Wie kann man grandiose Arbeit leisten, ohne ein Arschloch zu sein?. Paul Woods
Denny hat überlebt. Er arbeitet immer noch in derselben Agentur, und (bislang) hat ihm auch noch niemand auch ein Härchen gekrümmt.
DAS STREBEN NACH EXZELLENZ UM JEDEN PREIS
Kreativdirektoren sind manchmal richtig schizophren, wenn es um schlechte Arbeitsbedingungen geht. Als Junior-Mitarbeiter quälten sie sich selbst oft jahrelang mit Überstunden, Wochenendarbeit und Egomanie herum, nahmen es zähneknirschend hin, dass es in unserer Branche kein Privatleben gibt – und sobald sie dann selbst Kreativdirektor sind, gehen sie über Leichen, um exzellent (und ausbeuterisch) zu arbeiten. Es ist ein Teufelskreis.
Ich weiß, wovon ich spreche. In Südafrika schuftete ich freiwillig wie ein Irrer 20 Stunden und mehr am Tag, um eine Plattform aufzubauen, die soziale Unternehmer in ärmeren Gemeinden fördert. Dieses Projekt war wichtig, und ich opferte gerne meine freie Zeit dafür. Aber ich habe leider – besonders zu Beginn meiner Laufbahn – auch viele, viele, Stunden meines »Privatlebens« für Projekte gearbeitet, die niemandem etwas brachten, am allerwenigsten mir selbst. Denn das blinde perfektionistische Streben verhindert, dass wir diejenigen Projekte, für die es sich lohnt, seine persönliche Zeit einzusetzen, von all dem Scheiß unterscheiden, den niemand braucht. Besonders kurios dabei ist: Niemand außerhalb unseres Zirkels des kreativen Wahnsinns interessiert sich überhaupt für das, was wir da machen. Bestimmt erinnern auch Sie sich noch noch an irgendeine Banner-Kampagne, für die Sie 15 Stunden am Tag gearbeitet und zwei Wochenenden ihres Privatlebens verpasst haben: Nur 0,05 % aller Leute, die diese Kampagne überhaupt wahrnehmen1, werden sie jemals anklicken. Vieles von dem, was »dringend, sofort und gleich« gemacht werden »muss«, ist am Ende Müll, den niemand braucht und der keinen wirklich interessiert. So »perfekt« der Müll auch gemacht sein mag:
UNTERSCHEIDEN SIE DIEJENIGEN PROJEKTE, FÜR DIE ES SICH LOHNT, SEINE ZEIT ZU OPFERN, VON DEM MIST, DEN KEINER BRAUCHT.
Der Slogan einer bekannten Werbeagentur lautet »The Work. The Work. The Work«. Wie ein Mantra betont dieser Slogan eine Führungskultur, in der von den Mitarbeitern erwartet wird, dass sie zu allem bereit sind, um für nahezu jede beliebige Aufgabe Spitzenleistungen zu erbringen. Erst wenn Sie einen Schritt zurücktreten, werden Sie erkennen, dass dieses Verhalten komplett verrückt ist.
Achtung! Machen Sie den »Reality Check«!
Sie helfen Unternehmen, billige Telefonpakete, kohlensäurehaltige Getränke, Schokoriegel und alle möglichen anderen nutzlosen oder ungesunden Produkte zu verkaufen. Ist es das wert, dafür Ihr Privatleben, Ihre Familie und Ihre Freunde zu verlieren?
Lange Zeit war die Antwort darauf für viele von uns ein klares Ja.
WAS HAT SICH VERÄNDERT?
Warum ist es auf einmal so wichtig, kein Arschloch mehr zu sein? Schließlich gibt es die Kreativbranche schon seit Jahrzehnten. Sie verdient jährlich Milliarden und erhält nebenbei unzählige Auszeichnungen, egal, wie toxisch sie arbeitet. Also, warum etwas ändern?
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Im Zentrum grandioser Kreativleistungen stehen grandiose Menschen – die nur dann in Ihrer Agentur bleiben werden, wenn sie glücklich sind. Im digitalen Zeitalter kennen auch Ihre besten Talente ihren Marktwert und ihre Alternativen besser als je zuvor.
GUTE LEUTE BLEIBEN NUR BEI IHNEN, WENN SIE GLÜCKLICH SIND.
