Dem Logos zuhören. Udo Stenz

Dem Logos zuhören - Udo Stenz


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       Zum Geleit

      In der Kirche stehen die Zeichen auf Dialog. Die Lebendigkeit des Glaubens und die Vitalität unserer Gemeinden und Gemeinschaften werden in Zukunft nicht zuletzt davon abhängen, wie wir auf allen Ebenen miteinander ins Gespräch kommen und wie wir das Gespräch mit jenen suchen, die scheinbar draußen sind. Die Dialogkultur, die es dabei zu entwickeln und zu verfeinern gilt, ist nicht nur eine bürgerliche Tugend, sondern bedarf auch einer tiefen theologischen Verwurzelung.

      Pfarrer Dr. Udo Stenz leistet hierzu mit der vorliegenden Studie einen wertvollen Beitrag. Ihr Roter Faden ist die Einsicht, dass in allen Bereichen rechtes Miteinandersprechen ein achtsames Hören voraussetzt – ein Hören nicht nur aufeinander, sondern vor allem ein Hören auf eine Mitte, auf das Wort Gottes selbst, auf den Logos. Der Autor hat sich auf die Suche gemacht und in aktuellen Denkrichtungen von Philosophie und Theologie die Bestätigung gefunden, dass Gott selbst in einem unter Menschen geführten Dialog zu Wort kommen kann. Als Bischof von Speyer freut es mich ganz besonders, dass auch das Denken der hl. Edith Stein hierbei gewürdigt und rezipiert wird, die in unserem Bistum in Taufe und Firmung Christ wurde und als Lehrerin gewirkt hat.

      Aus verschiedenen Ansätzen modelliert Pfarrer Stenz ein Verständnis des Dialogs, bei dem es zuvorderst darum geht, Beziehung lebendig werden zu lassen und zu fördern. Daraus entsteht kein in sich geschlossenes System; die Studie lässt vielmehr Raum, selbst kritisch-kreativ weiterzudenken, und erweist sich dabei als ein hilfreicher Leitfaden für jede Art von Dialog.

      Ich kann deshalb nur begrüßen, dass Pfarrer Udo Stenz seine Forschungen und Überlegungen, die durchaus als richtungsweisend und gewinnbringend bezeichnet werden dürfen, hiermit allgemein zugänglich macht.

       + Dr. Karl-Heinz Wiesemann

       Bischof von Speyer

       E I N L E I T U N G

      Diese Feststellung kann in einem wörtlichen und in einem übertragenen Sinn verstanden werden. Im wörtlichen Sinne bezeichnet sie die Tatsache, dass der Mensch stets in Kommunikationen lebt, die sehr häufig als Dialog bezeichnet werden. Am ehesten denkt man dabei an das Gespräch mit einem oder mehreren anderen Menschen, das unterschiedliche Grade von Alltäglichkeit, Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit haben kann. Es kommt entweder zu einem Konsens oder zu einem Dissens. Doch auch mit technischen Geräten führt man Dialoge, etwa bei der Bedienung von Computerprogrammen, die sich scheinbar immer wieder in Meldungen der Absichten des Anwenders vergewissern und ihn zu Eingaben oder Mausklicks bewegen. Mittlerweile sind Autowerkstätten dazu übergegangen, die Überprüfung von Fahrzeugen und die Fehlerdiagnose als Dialog zu bezeichnen. Sie werden mit Geräten durchgeführt, die einen Impuls an den Bordcomputer des Fahrzeugs senden, welcher darauf antwortet. Auf literarischem Gebiet steht Dialog für eine literarische Gattung. Eine nicht zu übersehende Zahl von Schriftstellern hat sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder einer verschriftlichten Gesprächsform bedient, um ihre Aussageabsichten darzulegen, indem sie sie anhand von Rede und Gegenrede erarbeitete. Dialog ist des Weiteren ein beliebtes rhetorisches Mittel, um in einer gegenüber einem Monolog lockereren und ansprechenderen Form Gedanken zu entwickeln. Dieser kurze Überblick zeigt, dass das Begriffsverständnis von Dialog sehr vielfältig ist: Dialog ist in aller Munde, jeder führt ihn. Das bedeutet nicht, dass jeder darunter dasselbe versteht oder dass die vielen Dialoge gleich aussehen.

