Freiheit als Hingabe an Gott. Maciej Malyga
ziel- und orientierungslosen Denkens,9 in der sich der Mensch, wie Sartre überzeugt gewesen ist, zur Freiheit verdammt erfährt, weil ihm seine Freiheitsbegabung längst zur fragwürdigen Last geworden ist.10 Diese hier in groben Zügen skizzierte geistesgeschichtliche Lage bildet den Kontext unserer Untersuchung.
Die Theologie wird durch diese Entwicklung stark herausgefordert.11 Die Überzeugung von der Unversöhnbarkeit des neuzeitlichen Freiheitsverständnisses mit dem Gottesglauben bzw. die Überzeugung von der Entbehrlichkeit des Gottesverhältnisses für das moderne Freiheitsverständnis bleibt eines der größten Hindernisse, die zwischen dem Menschen und dem christlichen Gott stehen. Nicht nur diese theoretischen Probleme wie etwa der Existenz Gottes, der Offenbarung und der Vernünftigkeit des Glaubens, sondern auch deren existenzielle Komponenten – lässt die Hingabe an Gott Raum für Freiheit? –, hinterfragen den Gottesglauben. Darum muss der Theologie gerade die Freiheit immer ein wesentliches Anliegen bleiben.12 Die Fundamentaltheologie weiß sich dieser Aufgabe in besonderer Weise verpflichtet, da sie sich im Dialog mit dem zeitgenössischen, philosophischen Denken um die vernunftgemäße Rechenschaft des Glaubens bemüht.13
Die oben gezeichnete Problematik der Möglichkeit der Freiheit in der Welt sowie des Verständnisses der Freiheit an sich und der Bedeutung des Gottesverhältnisses im Kontext der modernen Zeit spiegelt sich im Denken des deutschen Jesuiten Alfred Delp (1907–1945) wider. Sein Ansatz bringt zwar keine wesentliche Neuerung in die Freiheitsproblematik ein, exemplifiziert diese jedoch in hervorragender Weise. Verwurzelt in der christlich geprägten Philosophie und zugleich im ständigen Dialog mit der Gegenwart, einer der ersten Interpreten und Opponenten Martin Heideggers innerhalb der katholischen Theologie, thematisiert er die Vielschichtigkeit der Freiheitsfrage in ihren philosophischen und theologischen Perspektiven. Als er aufgrund seines Widerstands innerhalb des Kreisauer Kreises gegen die nationalsozialistische Diktatur verhaftet und zum Tode verurteilt wird, gehört er gerade in diesem Zustand größter Unfreiheit zu denen, die die Freiheit nicht bloß denken, sondern sie mühsam erkämpfen und leben. Gefangen und auf seine Hinrichtung wartend erreicht er, wie Roman Bleistein es formuliert, „eine einsame Höhe christlicher Souveränität“14.
Delp versteht seine Epoche als eine Schwelle, er erkennt, dass in seiner Zeit etwas Neues in die Geschichte eingetreten ist, das aber eine negative Größe bildet. Im Denken Heideggers und in der Existenz der von ihm geprägten „versunkene[n] Generation“ habe sich die Neuzeit vollendet;15 die Geschichte sei damit zusammengebrochen.16 Zwar spricht er nicht explizit von der Moderne, doch ist diese der Gegenstand seiner – und mithin auch unserer – Auseinandersetzung.17
Ursprünglich war die Freiheit kein Schwerpunkt von Delps philosophisch-theologischen Bemühungen, obgleich er sie auch immer wieder thematisierte, vor allem im Zusammenhang mit seinem Interesse an den Fragen nach dem Menschen und der Geschichte.18 Zunächst galt sein Interesse der Kritik an bestimmten neuzeitlichen Freiheitsphänomenen, in denen er Fehlformen der Freiheit erkannte. Sein eigenes Freiheitsverständnis entwickelte sich dann erst später ausführlicher und am Ende seines Lebens, in den Monaten seiner Gefangenschaft, stellt er seine theologischen und philosophischen Betrachtungen endgültig in den Horizont der Freiheit. So wird die Freiheit wird zum Schlüssel- und Schlussbegriff seines Denkens. In der Lage äußerster Unfreiheit bringt er die Notwendigkeit sowie die Bedeutung der Freiheit unmittelbar zum Ausdruck und bindet sie eng an das Menschsein: „Der Mensch muß frei sein. Als Sklave, in Kette und Fessel, in Kerker und Haft verkümmert er.“19 Mit Bitterkeit konstatiert er, dass der Mensch auf seine Freiheit ungezwungen verzichtet:
Das Schlimme ist, daß der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden läßt.20
Alles, auch seine eigene Freiheit, will Delp von Gott her verstehen. In den teils gar mystischen Meditationen,21 die er zum Ende seines Lebens verfasst, ist es sein Anliegen, den christlichen Glauben als einen wirklichen Weg zur Gestaltung des Lebens vorzustellen. Daher rührt sein Ruf zur entschiedenen und tatkräftigen Freiheit; daher rührt auch sein kritisches Urteil gegenüber der Fundamentaltheologie, deren klare Schlüsse die heutigen Menschen überdrüssig seien, insofern sie sich in ihrer Abstraktheit für die je konkrete Existenz als belanglos erweisen.22
