Freiheit als Hingabe an Gott. Maciej Malyga

Freiheit als Hingabe an Gott - Maciej Malyga


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aufmerksam, indem er etwa erklärt: „Ich habe in diesen Wochen für Jahre gelernt und nachgelernt.“83 Die Welt erschien ihm nunmehr ohne Vortäuschungen: „Die Kulissen sind weg, und der Mensch steht heute unmittelbar vor den letzten Wirklichkeiten“84. Die Gefängnisschriften zeugen nicht so sehr von einer Weiterentwicklung der inzwischen ausgearbeiteten Theorien, sondern vielmehr von dem Weg, der einmal von Theorien ausgegangen war und nunmehr in die Praxis mündete – dies gerade auch in Hinsicht auf die Freiheit:

      Vieles, was früher Fläche war, erhebt sich in die dritte Dimension. Die Dinge zeigen sich einfacher und doch figürlicher, kantiger. Vor allem aber ist der Herrgott so viel wirklicher geworden. Vieles, was ich früher gemeint habe zu wissen und zu glauben, das glaube und lebe ich jetzt.85

      Delp schärfte seinen Blick auf die Wirklichkeit einerseits durch den Bezug auf den Glauben,86 andererseits durch die Auseinandersetzung mit dem System des Nationalsozialismus. Nach der Prozessfarce stellte er fest, dass der Nationalsozialismus sich als von sich selbst berauschte Macht und Herrlichkeit nun voll offenbare.87 Eine Beschreibung der nationalsozialistischen Epoche nahm er jetzt ganz ungeschminkt vor:

      Die Zeit ohne Erbarmen. Die Zeit der unerbittlichen Schicksale. Die Zeit der Grausamkeit und Willkür. Die Zeit der sinnlosen Tode und der wertlosen Leben … Nie wieder sollen die Menschen sich so über ihre Möglichkeiten täuschen und sich solches tun.88

      Der am 9. und 10. Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof stattfindende „Prozess“ war für Delp der letzte und zugleich größte Zusammenstoß jener zwei so verschiedenen Kräfte, die jedoch eine gemeinsame Eigenschaft haben, wie Moltke in Abwandlung eines Wortes des Präsidenten des Volksgerichtshofs Freisler sagt: sowohl das Christentum als auch der Nationalsozialismus, „fordern den ganzen Menschen“89. Der sorgfältig auf seine Verteidigung vorbereitete Jesuit musste konstatieren, dass jede objektive Diskussion ausgeschlossen war:

      Der Prozeß war eine große Farce. Sachlich wurden die Hauptanklagen: Beziehung zum 20. 7. und Stauffenberg gar nicht erhoben … Es war eine große Beschimpfung der Kirche und des Ordens. Ein Jesuit ist und bleibt eben ein Schuft. Das alles war Rache für den abwesenden Rösch und den Nicht-Austritt.90

      Diese Tage erlebte Delp in der inneren Ruhe, obwohl er keinen Ausweg aus seiner Situation sah. Er notierte: Gott will „den absoluten Sprung von mir weg in ihn hinein“91. Er akzeptierte und verstand es als eine neue Etappe seines Wachsens:

      Denn jetzt bin ich ja erst Mensch geworden, innerlich frei und viel echter und wahrhafter, wirklicher als früher. Jetzt erst hat das Auge den plastischen Blick für alle Dimensionen und die Gesundheit für alle Perspektiven.92

      Vielmals wiederholte er, das Leben habe ein gutes Thema bekommen.93 Er fühlte sich zur inneren Freiheit erzogen, deshalb antwortete er dem nach seiner Tätigkeit fragenden Freisler: „Ich kann predigen, so viel ich will, und Menschen geschickt oder ungeschickt behandeln und wiederaufrichten, solange ich will.“94

      Die Texte der Verteidigung Delps vor dem Tribunal und ein Entwurf seines Gnadengesuchs liegen vor. Der Jesuit wollte sich dabei keinesfalls als ein entschiedener Widerstandskämpfer darstellen. Nach der Lektüre seiner Verteidigungsschriften drängt sich die Meinung auf, dass er – entgegen dem eigenen Willen – in die große Geschichte verwickelt wurde.95 Ein noch trüberes Bild findet sich im Gnadengesuchsentwurf, bei welchem aber ungewiss ist, ob es überhaupt abgeschickt wurde.96 Dass Delp jene Worte mit einer großen inneren Distanz schrieb, bezeugen sein Briefe: Diese Texte waren eine strategische Positionierung eines 37-jährigen Mannes, der in „die äußerste Situation gekommen [ist], in die Menschen kommen können“97, und der nicht sterben wollte: „Ich würde gern noch weiterleben.“98 Nicht die Verteidigung und das Gnadengesuch, sondern eine kurze, wenige Tage vor dem „Prozess“ verfasste Notiz drückt die tatsächliche Meinung Delps aus: „Die Gestalt des Leonardo da Vinci hat mich gestern mehr interessiert als meine Anklage.“99 Den bestimmenden Horizont für die Lektüre aller seiner Worte liefert letztendlich seine Entscheidung, dass er bewusst auf die Zugehörigkeit zu dem Orden nicht verzichtet, sondern vielmehr um den Preis des Lebens für sie einsteht.100