      Das große Spektrum, Dialog zu verstehen, fließt ein in die weitere Auslegung der eingangs erhobenen These, Dialog sei in aller Munde. Diese besteht in der Einsicht und der Forderung, dass Dialog stattfinden müsse. Der Mensch kann und darf sich dem Dialog nicht entziehen. Dialog zu führen, dialogisch zu leben: das sind Grundforderungen der Verhaltensweise, an denen niemand so leicht vorbeikommt. Dialogfähigkeit ist ein allenthalben als positiv anerkannter Charakterzug eines Menschen. Das gilt z. B. dann, wenn er Leitungsgewalt ausübt und anderen etwas zu sagen hat. Es geht dabei darum, den anderen zu Wort kommen zu lassen und ihn nicht einseitig zu befehligen. Dahinter steht offenkundig die Einsicht, dass der einzelne Mensch fast immer in mannigfaltigen und wechselseitigen Zusammenhängen steht, die er in unterschiedlichem Maß und Gewicht selbst prägt, die aber ihrerseits auch ihn prägen. Und dahinter steckt auch das Verlangen, dass Menschen einander in diesen Zusammenhängen ohne das begegnen, was im weiteren Sinne als Gewalt bezeichnet werden kann1. „Dialog“ und das Adjektiv „dialogisch“ kennzeichnen eine Kultur und eine Geisteshaltung, die die Gemeinschaft, die soziale Offenheit gegenüber einer individuellen Selbstgenügsamkeit hervorhebt.

      Es liegt auf der Hand, dass die Forderung nach Dialog genau so vielfältig verstehbar ist, wie der Begriff selbst Bedeutungen hat. Diese Vielfalt zeigt einerseits eine positive Entwicklung an, die mit der zunehmenden Dialogisierung der Gesellschaft und Kultur einhergeht; andererseits bildet sie aber auch den Nährboden für Missverständnisse. Häufig redet man aneinander vorbei; dies ist ein aus dem Alltag hinlänglich bekanntes Grundproblem menschlicher Kommunikation und gilt auch für das Sprechen über das Sprechen, den Dialog. Bisweilen treten Konflikte auf. Soweit diese auf Missverständnissen beruhen, würde ihnen ein gutes Stück an Schärfe genommen, legte man die Unterschiede im Begriffsverständnis offen und einigte sich auf jeweils eines.

      Auch die Kirche und die Theologie sind von dieser Problemlage im Bereich des Dialogs betroffen. Es wird verlangt, in Dialog zu treten, dialogisch zu leben2. Dabei sind ganz unterschiedliche Meinungen in Umlauf, wie dies zu verstehen ist. Der frühere Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König (1905 – 2004), stellte hierzu fest,

      „dass das Wort Dialog bereits so abgenutzt ist – es ist quasi ausgebrannt und scheint heutzutage eine Art Schlagwort geworden zu sein. Ich glaube, man müsste sehr vorsichtig erklären, was echter Dialog bedeutet, nämlich indem man sich gegenseitig befragt und vermeintliche Wahrheiten abbaut, um näher an die Wahrheit heranzukommen.“3

      In diesem Wort deutet sich neben der Diagnose zum Problem des Verständnisses von Dialog bereits die Therapie an: Alles muss daran gesetzt werden, im Dialog an die Wahrheit heranzukommen.

      Für die Kirche erscheint dies in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen wird der Blick nach innen gelenkt. Dialog kann hier für eine Form des Umgangs der Glieder der Kirche miteinander stehen, die das gemeinsame Sein in der Wahrheit Jesu Christi immer mehr verwirklichen und vertiefen möchte. Im Rahmen des kirchlichen Selbstverständnisses als Sakrament des Heils für die Welt4 rückt auch der Dialog in den Bereich der Sakramentalität der Kirche und wird sogar als Teil derselben angesehen5. Damit wird zweitens der Blick nach außen gelenkt. Die Kirche tritt in Kontakt zu den Anderen, die nicht zur sichtbaren Kirche gehören, weil sie entweder einen anderen oder keinen Glauben haben. Die erste Perspektive stellt an den Dialog insbesondere die Anforderung, eine pragmatische, faire und offene Weise des Umgangs miteinander auf der gemeinsamen Grundlage des christlichen Glaubens zu sein. Insbesondere sind auftretende Konflikte möglichst zu lösen und Dissense zu beseitigen. Im Allgemeinen nennt man dieses Gespräch auch Diskurs.

      Die zweite Perspektive indessen kann etwas tiefer gehen. Mit einem Dialogpartner, der nicht auf derselben Grundlage im Glauben steht, gestaltet sich ein Dialog anders, insofern er nicht nur pragmatische Fragestellungen aufwirft und beantwortet, sondern nach der Wahrheit strebt, die nicht ohne Weiteres von allen als die gleiche anerkannt wird. Während im Bereich der Philosophie der Dialog ein wichtiges und anerkanntes Mittel zur Erkenntnis und zur Begründung von Wahrheit ist, weil er auf der Grundlage der Vernunft geführt wird, scheint dies für die Theologie zunächst nicht in diesem Umfang zuzutreffen6. Denn in der Theologie ist die Offenbarung der Ort der Wahrheit; an ihr kann eine gemeinsame Feststellung weder etwas ändern, noch kann ein Dialog dafür offen oder gar konstitutiv sein7. Deswegen stellt sich die Frage, ob die im Untertitel dieser Studie gebrauchte Formulierung „Theologie des Dialogs“ eine contradictio in adiecto darstellt, weil Theologie und Dialog einander im Grunde ausschließen. Denn Theologie beschäftigt sich mit Gott und seiner Offenbarung.


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