Delp hat sein Denken niemals in einem systematischen Gesamtzusammenhang entfaltet. Es ist „mehr ein Denken im Vollzug als fertiger Gedanke“23. Daher sind seine Aussagen nicht selten unscharf geblieben. Im Mittelpunkt seines philosophischen Interesses steht zunächst die faktische philosophische Vorgeschichte in der Neuzeit, das tatsächliche Humanum und dessen Katastrophe. Wenn er über Kant oder Kierkegaard, teilsweise auch Heidegger spricht, betont er, dass er auf die Rezeption, nicht aber auf die ursprüngliche Intention des philosophischen Ansatzes achtet. In seinen Schriften zeigt sich die Überzeugung, dass er die Behandlung der Vorgeschichte für notwendig erachtet. In seinen systematischen Betrachtungen – als solche kann lediglich die Auseinandersetzung mit Heidegger gelten – kommt eine prinzipielle Kritik am neuzeitlichen Subjekt- und Freiheitsdenken zur Sprache. Noch nicht ganz scharf zeigen sich auch die theologischen Aussagen Delps. Beim Gottesbegriff und dessen Erkenntnis geht er von den philosophischen Voraussetzungen der Neuscholastik aus, die er nicht hinterfragt; zugleich findet er wachsenden Gefallen im personalistischen Sprechen von Gott und betont die aus der Christus-Offenbarung erschlossene Gotteserkenntnis.
Schwierigkeiten verschafft auch die Tatsache, dass manche Texte Delps in den Kriegswirren verlorengegangen sind, darunter auch das Manuskript Dritte Idee, welches sich soziologischen Fragen widmete. Andere wurden unter den Bedingungen der staatlichen Zensur geschrieben. Einige dieser letztgenannten Schriften lassen Delps Sympathie für wenige Gedanken der nationalsozialistischen Ideologie erkennen – so etwa sein Text Der Krieg als eine geistige Leistung aus dem Jahr 1940.24 Außerdem wurden manche Reden oder Predigten nicht auf Papier festgehalten. Einige der uns erhaltenen Schriften sind überdies von ihm nur wenig gründlich bearbeitet worden. Neben originellen Ideen gibt es deswegen auch vielerlei unfertige Gedanken.25 Der Grund dafür zeigt sich in den Worten seiner Meditation von Weihnachten 1944. In der Gefängniszelle schreibt er: „Es fehlt mir die Zeit. Der Mann mit den Eisen klirrt schon auf dem Gang. Außerdem habe ich kein Papier mehr.“26
Delps erste Veröffentlichung stellt die Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit dar,27 die er unter dem Titel Tragische Existenz im Jahr 1935 veröffentlichte.28 Als weiteres ist – neben einigen Aufsätzen – zu seinen Lebzeiten nur noch Der Mensch und die Geschichte29 im Jahr 1943 in Colmar erschienen. Ein Teil seines Nachlasses wurde schon kurz nach dem Krieg publiziert, als Paul Bolkovac 1947 eine Trilogie der Schriften herauszugeben begann.30
In den Jahren 1982–1988 wurde Delps erhaltenes Werk als Gesammelte Schriften in fünf Bänden von Roman Bleistein herausgegeben. Diese Publikation liegt unserer Untersuchung zugrunde. Sie umfassen zuerst die geistlichen Schriften, darunter Delps Auseinandersetzung mit der pseudoreligiösen Ideologie der Deutschen Glaubensbewegung sowie seine Meditationen über das christliche Menschen- und Weltverständnis und die Betrachtungen des jesuitischen Charismas. Von entscheidender Bedeutung für unsere Arbeit ist der zweite Band der Schriften Delps, nämlich dessen philosophische Texte, vor allem Tragische Existenz und die die Problematik des Menschen in der Geschichte ansprechenden Texte. Nachdem Delp auf Grund der Entscheidung des nationalsozialistischen Regimes jegliche Veröffentlichungsmöglichkeit verlor, gewann sein gesprochenes Wort an Bedeutung. Diese Predigten und Ansprachen finden sich im nächsten Band der Gesammelten Schriften, in welchem der für die Entwicklung seines Freiheitsverständnisses bedeutsame Briefwechsel mit Karl Thieme ebenfalls publiziert wurde. Nach den philosophischen Schriften haben zunächst die im vierten Band publizierten Gefängnisschriften, d. i. Briefe, Notizen, Meditationen, Reflexionen über die Zukunft und zuletzt Texte zum Prozess vor dem Volksgerichtshof, einige Relevanz für sein Freiheitsdenken. Der letzte Band beinhaltet seine Briefe und Buchrezensionen, in denen sich Delps theologische und philosophische Präferenzen widerspiegeln.
Die sich aus seinen Schriften ergebenden Ideen müssen – in Ermangelung eines vollständigen Systementwurfs