Freiheit als Hingabe an Gott. Maciej Malyga
wie der gerade erwähnte Der Mensch und die Geschichte, wo die Frage nach der Freiheit große Beachtung findet, oder die im Gefängnis geschriebene Meditation zum dritten Adventssonntag, die eigentlich sein ganzes Freiheitsverständnis zusammenfasst,31 aber letztlich bleiben seine Freiheitsaussagen fragmentarisch und verstreut über eine Vielzahl von Schriften.
Einige wenige Werke über Alfred Delp liegen bereits vor. Unter den uns interessierenden Arbeiten zu Delps philosophischem Werk erwähnen wir an erster Stelle das Buch von Richard Schaeffler. Dessen 1978 veröffentlichte Frömmigkeit des Denkens? Martin Heidegger und die katholische Theologie bezieht sich nicht allein und vornehmlich auf Delp, sondern betrachtet das Verhältnis der katholischen Theologie zum Denken Heideggers überhaupt. Die dem Verfasser von Tragische Existenz gewidmeten Passagen spielen aber für uns eine wichtige Rolle. Sie würdigen nämlich Delp entgegen der ‚Katholischen Heideggerschule‘ als philosophisch ernst zu nehmenden Interpreten.32
Die erste Monographie, die ausschließlich dem Denken Delps gewidmet ist, wurde von Karl H. Neufeld 1983 vorgelegt. In Geschichte und Mensch. A. Delps Idee der Geschichte. Ihr Werden und ihre Grundzüge zeichnet Neufeld ein breites Panorama des Curriculums, welches Delp durchlief, berichtet ausführlich von dessen Lehrern und Einflüssen. Im Kontext der Erörterung von Delps Standpunkt hinsichtlich der Probleme der Geschichte und des Menschen kommt auch das Thema der Freiheit zur Sprache. Als eine theologische Auseinandersetzung mit Delp und dem Freiheitsbegriff ist die Arbeit von Andreas Schaller, Lass dich los zu deinem Gott. Eine theologische Studie zur Anthropologie von Alfred Delp SJ (2012) zu erwähnen. Ein noch stärkeres Echo fand Delps soziologisches Denken in den Studien von Michael Pope, P. Alfred Delp SJ im Kreisauer Kreis. Die Rechts- und sozialphilosophischen Grundlagen in seinen Konzeptionen für eine Neuordnung Deutschlands (1994) und Petro Müller, Sozialethik für ein neues Deutschland. Die „Dritte Idee“ Alfred Delps – ethische Impulse zur Reform der Gesellschaft (1994). Gut dokumentiert ist das Leben Delps besonders in der Biographie von Roman Bleistein, Alfred Delp. Geschichte eines Zeugen (1989).33 Größere Beachtung fand Delps Engagement gegen den Nationalsozialismus innerhalb des Kreisauer Kreises.34 Außerdem liegen viele populärwissenschaftliche Schriften vor,35 die sein Denken und Leben einem breiteren Leserkreis nahebringen wollen.
Insbesondere zu Delps Freiheitsverständnis findet sich allerdings noch keine Untersuchung. Vieles ist bezüglich seiner Auseinandersetzung mit Heideggers Sein und Zeit nach wie vor unaufgearbeitet.36 Mit unserer Studie zur Frage nach Delps Freiheitsverständnis versuchen wir, dieses Desiderat zu erfüllen.
Die vorliegende Arbeit bietet also eine Rekonstruktion des Delp’schen Freiheitsverständnisses und ist demgemäß zuallererst als historische Studie zu verstehen. Freilich muss sie dazu auch systematische Züge annehmen, weshalb sie die teils von Delp selbst nicht mehr vollendeten Entwürfe und Gedanken ergänzen und weiterführen muss.
Vorab jedoch sind die für unser Thema wichtigsten Entwicklungen im Leben Delps biographisch zu skizzieren, insofern sie für dessen Werk einen wichtigen hermeneutischen Hintergrund darstellen. Wir fragen nach dem Denken, das ihn während des Studiums prägte, und suchen nach den Ereignissen, die sein Freiheitsverständnis gestalteten. Die folgenden drei Bezugspunkte werden für das Verständnis der Delp’schen Freiheitshermeneutik bestimmend sein: Zunächst (1.) untersuchen wir die sich um die Gottesfrage konzentrierenden Auseinandersetzungen mit Heidegger und der nationalistisch geprägten Deutschen Glaubensbewegung, dann (2.) fragen wir nach Delps Verhältnis zur Ideologie des Nationalsozialismus. Schließlich (3.) richten wir unseren Blick auf die letzten Monate von der Verurteilung bis zur Hinrichtung Delps, jene so kurze und dabei dem Denken überaus fruchtbare Zeit.
