Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
zog die frisch gezupften Augenbrauen hoch, nahm ihre Schuhe vom Schreibtisch, rückte den Rock zurecht, erhob sich und ging ernst auf Katharina zu.
Im nächsten Moment fiel sie ihr um den Hals und rief: »Geile Idee. Endlich kann ich mein ganzes Repertoire ausspielen. Ich gehe als Modell ›trauernde Katzenberger‹, ich habe noch ein paar schwarze Schuhe mit kleinen rosa Herzchen vorne auf der Spitze, und dieses schwarze, tief ausgeschnittene Kleid, ich werde …«
»Ich merke, wir verstehen uns.« Katharina grinste und sah die Beerdigungsszene genau vor sich.
»Du machst einen Schlachtplan und wir reden am Freitag, okay?«
»Okay, Chef«, strahlte Birgit und versuchte unter heftigem Glöckchenklingeln ihre Hacken aneinanderzuschlagen.
Als sie in der Tür war, drehte sich Katharina noch mal um und sagte grinsend: »Das mit dem Autogramm habe ich gestern nicht geschafft. Kannst du dir jetzt selbst holen. Nein, musst du sogar – aus rein professionellen Gründen natürlich.« Birgit zeigte einen Stinkefinger und nahm huldvoll klingelnd an ihrem Schreibtisch Platz.
»Obermann, Kripo Rosenheim.«
»Grüß Gott, Frau Obermann, mein Name ist Katharina Langenfels von ›Fakten‹ aus München. Ich arbeite an einer Serie über Robert Adelhofer.«
»Sie Arme«, kam die spontane Antwort und Katharina war die Frau umgehend sympathisch.
»Es könnte aus der ›Vom Bauernbub zum Starmoderator‹-Story plötzlich ein Krimi geworden sein. Deswegen rufe ich an.«
»Ich fürchte, Sie werden mehr über die unappetitlichen Sendungen des noch lebenden Herrn Adelhofer schreiben müssen als über den Tod des Bruders. Aber bevor ich mehr sage, Frau Langenfels, ich kenne und schätze Ihre Artikel. Die Medell-Sache – Hut ab. Drum verlasse ich mich darauf, dass das, was ich Ihnen erzähle, zunächst unter uns bleibt. Und Sie nur das schreiben, was ich freigebe. Einverstanden?«
»Einverstanden, Frau Obermann, ich kenne die Regeln und halte mich grundsätzlich daran.«
»Gut«, kam es sachlich zurück. »Nach allem, was wir bisher wissen, war es Selbstmord. Und damit zwar eine Story, die Herr Adelhofer vermutlich noch in seiner Sendung auswalzen wird, aber hoffentlich nichts für ein seriöses Blatt wie ›Fakten‹.«
»Das mit dem Selbstmord ist verbrieft?«
»Wir haben keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gefunden. Stattdessen ein Büchlein im Zimmer von Lukas Adelhofer, in dem er seinen Selbstmord exakt beschreibt.«
»Bitte?«
»Ja, er hat ziemlich perverse Kurzgeschichten geschrieben, in denen sich ständig Menschen umbringen. Einer davon genau so, wie er es tatsächlich gemacht hat.«
»Und diese Geschichten stammen wirklich von Lukas Adelhofer?«
»Es ist eindeutig seine Handschrift, wir haben es mit anderen Dokumenten verglichen. Sein Freund, der uns überhaupt den Hinweis gegeben hat, dass Lukas Adelhofer sich in der Scheune befinden könnte, hat von Depressionen und Selbstmordgedanken berichtet. Ansonsten legt der Rest des Zimmers ebenfalls nahe, dass es niemand bewohnte, der Spaß am Leben hatte. Seine Eltern hatten keinen Zutritt. Wenn Lukas wegging, hat er zugesperrt. Das hat mir seine Mutter erzählt. Arme Frau übrigens, völlig am Ende.«
»Wie muss ich mir Lukas’ Zimmer vorstellen?«
»Na ja, totales Chaos, altes, benutztes Geschirr, Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, verschimmelte Lebensmittel. Ich würde es als Zimmer eines Messies beschreiben.«
»Und die Beerdigung ist definitiv am Samstag?«
»Bis heute Abend haben wir das Ergebnis der Obduktion. Wenn die nichts an unserem bisherigen Ermittlungsstand verändert, geben wir die Leiche frei. Auf Wunsch der Familie findet dann am Samstag um 11 Uhr die Trauerfeier statt.«
Katharina verabschiedete sich in Gedanken vom gemütlichen Samstag mit Svenja.
