeug (oder ein anderes hochmodernes Waffensystem) einmal die Serienreife erreicht, steht das Herstellerland vor der Aufgabe, die astronomischen Entwicklungskosten wenigstens zum Teil zu amortisieren. Das funktioniert nur, wenn ausser der eigenen Luftwaffe möglichst rasch auch die Verteidigungsministerien anderer Staaten als Käufer gewonnen werden können, und zwar in erster Linie Bündnispartner – aber, wenn es sich nicht vermeiden lässt, durchaus auch potenzielle Feinde. So sind bei Erscheinen dieses Buches zum Beispiel grosse Rüstungsgeschäfte Russlands mit dem NATO-Mitglied Türkei im Gang. Es geht um Luftabwehrsysteme, sozusagen das strategische Gegengewicht für die von der Türkei zuvor gekauften US-Kampfflugzeuge. Diese Konstellation scheint unlogisch, reflektiert aber durchaus die weltpolitische Realität.
Der Vorteil von Exportgeschäften dieser Art besteht darin, dass sie die Bauserie der jeweils betreffenden Flugzeuge beziehungsweise Waffensysteme vergrössern. Dadurch verbessert sich die Routine in den Fabriken, die Zahl der Fehler (welche mühsam behoben werden müssen) nimmt ab, die von Unterlieferanten hergestellten Bauteile werden günstiger, kurz: der Aufwand beziehungsweise der Preis pro Flugzeug, Panzer oder Rakete verringert sich stetig von Serie zu Serie. In den USA, wo die Effizienz staatlich vorfinanzierter Industrieprogramme besonders präzis überwacht wird, ist dies gut zu beobachten. Das Kampfflugzeug Lockheed F-35 Lightning II – einer jener vier Typen, die für die Schweiz infrage kommen – ist seit Aufnahme der Serienproduktion im Jahre 2011 je nach Version schrittweise um bis zu 60 Prozent günstiger geworden.
Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn es gelingt, nach dem Erstauftrag durch das Heimatland des Herstellers weitere Bestellungen aus anderen Ländern hereinzuholen. Deshalb stehen die Hersteller aller Kampfflugzeuge (und mit ihnen die Regierungen ihrer Heimatländer, welche die Projekte mitfinanziert haben) unter einem enormen Erfolgsdruck – und im Bann der permanenten Versuchung, einem verlockenden Geschäft mit unsauberen Methoden aller Art ein wenig nachzuhelfen. Letzteres gilt selbstverständlich nicht nur für Kampfflugzeuge, die allein schon wegen der enormen Kosten immer auf irgendeine Weise vom strengen Auge des Finanzministeriums beobachtet werden, sondern ebenso für privat finanzierte Produkte. Im Kapitel über die Mutation schweizerischer Trainingsflugzeuge zu «Kampfflugzeugen des armen Mannes» (siehe Seite 39) wird darauf zurückzukommen sein. Auch in diesem Produktsegment herrscht der Zwang zum Bau – und zum Verkauf – möglichst grosser Serien.
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