Geist & Leben 3/2019. Echter Verlag

Geist & Leben 3/2019 - Echter Verlag


Скачать книгу
und Theologie, aber auch den Glauben des/der Einzelnen in die Pflicht, Gott und Mensch streng zu unterscheiden und nicht von den Menschen zu erwarten, was Gott allein leisten kann, oder gar dem Menschen zuzuschreiben, was wir allein Gott zu verdanken haben. „Du sollst dein Herz niemandem mit Zuversicht zuwenden als Gott allein.“19 Gleichzeitig ist das solus Christus die Einladung an den Menschen zum Gottvertrauen, von Gott und seiner Güte und Barmherzigkeit alles zu erwarten, in aller Not an ihn sich zu wenden, und daran zu glauben und dabei auch erfahren zu dürfen: „Gott ist das höchste Gut. Von ihm kommt alles Gute.“20

      1 G. Pico della Mirandola, De hominis digninate. Übers. v. N. Baumgarten. Hrsg. v. A. Buck. Hamburg 1990, 7.

      2 H. Bullinger, Reformationsgeschichte I, 3.

      3 Johannes Paul II., Die Schwelle der Hoffnung überschreiten. Mailand – Hamburg 1994, 219.

      4 H. Zwingli, Sämtliche Werke (Corpus Reformatorum 88–108). Hrsg. v. E. Egli u.a. Berlin – Leipzig – Zürich 1905–2013, hier: XVII 178,15 f. (im Folgenden abgekürzt: Z).

      5 Das Selbstzeugnis findet sich in Z I 259,38–261,14.

      6 Z I 319,7.

      7 Z I 262,19 f.

      8 Das Selbstzeugnis findet sich in Z I 379,21–30 und übersetzt in H. Zwingli, Schriften. Hrsg. v. T. Brunnschweiler / S. Lutz. Zürich 1995. 4 Bände. I,149 (im Folgenden abgekürzt: ZS).

      9 „Zanggeren“ sind jene Theologen, die nach Zwinglis Ansicht nichts Besseres zu tun wüssten, als sich über die Bibel zu streiten.

      10 Z I 379,21–30.

      11 Z VII 290,15 f.

      12 Z IX 111,10–13.

      13 Z V 815,6.

      14 Z XVII 223,12.

      15 Z XIII 507,9.

      16 Das Selbstzeugnis findet sich in Z II 217,5–23 und übersetzt in ZS II 254–255.

      17 Z XVIII 218,7–9.

      18 Z II 457,7–9; ZS II 498.

      19 Z II 191,24–26; ZS II 226.

      20 Z II 224,8; ZS II 262. Vgl. weiterführende Literatur: S. Lutz, Ulrich Zwinglis Spiritualität. Ein Beispiel reformierter Frömmigkeit. Zürich 2018; P. Opitz, Ulrich Zwingli. Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus. Zürich 2015; A. Ziegler SJ, Zwingli. Katholisch gesehen, ökumenisch befragt. Zürich 1984.

       Philipp Müller | Mainz

      geb. 1960, Priester, Professor für Pastoraltheologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

      [email protected]

      Brüder im Geiste

       Papst Franziskus und Frère Roger

      Einmal im Jahr empfängt der Papst im Vatikan den Prior der ökumenischen Brüdergemeinschaft von Taizé. Bei diesen Begegnungen tragen beide ein weißes Gewand, freilich mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt: Während für den Papst die Farbe Weiß ein Alleinstellungsmerkmal ist, verbindet die Brüder von Taizé das weiße Gewand; sie tragen es bei den gemeinsamen Gebetszeiten, um Gott zu loben und zu signalisieren, „dass wir Christus, den neuen Menschen, ‚angezogen‘ haben“1. Auch was das Aufgabenprofil und das Maß der Verantwortung betrifft, sind das Amt des Bischofs von Rom und das des Priors von Taizé nicht miteinander zu vergleichen. Doch in spiritueller Hinsicht sind zwei konkrete Personen, Papst Franziskus (* 1936) und Frère Roger Schutz (1915–2005), der Gründer der Communauté von Taizé, Brüder im Geiste – trotz unterschiedlicher kulturell-kirchlicher Prägung, verschiedenen Charakters und Temperaments. Persönlich sind sie sich nie begegnet. Gleichwohl lässt sich die spirituelle Gleichförmigkeit beider anhand der Trias „Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit“ aufzeigen. Sie spielt in der von Frère Roger verfassten und immer wieder überarbeiteten Regel von Taizé eine Schlüsselrolle; in ihr lässt sich aber ebenso das spirituelle Profil des jetzigen Papstes bündeln.