Nina Obermann fuhr fort: »Wenn Sie mich am Samstag nicht dort sehen, haben wir den Fall ad acta gelegt. Sie können mich trotzdem gern kontaktieren, falls Sie noch etwas brauchen. Würde mich freuen, Sie persönlich kennenzulernen. Ausgezeichnete journalistische Arbeit ist man heutzutage nicht mehr gewöhnt.«
»Danke, Frau Obermann.« Wieder konnte Katharina nicht glauben, wie bekannt sie durch die Medell-Geschichte geworden war. Fans bei der Polizei zu haben, konnte jedenfalls nicht schaden. »Eine Frage hätte ich noch. Wer ist der Freund, der Ihnen den Hinweis auf die Scheune gegeben hat?«
»Das darf ich Ihnen leider wirklich nicht sagen, verstehen Sie sicher, Frau Langenfels. Ich kann ihn fragen, ob ich seine Kontaktdaten rausgeben darf. Rufen Sie mich einfach nach der Beerdigung noch mal an, falls wir uns nicht sehen. Ich muss, Servus, Frau Langenfels.«
Katharina legte mit dem guten Gefühl auf, dass sie mit Frau Obermann eine verlässliche Ansprechpartnerin hatte.
Weniger gute Gefühle holten sie sofort bei dem Gedanken an das ein, was sie als Nächstes vor sich hatte. Ihr Alter Ego tauchte in ihrem Kopf auf und meckerte oberlehrerinnenhaft: »Du bist Mutter, Katharina Langenfels, vergessen? Du bist nicht die Zwischenstation in Svenjas Leben, wo sie übernachtet und morgens ein hektisches Müsli zusammengerührt bekommt. Wie stellst du dir das vor? Findest du, dass du eine gute Mutter bist?«
Katharina nahm trotzig den Hörer in die Hand, fand, dass sie einen guten Plan hatte, und wählte Olivers Nummer.
»Hallo, wie geht’s?«
»Zu meinem Druck im Kopf kommen noch Schmerzen im Analbereich. Wenn ich morgens auf der Toilette bin, kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, wie das …«
»Äh, Oliver, bitte keine Details …«
»Mein Gott, bist du empfindlich, jeder zweite Deutsche hat Hämorrhoiden, da wird man doch drüber reden dürfen. Wobei ich das in meinem Fall gerne checken lassen möchte, es fühlt sich nicht harmlos an. Ich habe morgen sowieso in der Uniklinik den Kernspintermin wegen meiner Nebenhöhlen. Meinst du, die könnten bei der Gelegenheit gleich untenrum auch nachschauen?«
Katharina versuchte, ruhig zu bleiben, sonst konnte sie ihren geplanten Vorstoß vergessen. »Nein, Oliver, ich vermute, das wird nicht gehen. Um den Darm anzuschauen, macht man eine Darmspiegelung, keine Kernspintomografie. Aber ehrlich gesagt, wegen Hämorrhoiden, ich weiß nicht, überleg’s dir vielleicht noch mal. Als Privatpatient kriegst du schnell eine, wenn du es wirklich willst.«
»Ich denke drüber nach. Nächste Woche geht es nämlich nicht, da bin ich montags beim Hautkrebsscreening, Mittwoch beim Osteopathen und irgendwann muss ich mich um meine Klienten kümmern.«
»Klar, Oliver, verstehe ich. Sag mal, was würdest du von einem richtig schönen Ausflug am Samstag halten? Svenja, du und ich? Es ist ewig her, dass wir das zuletzt gemacht haben. Vorschlag: Wir fahren mit meinem Auto an den Chiemsee, Fraueninsel fände ich zum Beispiel toll. Wir gehen baden, lecker essen und abends zurück. Hast du Lust?«
»Hm, gute Idee, Chiemsee, Dampferfahrt auf die Fraueninsel, Schweinsbraten im Biergarten, danach Apfelstrudel …«
Katharinas Plan schien aufzugehen. Frauenchiemsee war Olivers zweite Heimat. Vielleicht würden sie ihm irgendwann ein ambulantes OP-Zentrum dort einrichten, dachte sie und sagte: »Spitze, ich freu mich.«
»Katharina?«
»Ja?« Katharina versuchte unbedarft und entspannt zu klingen, voller Vorfreude auf den samstäglichen Ausflug.
»Wie lange kennen wir uns?«
»Unser Kennenlerntag war der 15. September, erster Schultag Grundschule. Also vor Ewigkeiten. Du mit deiner weiß-blau rautierten Schultüte neben mir in der Bank, wie könnte ich es vergessen.«
Kein Kichern am anderen Ende der Leitung, stattdessen: »Findest du nicht, dass es an der Zeit wäre, mir gleich reinen Wein einzuschenken, wenn ich auf Svenja aufpassen soll?«
Katharina