Geist & Leben 3/2019. Echter Verlag

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die Vorgänger-Fassungen ist, nimmt die Trias hier nicht weniger Raum ein – ein Indiz für die Bedeutung, die Frère Roger ihr beigemessen hat. Bereits in den Abschnitten, die der „Kleinen Quelle“ vorgeschaltet sind, finden sich inhaltliche Bezüge zu allen drei Aspekten. So wird unter der Überschrift „Würden wir die Freude verlieren (…)“ über die Konsequenzen sinniert, wenn aus der Kirche der Geist der Freude verschwände.9 In der „Kleinen Quelle“ finden sich in dem für Frère Roger typischen assoziativen Stil weitere Gedanken über die Freude; sie zählt zu den „Perlen des Evangeliums“ und kann durch die Gegenwart des Auferstandenen „Abgründe der Angst überwinden“10. Über die Einfachheit heißt es in den „Quellen von Taizé“: „Denke daran, dass dich ein Leben in seiner Nachfolge unweigerlich zum Miteinander-Teilen und zu einem einfachen Lebensstil führt.“11 „Die kleine Quelle“ verpflichtet die Communauté dann darauf, ausschließlich vom Ertrag der Arbeit zu leben und „keine Spenden, Erbschaften oder Geschenke anzunehmen; nichts, absolut nichts. Der Mut, sich nicht durch Rücklagen abzusichern, keine Angst vor möglicher Armut zu haben, verleiht Frieden und Kraft.“12 Über die Barmherzigkeit heißt es dort: „Würdest du die Barmherzigkeit verlieren, hättest du alles verloren“, um direkt anschließend zu fragen: „Lässt du dich ergreifen von diesem Höchstmaß der Liebe: bis zu siebenmal zu vergeben, also immer?“13 Vorher hatten sich „Die Quellen von Taizé“ unter der Überschrift „Mit einem versöhnten Herzen“ bereits ausführlich dem Thema der Vergebung gewidmet.14

      Spurensuche: Die Ursprünge der Trias

      Wenn für Frère Roger und die von ihm gegründete Communauté die Trias von Freude, Einfachheit und Barmherzigkeit so zentral ist, dann stellt sich die Frage: Ist sie seine genuine Erfindung oder hat er sie anderswo gefunden? Wann ist er darauf gestoßen?15 Um die Antwort vorwegzunehmen: Er hat sie bereits Ende der 30er Jahre von der geistlichen Gemeinschaft der Veilleurs („Wächter“) und ihrem Gründer Wilfred Monod übernommen und in seine Spiritualität integriert.

      Während des Studiums, das Roger Schutz zwischen 1936 und 1940 hauptsächlich an der evangelischen Theologischen Hochschule in Lausanne absolviert hatte, kamen er und seine Kommilitonen immer wieder auf eine geistliche Vereinsamung zu sprechen, die sie trotz eigener Familie für die Zeit nach dem Studium fürchteten. Um dem etwas entgegenzusetzen, machten sie sich an die Gründung einer „Gemeinschaft intellektueller Christen“; mit dem Namen wollten sie einen Gegenakzent zu einer anti-intellektualistischen Geringschätzung der menschlichen Vernunft setzen, wie sie in der damaligen Frömmigkeit und Theologie nicht selten anzutreffen war. Für diese Gemeinschaft entwirft Roger Schutz im Jahr 1939 skizzenartig eine geistliche Grundlage. Ihr geistliches Leitmotiv sollte das benediktinisch fundierte und christologisch ausgerichtete Ora et labora ut regnet sein: „bete und arbeite, damit Er herrsche“. Am Ende nennt er fünf Ziele, denen die Mitglieder sich verpflichtet wissen. Sie streben danach,

      1. Arbeit und Erholung täglich einen geistlichen Rahmen zu geben,

      2. sich vom Geist der Seligpreisungen und der Freude des Evangeliums durchdringen zu lassen,

      3. stets danach zu trachten, den persönlichen Lebensstil zu vereinfachen,

      4. in allem die innere Stille zu wahren und

      5. das eigene Handeln auf die Berufung der Gemeinschaft auszurichten.

      Auch wenn Roger Schutz zu dieser Zeit noch keine monastische Gemeinschaft forciert: Konturen der Spiritualität der späteren Brüdergemeinschaft sind hier bereits erkennbar, darunter auch in Nr. 2 die Bereitschaft, ein Leben aus dem Geist der Seligpreisungen zu führen und sich von der Freude des Evangeliums durchdringen zu lassen.