GUTE UNTERNEHMENSKULTUR
SCHLECHTE UNTERNEHMENSKULTUR
STARKE KONKURRENZ DURCH TECHNOLOGIEUNTERNEHMEN
In den letzten Jahren hat das einst attraktive Agenturmodell an Exklusivität verloren. Die besten Leute wurden zunehmend durch sehr viel attraktivere Arbeitsbedingungen und lukrative Angebote ins Silicon Valley gelockt. IT-Unternehmen wie Google, Facebook und andere bieten bessere Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten und eine Vielzahl anderer Vergünstigungen. Agenturen können da nur schwer mithalten. Vor ein paar Jahren wurde mir ein sehr verlockender Job in einem großen Technologieunternehmen in San Francisco angeboten – und obwohl ich durch und durch »ein Agentur-Typ« war, zog ich den Wechsel ernsthaft in Erwägung. Ich stieg sogar in die erste Runde Job-Interviews ein und war sehr angenehm überrascht, was man »uns Kreativen« zu bieten hatte. Wäre ich nicht erst kurz zuvor mit der Familie von Europa nach New York umgezogen, hätte ich nicht gezögert, die Agenturwelt hinter mir zu lassen.
DIE KUNDENSEITE IST BELIEBTER DENN JE
Auch die Kreativabteilungen von Nicht-Technologieunternehmen wachsen. Während ich in New York auf der Agenturseite arbeitete, begegneten mir eine Menge Leute, die auf die andere Seite wechselten. Kein Wunder! Wenn es um digitale Produkte geht, ist die Kundenseite sehr attraktiv. Kreative können an Projekten detaillierter, mehr in die Tiefe gehend arbeiten, als ständig von Projekt zu Projekt zu hetzen. Und dabei bewegen sie sich auch noch häufig in nachhaltigeren Umgebungen.
WER SCHULD HAT, LIEGT AUF DER HAND
Schon in der Vergangenheit hatte die Kreativwirtschaft nicht immer den besten Ruf, was ihre Arbeitspraktiken anging. Trotzdem blieb für junge Talente der Reiz, sich zugunsten ihrer Karriere auf diese toxischen Gepflogenheiten einzulassen, hoch. Im digitalen Zeitalter ist es damit vorbei. Heute lässt es sich leicht erschließen, in welchen Positionen und in welchem Kundenkreis man auf gute oder schlechte Arbeitsbedingungen stößt. Auf Sites wie Glassdoor können Unternehmen frei und anonym bewertet werden, und alle diese Bewertungen sind jederzeit öffentlich zugänglich. Ein paar Klicks und man bekommt einen Eindruck davon, wo ein schlechtes Betriebsklima herrscht.
KREATIVE PROJEKTE SIND LANGFRISTIGER ANGELEGT DENN JE
Da die Marketingbudgets der Kundenunternehmen zunehmend in längerfristige digitale Projekte fließen, muss sich auch die Kreativbranche auf tragfähige, personell nachhaltige Modelle einrichten, weg vom traditionellen »Verheizen« der Mitarbeiter. Anders als die Erstellung von TV-Spots oder Marketingkampagnen kann der Aufbau digitaler Produkte statt Wochen Monate oder sogar Jahre dauern. Das erfordert eine völlig andere konzeptionelle Art des Denkens als die schnelle, aggressive Herangehensweise traditioneller Agenturen.
NETT SEIN ZAHLT SICH AUS
Aber lassen Sie uns an dieser Stelle doch auch mal eine Sache klarstellen. Tolle Ergebnisse bedeuten immer harte Arbeit – da gibt es keine Abkürzung. Kein Arbeiten »from nine to five«, kein ständiges Facebooksurfen, keine gemütlichen zweistündigen Mittagspausen. Das kann auch gelegentlich nächtliche Überstunden bedeuten, die den Unterschied zwischen »gut« und »großartig« ausmachen, oder spontan Wochenenden kosten, an denen kurz vor Abgabe eines langen Projekts durchgearbeitet werden muss. Aber so ungesunde Arbeitspraktiken sollten immer die Ausnahme sein, nicht die Regel. Eine Deadline ist niemals eine Entschuldigung für den Mangel an Respekt vor dem persönlichen Leben der Menschen. Und auch keine Entschuldigung dafür, dass man ein Ego von der Größe des Planeten Mars hat.
Es ist doch so: In erster Linie arbeiten Sie in der Kreativbranche. Sie sind nicht als Künstler, sondern in einem kommerziellen Beruf unterwegs.
Klar, die Arbeit macht Spaß und ist sinnvoll, aber trotzdem nichts, für das man sein Leben opfern sollte.
Ich hatte in meiner Karriere das große Glück, in einigen tollen Unternehmen mit fantastischen Arbeitsbedingungen arbeiten zu dürfen – die bis heute tolle Arbeit leisten! Glauben Sie mir, die richtige Balance zu finden, ist schwierig und erfordert auf allen Seiten viel Anstrengung. Allerdings