      Die Regel von Taizé: Leben im Geist der Seligpreisungen

      Am Ostermorgen des Jahres 1949 haben sich in der romanischen Dorfkirche von Taizé die ersten sieben Brüder zu einem lebenslangen Engagement in der Communauté verpflichtet. Dreieinhalb Jahre später macht sich Frère Roger im Winter 1952/53 daran, die geistliche Grundlage der Brüdergemeinschaft niederzuschreiben. Damit will er das Gemeinschaftsleben keineswegs en detail regeln; doch bedarf es seines Erachtens eines Minimums, ohne das „keine Gemeinschaft in Christus entstehen kann, die Gott einmütig dienen will“2. Zu den unverzichtbaren Fixpunkten gemeinschaftlichen Zusammenlebens, auf die die Regel eingeht, zählen das Gebet, der Bruderrat, Zölibat und Gütergemeinschaft sowie das von ihm selbst bekleidete Amt des Priors, den er als „Diener der Gemeinschaft“ versteht.

      Etwa in der Mitte dieser Regel finden sich drei Überschriften, die Weisungen für den Einzelnen formulieren. In dem Maße, wie sich jeder der Brüder darauf einlässt und sie befolgt, wirkt sich dies auf das geistliche Gepräge der ganzen Gemeinschaft positiv aus. Die erste Überschrift zielt darauf, den Tagesablauf unter ein geistliches Vorzeichen zu stellen: „Mögen während des Tages deine Arbeit und Erholung aus dem Wort Gottes ihr Leben empfangen.“3 Die ignatianische Spiritualität klingt an, wenn es anschließend über das Beten und Meditieren heißt: „Nicht viel lesen, sondern bei dem verweilen, was dich anspricht.“4 Die zweite Überschrift lautet: „Wahre in allem die innere Stille, um in Christus zu leben.“5 Die Regel führt aus: Zwar gebe es im Menschen die Tendenz, lieber die Zerstreuung zu suchen; gleichwohl sei die innere Stille unverzichtbar, um Christus beständig alles anvertrauen zu können; zudem bewirke sie, dass widersprüchliche Stimmen im Innern des Menschen zur Ruhe kommen und quälende Sorgen nicht überhandnehmen. In der dritten Überschrift heißt es schließlich: „Lass dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit.“6 Auf jeden der drei Begriffe geht die Regel ein: Die Freude gründe zutiefst in Gottes Barmherzigkeit; deshalb sei sie zuallererst innerlich. Sie drücke sich niemals durch alberne Scherze, durch Ironie, „die das Lächeln zur Grimasse verzerrt“ oder gar durch Spott („ein hinterhältiges Gift für ein Leben in Gemeinschaft“) aus. Um zur vollkommenen Freude zu gelangen, nennt Frère Roger mehrere Zugangswege: ein Verzicht aus stiller Liebe, der die ganze Person einfordert7; ein Sich-Verschenken, ohne Dank und Gegenleistung zu erwarten und schließlich: sich den Nöten und dem Leid eines anderen auszusetzen. Als nächstes thematisiert Frère Roger die Einfachheit, die aus einer Haltung der Verfügbarkeit sowie der Treue sich selbst gegenüber resultiert. Auffallenderweise ist hier von einem einfachen Lebensstil keine Rede; Frère Roger scheint ihn schlichtweg vorauszusetzen. Unter dem Stichwort Barmherzigkeit erinnert der Prior von Taizé an die Weisung Jesu, sich mit seinem Bruder zu versöhnen und ihm stets aufs Neue vergeben zu wollen (Mt 18,22); dies schließt die Bereitschaft mit ein, ihn gegebenenfalls unter vier Augen „mit der Sanftmut Christi“ zurechtzuweisen. Für eine evangelische Kommunität überraschend wird gegen Ende dieses Abschnitts die Beichte stark gemacht; besonders in der Lossprechung dürfe ein Bruder „die Freude einer Versöhnung“ immer wieder aufs Neue erfahren.

      Überarbeitungen der Regel von Taizé

      Frère Roger hat die Regel von Taizé immer wieder überarbeitet.8 In den 70er Jahren hat er sie vereinfacht und dabei auch, um ein legalistisches Missverständnis zu vermeiden, den Begriff „Regel“ relativiert. In einem Tagebucheintrag vom April 1974 vermerkt er, sie sei keine Regel im herkömmlichen Sinn, sondern wolle der Communauté lediglich einen Weg weisen, „um ein ‚Gleichnis der Gemeinschaft‘ zu leben“. Im Jahr 1990 hat er den Text gänzlich neu gefasst. 2001 wurde sie ein letztes Mal überarbeitet. Die jetzige Fassung der Regel ist in Band 1 seiner Gesammelten Schriften nun unter der Überschrift „Die kleine Quelle von Taizé“ (S. 34–46) in „Die Quellen von Taizé“ (S. 9–47) integriert und stellt gewissermaßen


Скачать книгу