Geist & Leben 3/2019. Echter Verlag

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einem akademischen Abschluss Zwinglis in Wien kommt es allerdings noch nicht. Er kehrt zurück nach Basel an die Artistenfakultät, wo er anfangs 1506 zum Magister Artium promoviert wird. So ist aus dem Toggenburger Ueli, dem Bauern- und Hirtenbuben, der 22-jährige Meister Ulrich geworden, ein aufgeweckter, weltoffener junger Mann.

      Erst nach der Erlangung des Meistertitels nimmt Zwingli das Theologiestudium auf, vornehmlich bei Thomas Wyttenbach, der in Basel zu jener Zeit die scholastische Theologie der via antiqua lehrte im Sinne des Thomas von Aquin. Aus welchen Gründen Zwingli dann allerdings nach nur eineinhalb Jahren das Theologiestudium in Basel abbricht, ist nicht mehr klar ersichtlich. „Je mehr er sich der Theologie widmet“, berichtet Bullinger in seiner Chronik, „desto mehr drängte es ihn zum priesterlichen Amt um zum Volk predigen zu können.“2 Jedenfalls bewirbt sich Zwingli bei seinem Bischof, Hugo von Hohenlandenberg in Konstanz, um die Ordination, wird zum Priester geweiht und liest 1506 in Wildhaus, dem Dorf seiner Herkunft und Familie, erstmals die heilige Messe.

      Ebenfalls 22-jährig, nur ein Jahr zuvor, trat Martin Luther in Erfurt den Augustinern bei. Der eine, von Sündenlast und Höllenangst bedrückt, geht ins Kloster, der andere, weltoffen und voll Tatendrang, ins Pfarramt.

      Pfarrer in Glarus

      Im Herbst 1506 kommt Zwingli als junger Priester nach Glarus und trägt als Ortspfarrer der Gemeinde den Titel des Kilchher zuo Glaris. Glarus, der Hauptort eines der dreizehn Orte der alten Eidgenossenschaft, bestand zur damaligen Zeit aus ungefähr 136 Häusern mit rund 1300 Einwohnern. Man könnte die zehn Jahre des Glarner Pfarreramtes für Zwingli als eine Zeit des Suchens bezeichnen, ganz im Sinne, wie Papst Johannes Paul II. schrieb: „Die Suche nach dem Glauben ist selbst eine implizite Form des Glaubens“3, oder wie es Zwingli selbst erlebt: „Die Verlangen danach haben, Gott zu erkennen, denen entzieht Gott sich nicht.“4 Seinen seelsorgerlichen Verpflichtungen kommt Zwingli treu, verlässlich und von der Bevölkerung her betrachtet auch erfolgreich nach. Jedenfalls lässt man zu seinen Ehren und gleichzeitig seiner Verabschiedung auf den silbernen Messbecher Zwinglis Namen eingravieren, in Glarus noch heute zu bewundern: Calix Uly Zwingli 1516.

      Das Pfarramt insgesamt versteht und versieht Zwingli im Sinne der traditionell katholischen Frömmigkeit mit allem, was dazugehört, ohne dabei Probleme zu bekommen. Für die zahlreichen Reliquien, die in Glarus’ Besitz waren, trägt er Sorge, er führt Bittprozessionen durch um gutes Wetter, mit den Einnahmen aus einem päpstlichen Sonderablass lässt er eine Kapelle bauen, kurz: Er ist und wird geschätzt als ein guter, volksverbundener Priester.

      Innerlich allerdings treiben ihn philosophische und theologische Fragen um, die ihn im Blick auf seine Gemeindeglieder seelsorgerlich, auf Grund intensiv betriebener theologischer und philosophischer Studien aber auch persönlich beschäftigen. Er beschreibt sechs bis acht Jahre später in einer seinem Bischof in Konstanz gewidmeten, erstmals recht umfangreichen lateinischen Schrift, dem sogenannten Archeteles von 1522, wie es ihm seinerzeit ergangen, was ihn geistlich beschäftigt und wie er zu den Erkenntnissen und Erfahrungen gekommen sei, die für ihn prägend geworden sind.

