Dem Logos zuhören. Udo Stenz

Dem Logos zuhören - Udo Stenz


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Menschen so darzustellen, dass sie Relevanz für sein Leben entwickelt. Die Reichweite menschlichen Sprechens und Sich-Verständigens und damit auch des Dialogs erscheint geringer. Verständigung setzt Verstehen voraus; und so spitzt sich gerade auch für den Dialog die Problematik zu, wie, in welchem Rahmen, wodurch usw. die genannten religiösen Inhalte, die in den Dialog eingebracht werden sollen, verstehbar sind, verstanden werden und im Zusammenhang mit dem Verstehen ins Wort gefasst werden können. Die Problematik menschlichen Denkens und mehr noch menschlicher Sprache und menschlichen Sprechens tritt spätestens dort zutage, wo es um Gegenstände geht, die sich als göttlich oder transzendent verstehen und damit der menschlichen Verfügung überhaupt entzogen bleiben. Wenn schon das Erkennen Stückwerk ist (vgl. 1 Kor 13,9) oder wenn jemand eine Freude an Gott empfindet, der, wie Cassiodor (485 – 580) sagt, „die Sprache nicht gewachsen ist“8 und die er damit gar nicht erst in Worte zu fassen vermag – wie will man sich dann mit anderen darüber in einer Weise verständigen, die Verbindlichkeit beanspruchen kann?

      Wenn auch der Dialog allein keine Theologie konstituieren kann, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass die Theologie ein neues Verständnis von Dialog erarbeitet, das über die herkömmlichen Verständnisweisen des Dialogs hinausgeht und es ermöglicht, den Dialog theologisch von innen her zu erleuchten und neu zu begründen. Gesucht wird also ein Verständnis von Dialog, das einen Raum bietet, in dem Gott zur Sprache kommen kann. Die Heilige Schrift bezeugt, dass dies möglich ist. An einigen Stellen geht es in ihr um das Wort Gottes im Menschenwort.

      So berichtet z. B. Jer 38,20 von dem Propheten Jeremia, er habe König Zidkija den Rat gegeben, sich den Heerführern des Königs von Babel zu stellen, und auf dessen Zögern versichert: „Man wird dich nicht ausliefern. Hör doch auf die Stimme des Herrn in meiner Rede! Dann geht es dir gut, und dein Leben bleibt erhalten.“ Der hl. Paulus schreibt in 1 Thess 2,13: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam.“

      Ein Verständnis also, dass Gott selbst sich in das Gespräch der Menschen hinein ausspricht, dass die Menschen also im Miteinander-Sprechen Gott selbst hören, könnte in der Tat ein neues Licht auf den Dialog werfen, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche im interreligiösen und interkulturellen Dialog.

      Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., (geb. 1927), hat vor einigen Jahren im Gespräch mit der „Katholischen Integrierten Gemeinde“, zu deren theologischen Hauptanliegen ein vertieftes Gespräch mit dem Judentum gehört, einen Vorschlag zum Verständnis des interreligiösen Dialogs gemacht, der sich von der Theologie her versteht. Er formulierte den Wunsch, dass

      „der Dialog der Religionen […] immer mehr zu einem Zuhören auf den Logos werden“ solle, „der uns die Einheit mitten in unseren Trennungen und Widersprüchen zeigt“9.

      Dieser in Form eines Wunsches geäußerte Vorschlag regt zu der Frage an, wie dies geschehen kann. Diese Frage geht in zwei Richtungen: Erstens fragt sie nach der angemessenen Form des Dialogs als Kommunikation zwischen Menschen. Das von Ratzinger angeregte Verständnis von Dialog nennt neben den Dialogpartnern den Logos als eine Wirklichkeit, die mit einer eigenen teilnehmerischen Qualität als eine Art „Drittes“ hinzutritt. Daraus ergibt sich, dass Dialog hier gar nicht primär mit dem Schwerpunkt des Sprechens oder eines sonstigen aktiven Beitrags charakterisiert wird, sondern vom Zuhören her, also zunächst einmal nichts sagend, sondern passiv: empfangend. Zweitens fragt Ratzingers Vorschlag nach den Möglichkeiten, die innerhalb und außerhalb der Kirche und des Christentums bestehen, dem einen Logos zuzuhören.