      Im Herbst des darauffolgenden Jahres 1940 lässt sich Roger Schutz zunächst allein in Taizé nieder. Mit Datum vom 1. Oktober 1941 veröffentlicht er eine achtzehnseitige Broschüre mit dem Titel Notes explicatives, „Erläuternde Anmerkungen“. Nach wie vor steht ihm eine „Gemeinschaft intellektueller Christen“ vor Augen, „die in der Welt lebt, eine Gemeinschaft, in der jedes Glied sich bindet aufgrund seines Glaubens an Christus und in der Befolgung bestimmter Regeln“16. Bemerkenswert ist ihre ökumenische Ausrichtung: Sie will sich mit der „Spaltung der weltweiten Kirche“ nicht abfinden und eine „Heimstätte der Ökumene“ sein.17 Neben anderen geistlichen Häusern wird auch die Eröffnung eines „Hauses von Cluny“ angekündigt, das für geistliche Einkehrtage zur Verfügung stehen soll.18

      Obwohl Roger Schutz in die Notes explicatives persönliche Erfahrungen mit einfließen lässt, lässt er seinen Namen außen vor. Als Autor wird die Communauté von Cluny genannt – ein dezenter Hinweis auf das cluniazenisch-benediktinische Mönchtum, dessen Zentrum Cluny nur etwa 10 Kilometer von Taizé entfernt liegt.19 Für einen reformierten Theologen war es damals alles andere als selbstverständlich, sich – wenn auch behutsam – in die monastische Tradition der Kirche zu stellen, fürchtete man doch eine Form der Werkgerechtigkeit und eine Beeinträchtigung der evangelischen Freiheit. Für Roger Schutz schließen sich dagegen ein monastisch inspiriertes Leben und evangelische Freiheit keineswegs aus.20 Ihm war schon früh klar, dass ein geistliches Leben – erst recht in einer wie auch immer gearteten Gemeinschaft – einige wenige Bezugspunkte braucht, an denen man sich immer wieder neu orientieren kann: „Ich wollte kein System ausarbeiten; vielmehr hoffte ich, anhand einiger Worte, vor allem aus den Seligpreisungen, ein wenig zu einer inneren Einheit zu finden. Die Seligpreisungen sprachen mich am meisten an.“21 So sprechen die „Erläuternden Anmerkungen“ wie schon die oben erwähnte geistliche Grundlage aus dem Jahr 1939 davon, dass Arbeit und Erholung aus dem Wort Gottes ihr Leben empfangen sollen und dass – ein Kernanliegen der kleinen Abhandlung – in allem die innere Stille zu wahren sei.22 Drittens heißt es dort: „Lass dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit. Freude, verbunden mit der christlichen Freiheit und den Verheißungen des Evangeliums. Barmherzigkeit in einer Welt, in der der Hass immer stärker wird. Einfachheit des Lebensstils, als tiefe innere Haltung.“23

      In einer Fußnote deutet Roger Schutz an, dass er sich mit dieser Trias in der Tradition der geistlichen Gemeinschaft der Veilleurs („Wächter“) sieht. Deren Name leitet sich aus dem Bibelwort ab: „Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt“ (Lk 12,37). Die Veilleurs wurden im Jahr 1923 vom evangelischen Pastor Wilfred Monod und seinem Sohn Théodore in Frankreich als eine Art Dritter Orden gegründet; sie stehen damit ihrerseits wiederum in einer franziskanischen Tradition. Im Jahr 1938 ist Wilfred Monods Autobiographie erschienen, die Roger Schutz im darauf folgenden Frühsommer in einer Studentenzeitschrift zustimmend besprochen hat.24 Es liegt auf der Hand, dass Wilfred Monod (neben anderen Personen und Faktoren) unbewusst dazu beigetragen hat, dass Roger Schutz zu der ihm eigenen originellen Berufung gefunden hat. Denn geistliche Grundanliegen der Veilleurs konvergieren mit dem Selbstverständnis und der Zielsetzung der Communauté von Taizé: Im Zentrum ihrer Spiritualität stehen die drei Worte „Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit“. Sie wollen sich „sich gegenseitig darin unterstützen, Jesus Christus im Geist der Seligpreisungen treu nachzufolgen“25. In allem sei die innere Stille zu bewahren, und „Gebet und Arbeit, Kontemplation und Aktion, (sind) im Geist der Seligpreisungen zu einer Einheit zu bringen“26. Ihre Mitglieder, die aus verschiedenen Konfessionen stammen, sollen sich auch sozial engagieren. Ein festes Gebetsformular haben die Veilleurs indes nicht, doch soll sich jeder dreimal am Tag Zeit für eine kurze innere Einkehr und das Gebet nehmen.

      Kennzeichen eines Pontifikats

      Auch die Verkündigung von Papst Franziskus orientiert sich wesentlich an der Freude, der Einfachheit und der Barmherzigkeit. Dies zeigt schon die Namenswahl. Der Patron des ersten Jesuitenpapstes ist Franz von Assisi, der die drei Aspekte gewissermaßen personifiziert. Und wie Franz von Assisi die Armut radikal gelebt hat, will auch Papst Franziskus eine „arme Kirche für die Armen“27. Den finanziellen Spielraum der päpstlichen Almosenkasse hat er deutlich erhöht. Er selbst praktiziert einen einfachen Lebensstil: Nach seiner Wahl hat er nicht das Päpstliche Palais bezogen; stattdessen bewohnt er ein schlichtes Appartement im vatikanischen


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