      Er habe die Beobachtung und Feststellung gemacht, berichtet Zwingli rückblickend5, dass die Menschen, auch seine Leute in Glarus, selig werden und ihrer Seligkeit gewiss sein wollten. Darum bemühten sie sich, aus Angst vor Fegefeuer und Hölle, alles zu erfüllen, was die Kirche anbietet und fordert. Wer aber kann sagen – dies wird Zwingli mehr und mehr zum Problem –, dass wir als Kirche, auch ich als Pfarrer von Glarus, mit unseren Angeboten und Forderungen, wenn sie denn erfüllt werden, den Menschen die ewige Seligkeit auch garantieren können? „Wir sehen“, schreibt er bekümmert und besorgt, „wie das Menschengeschlecht sich sein ganzes Leben lang um die Erlangung der Seligkeit nach dem Tod ängstigt und sorgt, dass es aber keineswegs allenthalben am Tage liegt, auf welche Weise sie zu finden ist.“ Auf der Suche nach einer Antwort vertieft er sich einerseits in die klassische Literatur – dazu verfügt er schon damals über eine stattliche private Bibliothek –, und gleichzeitig sucht er Antwort in der Theologie. Vom Ergebnis allerdings ist er enttäuscht. Zu den einen sagt er: „Wendet man sich an die Philosophen, so herrscht unter ihnen über die Seligkeit so viel Streit, dass es jedermann verdrießt.“ Bei den andern ist die Verlegenheit noch größer: „Wendet man sich an die Christen, so gibt es dort Leute, bei denen man noch viel mehr Verworrenheit und Irrtümer findet als bei den Heiden.“ Als überaus bedenklich empfindet er, „dass die elenden Sterblichen in ihrer Selbst- und Gottvergessenheit es wagten, ihr Eigenes als Göttliches feilzubieten“ – später wird er von „menschlichen Erfindungen“ sprechen. Damit steht er vor der für ihn spirituell und persönlich immer drängender werdenden Frage, ob es denn nicht ein Kriterium gäbe, an dem man das Menschliche und das Göttliche, humana an divina, unterscheiden könne. Wie sich vor ihm schließlich nur noch Widersprüchlichkeiten auftürmen, weiß er von sich aus nicht mehr aus noch ein und seufzt – es klingt als wie ein Hilferuf: „In dieses Dilemma gestellt, wohin soll ich mich wenden – quo me vertam?“ Da nun betet er und bittet Gott, er möge ihm doch einen Ausweg zeigen, und da habe Gott zu ihm gesagt: „Du Einfältiger, warum bedenkst du nicht: ‚Des Herrn Wahrheit währt in Ewigkeit?’ Dieser Wahrheit sollst du anhangen.“

      Von da an entschließt er sich, auf seiner Suche nach einem Unterscheidungskriterium von Göttlichem und Menschlichem sich nur noch an das zu halten, „was aus dem Munde Gottes kommt (Mt 4,4)“. In humanistischer Weise geht er zurück zu den Quellen, orientiert sich theologisch am Neuen Testament und macht dabei die Erfahrung, wie er mehr und mehr aus der Dunkelheit des Dilemmas oder eben der menschlichen Selbst- und Gottvergessenheit ans Licht kommt. „Alles wird im Lichte klar werden“ liest er im Epheserbrief (Eph 5,13), und wenn er fragt: „In welchem Licht?“, sagt ihm Christus im Evangelium: „Ich bin das Licht der Welt (Joh 8,12).“ Er erlebt es als Gebetserhörung, zu erkennen, woran man das Göttliche vom Menschlichem unterscheiden kann, an Christus nämlich, der selber beides ist, wahrer Gott und wahrer Mensch, divinus et humanus. Ihn bezeichnet er nunmehr als den Prüfstein zur „Unterscheidung der Geister, ob sie aus Gott sind“ (1 Joh 4,1), und erklärt, er werde, „nachdem ich in dieser Weise meine Vergleichungen angestellt habe“, künftig alle Lehrmeinungen, omnia doctrina, die philosophischen und die theologischen, an diesem Stein überprüfen.

      Für Zwinglis spirituellen Werdegang ist es bezeichnend, dass bei ihm theologische Arbeit und spirituelle Erfahrung ineinandergreifen. Er entdeckt und erlebt über der Lektüre der Heiligen Schrift Christus als das von Gott in die Welt gesandte Licht – für ihn ein beglückendes Widerfahrnis. Die theologische Schlussfolgerung, die er daraus zieht, besteht für ihn nun darin, dass er Christus als das Licht, in dem alles klar wird, und die Heilige Schrift miteinander verbindet und damit auch die Schrift, in der Christus als das Klarheit spendende Licht uns entgegenleuchtet, als Prüfstein bezeichnet (lapis evangelicus)6. Sie soll fortan für alle philosophischen und theologischen Debatten und kirchlichen Auseinandersetzungen die Grundlage bilden und „allein Führerin und Lehrerin sein“.7 Die innere Zusammengehörigkeit von Christologie und Schriftprinzip, will Zwingli im Rückblick sagen, ist es, die ihn aus dem Dilemma der theologischen und philosophischen Widersprüchlichkeiten erlöst und ihn die Antwort hat finden lassen auf die ihn damals drängende Frage: „Wohin soll ich mich wenden?“

      Leutpriester in Einsiedeln

      Waren die 10 Jahre Pfarramt in Glarus eine Zeit des Suchens, so wird für Zwingli Einsiedeln zur Zeit des Findens. Zum Kloster Einsiedeln gehörte damals eine Pfarrei von rund 1500 Einwohnern. Weil sich Zwingli anders als in Glarus kaum mehr politisch hervortut und als Leutpriester für die Pilger nicht ausgelastet ist, findet er nebst Gottesdienst und Seelsorge ausreichend Zeit für persönliche Studien. Einsiedeln wird für ihn zu einer Zeit der Vertiefung dessen, was sich in Glarus abzuzeichnen begonnen hatte. Das Prinzip der Heiligen Schrift als Prüfstein bewährt sich ihm in der Auseinandersetzung mit der scholastischen Theologie. Ebenso findet er die von ihm erkannte Verbindung des sola scriptura mit dem solus Christus bestätigt in der Frage der Fürbitte der Heiligen, mit der er sich intensiver als bisher zu beschäftigen beginnt.

      Vom Bibelgebrauch zum Schriftprinzip

      In Glarus hatte Zwingli damit begonnen, Griechisch zu lernen. Mittlerweile


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