      Delp wollte unbedingt den gesunden, freien Blick auf die Wirklichkeit behalten und Realist bleiben.101 Extrem niedergedrückt durch das Bewusstsein des kommenden Todes kämpfte er um eine realistische Perspektive auf das Leben. Er erklärt:

      Ich habe in diesen letzten Tagen gezweifelt und überlegt, ob ich Selbsttäuschungen zum Opfer gefallen bin, ob sich mein Lebenswille in religiöse Einbildungen sublimiert hat oder was das war. Aber diese vielen spürbaren Erhebungen in mitten im Unglück; diese Sicherheit und Unberührtheit in allen Schlägen; dieser gewisse „Trotz“, der mich immer wissen ließ, es wird ihnen die Vernichtung nicht gelingen; diese Tröstungen beim Gebet und beim Opfer; diese Gnadenstunden vor dem Tabernakel; diese erbetenen und immer wieder gegebenen und gewährten Zeichen: ich weiß es nicht, ob ich das alles jetzt wegtun darf. Soll ich weiter hoffen? Will der Herrgott das Opfer, das ich ihm nicht versagen will oder will er die Bewährung des Glaubens und Vertrauens bis zum äußersten Punkt der Möglichkeit? … Was will der Herrgott mit alledem? Ist es Erziehung zur ganzen Freiheit und vollen Hingabe? … Was soll ich jetzt tun, ohne untreu zu werden? … Soll ich einfach in der Freiheit zur Verfügung bleiben und in der Bereitschaft? … Es ist Zeit der Aussaat, nicht der Ernte.102

      Doch die Erfahrung der Unfreiheit erwies sich als besonders mächtig – so schrieb Delp von seinen „gefesselten Händen des Körpers und des Geistes“103.

      Das letzte Wort gehörte der Freiheit. Nach den Tagen der Fragen kam die Überzeugung bezüglich der erziehenden Rolle der Geschichte zurück104 und damit die Gewissheit eines Wertes des eigenen Lebens und Sterbens.105 Delp verstand seine Existenz in Bezug auf die Freiheit Gottes106 und deshalb als eine freie Existenz:

      Trotz der Wehmut, die einen manchmal überkommt, herrscht doch ein gewisses Bewusstsein der Entscheidung und der Freiheit vor107

      Die Hingabe und die Anbetung gestalteten sowohl sein Leben als auch sein Freiheitsverständnis.108 Er lebte „auf einem sehr hohen Berg“109, auf der „absoluten Höhe des Daseins“110, wo alle Begriffe der gottlosen Ideologie – etwa die Rede vom Schicksal und Verhängnis sowie das Verständnis der Welt als endgültigen Raum – wie unmenschliches, ja tierisches und unartikuliertes Gewimmer klangen.111 Es gibt die Freiheit, es gibt sie immer – das war die Überzeugung Delps.

      Am 2. Februar 1945 wurde Alfred Delp in Berlin-Plötzensee stranguliert. Seine Asche wurde über die Rieselfelder verstreut.

      1 Karl Rahner bemerkt eine fundamentale Verknüpfung des Lebens mit dem Denken: „Was jemand schreibt, erhält seinen letzten Sinn und sein wahres Gewicht durch das, was er lebt“, RAHNER, Erneuerung des Ordenslebens: 180. Vgl. SCHALLER, Anthropologie von Delp: 22.

      2 Vgl. DELP, Das Rätsel der Geschichte (Nachlass, o.J.): II,450, Der Mensch und die Geschichte (1943): II,380f.

      3 Siehe BRAKELMANN, Moltke: 39, siehe auch ders., Moltke und Delp.

      4 Vgl. BUCHHEIT, Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes: 13.

      5 Vgl. OTT, Heidegger: 54.

      6 Vgl. BLEISTEIN, Vorwort: 8.

      7 Vgl. ders., Jesuiten im Kreisauer Kreis: 596f.

      8 Vgl. ders., Geschichte eines Zeugen: 241–251. Eine Rekonstruktion des soziologischen Denkens Delps versuchte schon 1947 sein Freund Ernst KEßLER, Jenseits von Kapitalismus und Marxismus (der Text ist auch bei Bleistein abgedruckt,


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