      Dabei greift er zurück auf Nicolaus Cusanus’ (eigentlich Nikolaus v. Kues, 1401 -1464) Schrift De pace fidei10 (1453). Dieser beschreibt darin eine Art Konzil, das im Himmel um das göttliche Wort, also den Logos herum, stattfindet. Vor ihm versammeln sich die „bedeutsamsten Männer der Welt“11, um herauszufinden, wie die eine Wahrheit mit der Verschiedenheit der Religionen und Bräuchen in Zusammenhang gebracht werden könne. Sie hören dem Logos zu, der ihnen verständlich macht, dass die Wahrheit nur eine ist, sich aber aufgrund des freien Willens der Menschen in unterschiedlichen Bräuchen und Religionen ausdrückt. Die Verschiedenheit der Religionen sei aber auf den einen wahren Glauben zurückzuführen, so wie die Weisheit nur eine sei und einen Ursprung habe.

      Das Interesse, aus dem Cusanus sich die Mühe macht, in der ihm eigenen dialektischen Art die Spannung zwischen Einheit und Vielfalt theologisch zu erläutern, wird in der Forschung nicht einheitlich gesehen. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, der Kardinal habe vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Spannungen im Mittelmeerraum aufzeigen wollen, dass der Friede gerade von den Religionen ausgehen müsse. Zum Teil wird ein religionstheologisches Anliegen bescheinigt, sodass De pace fidei als ausdrückliche Toleranzschrift erscheint12. In diesem Rahmen wird sie wiederum unterschiedlich gedeutet: Cusanus wird von einigen die Ansicht zugeschrieben, keine Religion könne die ganze Wahrheit besitzen, diese müsse gemeinschaftlich zusammengetragen werden13. Demgegenüber wird betont, die Weisheit als der Ursprung von allem bilde bereits die Einheit, diese müsse aus den Religionen heraus nur noch gesucht und gefunden werden. Da die Weisheit des Logos nicht verschieden von der einen philosophischen Weisheit sei, könne Cusanus die Zuversicht haben, dass alle zur wahren Religion kämen14.

      Wie auch immer man die Beweggründe des Cusanus deutet: In dem diskutierten Werk geht es nicht darum, Religionen zu ersetzen oder auszutauschen. Sie können nebeneinander bestehen. Wohl aber muss erkundet werden, worin ihr wahrer Kern liegt. Dies geschieht aus dem Logos heraus. Dabei lässt der Kardinal keinen Zweifel daran, dass er monotheistischtrinitarisch und von daher in Bezug auf die Religionen christologisch und christozentrisch denkt15. Es wird deutlich, dass Cusanus von der Beziehung ausgeht, die sich vom Logos her mit den Anderen ergibt. Wenn der Dialog als Beziehungsgeschehen verstanden wird, kann sich aus De pace fidei in der Tat eine Anleitung zum Dialog ergeben.

      Das Hören auf den Logos dürfte sich allerdings in der irdischen Praxis weniger reibungslos gestalten als auf dem cusanischen Himmelskonzil. Was auf dem Hintergrund christlicher Theologie einleuchtet, erscheint in anderen Religionen und Weltanschauungen unmöglich, die den Logos als solchen nicht kennen oder anerkennen. Wenn Ratzinger im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs aber trotzdem den Wunsch zu äußern wagt, dass man nicht nur dem Logos zuhören möge, sondern dies gemeinsam tun solle, also religionsübergreifend, sieht er offenbar hinter dem Horizont des christologischen Bekenntnisses zum Logos weitere Möglichkeiten, dass dieser eine Logos sich verständlich macht. Diese Möglichkeiten sind, christlich verstanden, nicht einfach da, sondern aktuieren sich im Dialog, den die Kirche (und mit ihr die Christenheit) mit der Welt von heute und dabei insbesondere den Religionen führt. Eine wertvolle Hilfestellung bietet dabei der Gedanke, dass die universale Vernunft, die als Logos bezeichnet werden kann, allgemeiner und universaler Anerkennung und Zustimmung fähig ist. Für das Christentum ist diese Vernunft nicht außerhalb der Person Jesu Christi zu denken. Die Frage, wie das Hören auf den Logos möglich sein kann, führt deshalb an einige Problemkreise heran. Wenn der Glaube an den Logos Jesus Christus nicht geteilt wird, so bietet es sich an, das Hören auf den Logos als Akt des Menschen zunächst unabhängig von diesem Glauben zu beschreiben. Man kann versuchen, Anregungen zu finden, wie eine Struktur aussehen kann, in der ein Hinhören auf den Logos möglich ist. Diese Struktur wird sich aus Sicht des Christentums nicht anders realisieren können als im Hinhören auf Jesus Christus. Außerhalb des Bekenntnisses zu Jesus Christus wird sie aus der Sicht anderer Religionen und aus der Sicht nichtreligiöser Weltanschauungen als verbindliches Hinhören angesehen werden, sofern sie auf einem soliden philosophischen Fundament steht. Diesen Fragen soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden.

      Die


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