Die weitere Struktur der vorliegenden Untersuchung drängt sich nach der Lektüre von Delps Schriften geradezu auf. Delp sieht die zwei möglichen Wege der Entwicklung der Freiheit: (1.) in der Immanenz oder (2.) im Verhältnis zu einem transzendenten Du, das der absolute Gott ist. Wir werden uns daher im zweiten Kapitel mit der rein immanent gedeuteten Freiheit auseinandersetzen, um im Anschluss daran im dritten Kapitel seine Sicht auf die Freiheit innerhalb des Gottesglaubens zu thematisieren.
In diesem zweiten Hauptteil der Arbeit werden wir außerdem Delps Kritik am Freiheitsdenken der Neuzeit rekonstruieren. Die Auseinandersetzung mit Heideggers Sein und Zeit spielt hierfür eine wesentliche Rolle, weshalb dieses Werk Heideggers in den thematisch relevanten Grundzügen zunächst dargestellt werden muss. Eine wichtige Aufgabe wird dann sein, Delps von der primären Intention von Sein und Zeit abweichende Sicht herauszuarbeiten und auf seinem damaligen Hintergrund nachvollziehbar zu machen. Vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Philosophie, vor allem in Bezug auf Heidegger und eine sich von seinem Denken ableitende Weltanschauung des tragischen Heroismus, fragen wir nach den Wesenszügen der von Delp kritisierten Art der Autonomie. Die Frage, wie eine so verstandene Freiheit sich in der Geschichte vollziehen kann, werden wir mit Delps eigenen Beobachtungen beantworten. Der Jesuit konstatiert nämlich ein Phänomen der Selbstverneinung der Freiheit und legt es philosophisch aus. Diese Feststellung bildet zugleich den Schwerpunkt seiner Kritik an der nationalsozialistisch orientierten Gesellschaft.
Im dritten Hauptteil rekonstruieren wir zuletzt Delps eigenes Freiheitsdenken. Dieses wird von ihm einerseits als eine Reaktion auf die Krise des sich an seinem Ende befindenden neuzeitlichen Autonomieverständnisses begriffen, anderseits versteht er seinen Freiheitsentwurf als ein Vermächtnis christlicher Tradition. Wir werden mit Delp (1.) ein Fundament der Freiheit im Sich-selbst-transzendieren-Können des menschlichen Geistes ausfindig machen, (2.) werden die Welt im Sinne einer vorgegebenen Ordnung, die eine absolute Freiheit ausschließt, eine bedingte Freiheit hingegen zulässt, als den eigentlichen Ort des Freiheitsereignisses darstellen. Im Kern der Arbeit steht die Frage, warum Delp die Selbstverwirklichung des menschlichen Wesens, welche für ihn allein in Gott in umfassender Weise gelingen kann, als das Ziel der Freiheit begreift. Dies bedingt, dass weniger die menschliche Freiheit sowie das freie Wirken Gottes in der Geschichte an sich angefragt sind, sondern vor allem und zuletzt das Zusammenspiel beider Größen betrachtet wird. Letztendlich versuchen wir mit Delp zu zeigen, wie diese Freiheit in der konkreten Existenz gelebt werden kann. Diese Explikation der Kernfrage wird wesentlich auf zwei Begriffen des Delp’schen Denkens ruhen, die in ihrer Einfachheit eine ihnen eigene Tiefe haben: Anbetung und Hingabe.
1 Vgl. ECKERT, Freiheit: 99–100. Siehe auch SCHLIER, Zur Freiheit berufen: 216–233.
2 Vgl. WARNACH, Freiheit: 1064–1083.
3 Vgl. OEING-HANHOFF, Zur thomistischen Freiheitslehre: 274–276. Vgl. auch PESCH, Freiheit: 1083–1088.
4 Vgl. KASPER, Autonomie und Theonomie: 22f.
5 Vgl. KANT, Kritik der praktischen Vernunft: 30–33,124–132.
6 Vgl. AUER, Autonome Moral und christlicher Glaube: 205–236.
7 Vgl. KASPER, Autonomie und Theonomie: 23–31.
8 Vgl. SPAEMANN, Freiheit: 1088–1098.
9 Vgl. HEIDEGGER, Beiträge zur Philosophie: 138–141.
10 Vgl. SARTRE, Das Sein und das Nichts: 764.
11 Vgl. PRÖPPER, Freiheit: 100–105.
12 Vgl. PRÖPPER, Freiheit als philosophisches Prinzip der theologischen Hermeneutik: 15.
13 Vgl. SECKLER, Fundamentaltheologie: 351–357.
14 BLEISTEIN, Lebensbild Delps: 41. Die Werke Delps werden wir im Folgenden nach den 1982–1988 in fünf Bänden erschienenen, von Roman Bleistein herausgegebenen Gesammelten Schriften unter Angabe des Titels, des Veröffentlichungsdatums und des jeweiligen Bandes mit der entsprechenden Seitenzahl angeben.
15 Vgl. DELP, Tragische Existenz: II,126, ebd.: 131f. Siehe auch ders., Der kranke Held (in: Stimmen der Zeit,